Wie ist es dann im weiteren Verlauf der Erdgeschichte zu einer sauerstoffhaltigen Atmosphäre gekommen? Wie Rudolf Eichmann darlegt, kommen für die Produktion von Sauerstoff, da magmatische Prozesse aus der Lithosphäre keinen Sauerstoff freisetzen, nur nicht-geologische Vorgänge photochemischer Art in Frage, und zwar gibt es dabei eine anorganische und eine organische
Variante.154Siehe Eichmann 1982: 83-84.
Die erste besteht in einer Spaltung von Wasserdampf durch UV-Strahlung in der höheren Atmosphäre. Dieser Effekt reicht aber nur für eine Erklärung von ca. 3 Prozent des Sauerstoffgehaltes der Atmosphäre. Weit wichtiger ist der organische photochemische Vorgang der Sauerstofferzeugung, der durch die Photosynthese grüner Pflanzen zustande kommt. Die ältesten autotrophen Lebewesen, die erstmals imstande waren, mit Hilfe des Sonnenlichtes körpereigene Substanz aus anorganischen Stoffen aufzubauen, waren die Blaualgen, deren Spuren sich bis um eine Zeit drei Mia. Jahre zurück zurückverfolgen lassen. Um diese Zeit muss also die Erzeugung von Sauerstoff, gewissermassen als Abfallprodukt aus der Photosynthese, eingesetzt haben. Für die älteren anaerob lebenden Organismen war der Sauerstoff ein Umweltgift, aber zunächst konnte er sich gar nicht bemerkbar machen, da er bei der Oxidation von reichlich vorhandenem Eisenoxid wieder aufgebraucht
wurde.155Siehe Rahmann 1980: 139-140. Diese Oxidierung wandelte Eisenoxid (FeO) in Eisenoxiduloxid (Fe3O4) um.
Erst allmählich ergab sich ein Überschuss an freiem Sauerstoff (ab einer Zeit, die etwa 2,8 Mia. Jahre zurückliegt), wobei aber die Zunahme evolutionär gesehen so langsam erfolgte, dass für die Organismen genügend Zeit zur Anpassung blieb.
Die langsame Sauerstoffanreicherung der Luft hatte aber auch die Wirkung, dass sich immer mehr Sauerstoffatome zu Ozon (O3) zusammenschlossen, das sich in höheren atmosphärischen Schichten ansammelte. Wegen seiner absorbierenden Wirkung entstand damit ein Schutzschild gegen die gefährliche UV-Strahlung und die Urlebewesen waren immer besser geschützt. Andererseits kam durch den Wegfall dieser Energiequelle die abiogene Produktion von organischen Stoffen zum
Stillstand.156Vgl. Rahmann 1980: 139.
In der Folge entwickelten sich die eukaryotischen Ein- und später Vielzeller, die sich in tierische und pflanzliche Organismen unterscheiden liessen (vor ca. 1,3 Mia. bzw. 700 Mio. Jahren). Auch die Möglichkeit der Entstehung der vielzelligen Lebewesen wird mit dem steigenden Sauerstoffniveau in Verbindung
gebracht.157Nach der Graphik in Abb. 12 hätte zur Zeit der Entstehung der Vielzeller das Sauerstoffniveau erst 1 Prozent des heutigen Gehaltes erreicht gehabt. Leakey und Lewin 1995: 21, weisen aber auf neue Untersuchungen hin, die aufgrund von geochemischen Hinweisen belegen sollen, dass der Sauerstoffgehalt der Luft vorher relativ plötzlich angewachsen war und schon nahe bei dem heutigen Niveau lag. Sie finden es auch plausibel, dass mehrzellige Organismen nur unter diesen Umständen entstehen, bzw. dass umgekehrt bei einer wesentlich sauerstoffärmeren Atmosphäre nur Einzeller vorkommen konnten. Dazu ist zu sagen, dass die in Abbildung 12 gezeigte Kurve auf einer Modellrechnung beruht und dass frühere Autoren die Entwicklung von im Wasser lebenden Vielzellern unter sauerstoffarmen Verhältnissen als möglich erachteten. Es ist also denkbar, dass dieses Modell aufgrund von empirischen Befunden revidiert werden muss.
Und erst, als der Einfluss der UV-Strahlung genügend weit reduziert war, konnte vor rund 400 Mio. Jahren auch eine Besiedlung des Festlandes, zunächst durch Pflanzen
stattfinden.158Nach Rahmann 1980: 141.