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Kulturelle Evolution: Einführung und Übersicht

Kulturelle Evolution

Vorbemerkung
1. Begriffliches
1.1 Gesellschaft und Kultur
1.2 Superstruktur, Struktur und Infrastruktur
1.2.1 Infrastruktur
1.2.2 Struktur
1.2.3 Superstruktur
1.2.4 Einige Überlegungen zum Umweltbezug
1.2.5 Ein Hinweis auf Rudolf Steiner
2. Aspekte einer Gesellschaftstheorie
2.1 Individuum und Gesellschaftw
2.2 Ein Blick auf die Strukturationstheorie von Giddens22
Siehe Anthony Giddens 1984, deutsche Übersetzung Giddens 1988.
2.3 Kulturelle und gesellschaftliche Regeln
2.4 Soziale Integration und System-Integration, Gemeinschaft und Gesellschaft
2.5 Unbeabsichtigte Handlungsfolgen und autonome Prozesse
2.6 Sinnsysteme und konstruierte Wirklichkeiten
3. Einige theoretische Vorstellungen über die kulturelle Evolution
3.1 Kontrollierter Atomismus: Hobbes und Rousseau
3.2 Der Primat der Infrastruktur: Marx und Harris
3.3 Der unausweichliche Fortschritt: Von Comte und Spencer zur Modernisierungstheorie
In der Diskussion um die kulturelle Entwicklung der Vergangenheit haben holistische Auffassungen eine grössere Rolle gespielt, und zwar wohl ganz einfach deshalb, weil damit die Idee von Fortschritt verbunden werden konnte. Man fand, dass ohne diese Annahme die Entwicklung von menschlicher Gesellschafte und Kulture sonst nur schwer zu erklären wäre. In Anlehnung an die Vorstellungen vom Parallelismus in der biologischen Evolution (siehe 2.1 in "Menschwerdung", die den Menschen als Krone der Schöpfung sahen, entstand auch die Meinung, die Richtung der kulturellen Evolution zeige auf ein vorgegebenes (allenfalls göttliches) Ziel, und alles Geschehen und Tun sei im Hinblick auf dieses Ziel zu verstehen. In abgeschwächten Versionen wurde zugestanden, dass es ausgezeichnete Individuen geben könne, die Kraft ihrer Fähigkeiten einen Einfluss auf die Gestaltung einer Gesellschaftw und auf ihre weitere Entwicklung nehmen könnten. Insgesamt aber war mit der Idee des unabänderlichen Fortschrittes die Vorstellung von Stufen verbunden, die alle Gesellschaften als universelle Stadien im Sinne einer Entwicklung von tiefer zu höher und von weniger gut zu besser überall durchlaufen müssten.
Erwähnen wir kurz zwei klassische Beispiele von derartigen Auffassungen aus dem vorigen Jahrhundert, die nicht nur aus historischen Gründen von Interesse sind, sondern auch deshalb, weil sie mit der Charakterisierung von drei Stufen eine Parallelität zu der von uns weiter unten verwendeten Dreiteilung in archaische, politische und ökonomische Gesellschaftenw aufweisen. Nach dem französischen Philosophen und Soziologen Auguste Comte (1798-1857) durchläuft die geistige Entwicklung der Menschheit in gesetzmässiger Abfolge die folgenden Zeitalter:48
Nach Gregor Dürrenberger 1989, 98. Zu Auguste Comte siehe auch z.B. Hauck 1988: 26 ff., Kiss 1977, Bd.1: 237 ff. und Aron 1968, Bd.1: 73 ff.
1.
Das theologische, in dem die letzten Ursachen der Erscheinungswelt einer übernatürlichen göttlichen Autorität zugeschrieben werden und Priester eine dominante Rolle spielen;
2.
das metaphysische, das von einem auf abstrakten Wesenheiten beruhenden Weltbild geprägt ist, und in dem Philosophen und Rechtsgelehrte prominente Positionen einnehmen, und
3.
das positive (wissenschaftliche), in dem unter der Führung von Wissenschaftlern und Wirtschaftsführern die Suche nach den letzten Ursachen zugunsten der Formulierung von objektiven, gesetzmässigen Zusammenhängen aufgegeben wird.
Der englische Philosoph Herbert Spencer (1820-1903) seinerseits entwickelte eine Evolutionstheorie nach der sich menschliche Gesellschaftenw vom Einfachen und Undifferenzierten (Homogenen) zum Komplizierten und Zusammengesetzten (Heterogenen) entwickeln und dabei einen Prozess der fortschreitenden Integration bei gleichzeitiger zunehmender Differenzierung durchlaufen. Er unterscheidet die folgenden drei Stufen:49
Nach Dürrenberger 1989: 98-99. Zu Herbert Spencer siehe auch z.B. Hauck 1988: 33 ff. und Kiss 1977: Bd.1, 253 ff.
1.
Primitive Gesellschaften: Hier gibt es nur geringe Arbeitsteilung und wenig regulierte Gruppenarbeit. Sitte und Brauch kontrollieren und integrieren das soziale Leben;
2.
Militärische Gesellschaften: Sie weisen einen höheren Grad der Arbeitsteilung und Spezialisierung auf und werden mittels unfreiwilliger Kooperation und erzwungener Konformität zu einer Ganzheit integriert, und
3.
Industrielle Gesellschaften: Hier geht die Differenzierung noch weiter; das zentralistische Organisationsprinzip wird gesprengt und die Bevormundung durch den Staat abgelöst durch bürgerliche Freiheiten. Heterogenität und Komplexität erfordern freiwillige Kooperation, Selbstbestimmung und rechtlich abgestützte Interessenharmonierung.
Diese und andere Theorien gerieten wegen ihres Postulats einer gerichteten Entwicklungssequenz vor der Jahrhundertwende in Misskredit. In neuerer Zeit sind aber derartige Ideen in modifizierter Form wieder aufgegriffen worden. Eine spezielle Spielart des Fortschrittsdenkens ist die Theorie der Modernisierung, die sich in erster Linie an der wirtschaftlichen Entwicklung der Neuzeit orientiert. Nach dem zweiten Weltkrieg wurden dabei die zur Weltmacht aufgestiegenen USA zum erstrebenswerten Vorbild. Z.B. war der Soziologe Talcott Parsons, selbst Amerikaner, überzeugt, dass die USA an der Spitze der Entwicklung der Industrieländer stünden. Mit Modernisierung ist also eine Entwicklung westlichen Stils gemeint, und im Zusammenhang mit der Problematik der Dritt-Welt-Länder kamen denn auch typischerweise Begriffe wie "Unterentwicklung" und "Entwicklungshilfe" auf. Nach dem deutschen Soziologen Wolfgang Zapf befasst sich die Modernisierungstheorie "mit einer epochalen, langfristigen, nicht selten gewaltsamen Transformation, die in Westeuropa begonnen, dann aber die ganze Welt in ihre Dynamik einbezogen hat."50
Aufgrund eines Manuskriptes von Wolfgang Zapf von 1974, zitiert in Hans-Ulrich Wehler 1975: 5-6.
Wie wir später sehen werden, können wir in diesem Prozess die Entwicklung zur ökonomischen Gesellschaftw erkennen, die also nach der Theorie der Modernisierung als etwas Erstrebenswertes erscheint. Dass diese in vielerlei Hinsicht nicht zu einem Fortschritt führt, ist aber spätestens seit der Existenz der ökologischen Krise klar geworden.
3.4 Die ungeplante aber trotzdem gerichtete Entwicklung: Elias
3.5 Systeme ohne Personen: Rappaport und Luhmann
3.6 Der Kreislauf von Aufstieg, Blüte und Zerfall: Toynbee
4. Stufen der gesellschaftlichen Entwicklung
4.1 Zur Entwicklung gesellschaftlicher Strukturen65
Im Sinne von Gesellschafte.
4.1.1 Archaische Gesellschaften
4.1.2 Politische Gesellschaften
4.1.3 Ökonomische Gesellschaft
4.2 Zur Entwicklung des Geschlechterverhältnisses
4.3 Zur Entwicklung kultureller Strukturen
5. Demographische und energetische Aspekte der kulturellen Evolution
5.1 Zur Bevölkerungsentwicklung
5.2 Zur Entwicklung des menschlichen Energieverbrauchs
Zitierte Literatur