Wie erwähnt ist bei Fried die "stratifizierte Gesellschaft" eine Organisationform, die als eine Übergangsform zwischen Häuptlingstum und Staat bzw. als eine Vorstufe der staatlichen Organisation verstanden werden kann, bei der das Prinzip des Staates implizit schon vorhanden ist. Zur Beibehaltung einer Schichtungsordnung sind Machtverhältnisse mit Sanktionsmöglichkeiten notwendig, die über die Ressourcen, die üblicherweise Verwandtschaftssystemen zur Verfügung stehen, hinaus reichen. Zu den grundlegenden Ressourcen zählen nun eher Kapital- und nicht mehr Konsumgüter, und diese sind nur einem Teil der Bevölkerung zugänglich. Als Folge davon gehören auch die Produkte spezifischen Individuen oder Gruppen. Wer keinen ungehinderten Zutritt zu Gütern mehr hat, muss sich diesen mit einem Arbeitseinsatz erkaufen. Damit aber sind wir am Beginn des Phänomens der Ausbeutung. Insgesamt führt diese Entwicklung zu einer Abschwächung und schliesslich zu einer Zerstörung der
Verwandtschaftsbeziehungen.84Nach Fried 1967, 185-189.
Genauer gesagt: Verwandtschaftsbeziehungen existieren natürlich weiterhin, aber sie verlieren ihre politische Bedeutung völlig, indem die verwandtschaftliche Organisation durch einen hierarchischen Aufbau von politischen Klassen ersetzt wird, eine Struktur, die quer zu den verwandtschaftlichen Strukturen verläuft. Bei Ernest Borneman kann man nachlesen, wie diese Umwandlung im alten Rom vor sich ging. Nach der Legende wurde die Stadt Rom 753 v.Chr. durch drei Stämme gegründet, die
Ramnes (hauptsächlich Latiner), die
Tities (Sabiner) und die
Luceres (andere Italiker mit einem starken etruskischen Element). Jeder Stamm
(tribus) zerfiel in 10 Bruderschaften
(curiae), jede Bruderschaft in 10 Sippen
(gentes). Vor der Stadtgründung wählte jede Sippe ihren Sprecher
(princeps), der jederzeit wieder abwählbar war. Jede Sippe, jede Bruderschaft und jeder Stamm besassen einen Rat
(comitium), der frei und unabhängig von jeglichen Besitzverhältnissen über das Schicksal der Gruppe entscheiden konnte. Dabei konnte der Bruderschaftsrat
(comitia curata) seine Stellung bis in spätere römische Zeiten beibehalten. Neu entstand die Institution des Senates
(senatus)85Von lateinisch senex = alt.
, der von den Sippenältesten gebildet wurde. Innerhalb jeder Sippe herrschte noch das alte Prinzip der Reziprozität bezüglich gegenseitiger Hilfeleistung. Noch bis in die späten Zeiten der Republik forderte die Mitgliedschaft in einer Sippe von einer Person eine höhere Loyalität ab als die Gesetze des Staates. Notgedrungen mussten sich daraus Konflikte
ergeben.86Vgl. Ernest Borneman 1984, 353-354. Siehe dazu auch Lewis Henry Morgan 1978, 300 ff.
Inzwischen war auch die neue Klasse der Plebejer entstanden, der Neuzuzüger nach Rom, die nicht in die bestehende Sippenordnung passten. Sie wurden zwar zu rechtmässigen Bewohnern der Stadt, aber sie hatten kein Stimmrecht und konnten auch keine politische Karriere machen; alle Posten im Staatsdienst waren vorläufig noch Sippenmitgliedern vorbehalten. Servius Tullius (576-533) führte dann eine Reform des politischen Systems durch: An die Stelle der alten Sippenordnung trat eine regionale Aufteilung, der Bruderschaftsrat wurde durch einen Hundertschaftsrat (comitia centurata) ersetzt und die Bürger wurden nicht mehr nach ihrer Abstammung, sondern nach ihrem Einkommen eingeteilt, womit der Blutadel durch einen Geldadel abgelöst wurde. Wer Geld hatte, konnte nun auch Amt und Ehren erlangen. In der Folge entspann sich ein Klassenkampf zwischen den Patriziern (als Vertretern der alten Sippenordnung) und den
Plebejern.87Siehe Borneman 1984, 363-365.
Ein wesentlicher Aspekt dieser ganzen Entwicklung war auch, dass eine ursprünglich matrizentrische Gesellschaftsordung in eine patriarchale transformiert
wurde.88Siehe Borneman 1984, 356 ff.
Je komplexer die Gesellschaft, desto komplexer wird auch das System der Arbeitsteilung und desto eher entstehen Arbeitsformen, die immer weiter von der Subsistenzproduktion entfernt sind. In einfachen Gesellschaften können alle erwachsenen Personen alles machen, z.B. Werkzeuge herstellen, während in komplexen Gesellschaften dies nicht mehr möglich
ist.89Vgl. Fried 1967, 190.
Umso mehr muss entsprechend ein kompensierendes Umverteilungssystem etabliert werden, und schliesslich ist nur ein staatlisches System in der Lage, den hierzu erforderlichen organisatorischen Aufwand zu leisten. Durch was zeichnet sich nun eine staatlich organisierte Gesellschaft insgesamt aus? Gestützt auf Fried und Sahlins nenne ich die folgenden
Punkte:90Nach Fried 1967, 235-238, und Sahlins 1968, 6-7.