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Selbstbestimmung

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Umwelterhaltung durch Selbstbestimmung

Dieter Steiner
Dieser Artikel ist erschienen in Hansjürg Büchi und Markus Huppenbauer (Hrsg.): Autarkie und Anpassung. Zur Spannung zwischen Selbstbestimmung und Umwelterhaltung. Westdeutscher Verlag, Opladen 1996, S. 257-283.
Dieses Buch enthält die Vorträge, die im Rahmen einer gleichnamigen interdisziplinären Vortragsreihe an der Universität und der ETH Zürich im Sommer 1994 gehalten wurden.
1. Einleitung: Was heisst Selbstbestimmung?
2. Das ökologische Versagen der Systeme
Wenn es zutrifft, dass die Systeme, insbesondere das Wirtschaftssystem, uns die heutigen Umweltprobleme beschert haben, dann ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass dieselben Systeme diese Probleme auch lösen können. Trotzdem kann ja die Frage nach der Möglichkeit ihrer Umpolung in ökologischer Richtung gestellt werden. Niklas Luhmann kommt in seiner systemtheoretischen Betrachtung zum Schluss, dass die Systemspezifität der Kommunikationscodes eine gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung mit der ökologischen Gefährdung weitgehend verunmöglicht.21
Vgl. Luhmann 1986. Er lässt es dabei bei der Diagnose bewenden, die Möglichkeit einer Therapie interessiert ihn wenig, bzw. betrachtet er als unmöglich, da es eine Evolution der Systeme gibt, deren Resultat wir immer nur abwarten, aber nicht beeinflussen können.
Nun könnte man erstens einwenden, dass sich Luhmann auf sehr abstraktem Niveau bewegt,22
Uwe Justus Wenzel sagt deshalb in einer Kurzbesprechung von Luhmanns jüngstem Buch "Das Recht der Gesellschaft": "Ganz sicher ist es nicht, dass die Lektüre Luhmannscher Texte das Wissen über Sachverhalte in der Welt mehrt" (Neue Zürcher Zeitung 117, 21./22. Mai 1994).
und dass es zweitens vielleicht denkbar wäre, dass ein System allein - in ökonomistischer Sichtweise müsste dies das Wirtschaftssystem sein -, stellvertretend für die Gesellschaft insgesamt, sich auf diese Gefährdung einstellen könnte. John Dryzek aber, der mit seinem Buch "Rational Ecology" eine auf viel konkreterem Boden durchgeführte, detaillierte Analyse des Vermögens der Systeme vorlegt, sich auf ökologische Ziele auszurichten, zeigt, dass es gerechtfertigt ist, von ihrem Versagen in dieser Hinsicht zu reden, und zwar im einzelnen wie auch im gesamten.23
Siehe John Dryzek 1987.
Wie es bei einer systemtheoretischen Perspektive angemessen ist, verwendet Dryzek für die Beschreibung des Operierens der von ihm untersuchten sozialen Systeme24
Dryzek redet von "social choice mechanisms", also Sozialwahl-Mechanismen. Er nimmt die folgenden unter die Lupe: Markt, Verwaltung, Recht, Apparat der moralischen Überzeugung, Polyarchie (demokratisches politisches System westlichen Stils), Diplomatie und Krieg (Dryzek 1987, 7 ff.).
ein Konzept von funktionaler Rationalität: "To describe a human social structure as functionally rational means, first and foremost, that its organization is such as to consistently and effectively promote or produce some value."25
Dryzek 1987, 25.
Er gibt dazu Beispiele: Ein rationales wirtschaftliches Unternehmen produziert Profite, ein rationales ökonomisches System befriedigt Konsumbedürfnisse, ein rationales Rechtssystem schlichtet Dispute, ein rationales kollektives Sicherheits-System erhält den Frieden. Darüber hinaus spricht Dryzek aber auch Ökosystemen eine funktionale Rationalität zu: "Setting aside ... the question of human interest, an ecologically rational natural system is one whose low entropy is manifested in an ability to cope with stress and perturbations, so that such a structure can consistently and effectively provide itself with the good of life support."26
Dryzek 1987, 35.
Dryzeks Frage ist nun, wie weit soziale Systemrationalitäten in der Lage sind, ihre Zielrichtung so zu verschieben, dass eine Persistenz des Wirkens von ökologischer Rationalität in der Umwelt gewährleistet ist. Für seine Analyse verwendet er eine Reihe von systemtheoretischen Kriterien, nämlich: Vermögen der negativen Rückkopplung, Vermögen der Koordination, Robustheit, Flexibilität und Resilienz, mit der folgenden Bedeutung:
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Vermögen der negativen Rückkopplung: Das System kann auf Signale aus der Umwelt, die eine unerwünschte Änderung anzeigen, korrigierend reagieren;
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Vermögen der Koordination: Das System kann sowohl auf dem Niveau der handelnden Individuen wie auch dem der kollektiven Aktionen Reaktionen aufeinander abstimmen;
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Robustheit: Das System kann unter verschiedensten Bedingungen gute Leistungen bringen;
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Flexibilität: Das System kann auf veränderte Umweltbedingungen mit strukturellen Änderungen antworten. Robustheit und Flexibilität können einander ersetzen, denn sie sind beide Ausdruck eines Vermögens, mit Variabilität umzugehen.
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Resilienz: Das System kann nach einem Verlust des Gleichgewichtes wieder in den Bereich der normalen Operationen zurückkehren.
Betrachten wir Dryzeks Untersuchungsergebnisse für das uns besonders interessierende Wirtschaftssystem, ergänzt durch Angaben aus ein paar andern Quellen.27
Siehe Dryzek 1987, Kap. 7 ("Markets"), 67-87.
Es verfügt über einen Mechanismus der negativen Rückkopplung, der über die Preissignale läuft und der sich auch auf Umweltgüter erstrecken kann, sofern diese internalisierbar sind, d.h. mit einem Preis versehen werden können. Allerdings müssen an der Wirkung dieser Kopplung aus Gründen der folgenden Behinderungen Abstriche gemacht werden:
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In vielen Fällen ist es schwierig bis unmöglich, Umweltgüter zu internalisieren, also mit einem Preis zu versehen.28
Zu den Schwierigkeiten der Quantifizierung und Monetarisierung externer Effekte sowie dem Problem, sie einem Verursacher zuzuschreiben, vgl. Franco Furger 1994, 92 ff.
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Zukünftige Güter werden infolge der Diskontierungspraxis systematisch unterbewertet, d.h. die Existenz eines positiven Zinsniveaus verschiebt Probleme in die Zukunft.29
Beispiel: Ein Schaden im Ausmass einer Million Franken, der aufgrund heutiger Aktivitäten in 100 Jahren auftritt, ist bei einem Zins von 5% heute nur 7600 Fr. wert, also praktisch vernachlässigbar. Es besteht somit ökonomisch gesehen kein Anlass, die fraglichen Aktivitäten zu unterlassen.
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Marktpreise orientieren lediglich über die relative Knappheit eines Gutes auf dem Markt, aber nicht über seine absolute Knappheit in der Biosphäre.30
Vgl. Mathis Wackernagel et al. 1993, 6.
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Die Aussage, eine internationale Arbeitsteilung aufgrund komparativer Vorteile führe zu einer allseitig vorteilhaften Situation und zur effizienten Nutzung von Ressourcen trifft nur bei Immobilität der Produktionsfaktoren (speziell des Kapitals) zu. Tatsächlich wird aber ja heute die unbeschränkte Mobilität dieser Faktoren gefördert.31
Nach Herman E. Daly 1993, 25. Daly beschreibt dieses Paradox wie folgt: "... free traders are using an argument that hinges on the impermeability of national boundaries to capital to support a policy aimed at making those same boundaries increasingly permeable to both capital and goods!" (Daly 1993, 25).
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Die ökonomische Rationalität impliziert eine miserable Moral, da sie nur auf materiellen Gewinn ausgerichtet ist.
Wie gut oder schlecht die negative Rückkopplung aber auch funktioniert, ihr Effekt wird längstens durch einen dominanten positiven Rückkopplungsmechanismus zunichte gemacht, nämlich die interne Wachstumslogik, die nicht nur die Umwelt, sondern auch das Wirtschaftssystem selbst gefährdet.32
Vgl. dazu die prägnante Schilderung "Ein System siegt sich zu Tode" von Mayer 1992.
Das Wirtschaftssystem verfügt auch über das Vermögen der Koordination in Form der "unsichtbaren Hand", deren Existenz im Prinzip nicht zu bestreiten ist. Aber es gibt Probleme:
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Die Koordination funktioniert nur für private Güter. Bei kollektiven und öffentlichen Gütern besteht die Gefahr der "Tragik der Allmende", bei der der Versuch aller Beteiligten, ihren Eigennutzen zu maximieren, die Ressource im ganzen zerstört wird. Traditionelle Lebensformen, bei denen die Beteiligten sich kennen, zeichnen sich dadurch aus, dass diese Gefahr durch eine Übereinkunft vermieden wird. Die Anonymität des modernen Marktes hingegen bedeutet, dass Wirtschaftssubjekte sich selten oder gar nicht begegnen und damit wenig Gelegenheit haben, ein kooperatives Verhalten zu entwickeln.
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Sofern traditionelle Systeme von Kooperation und Gemeinschaft aber noch bestehen, sind sie immer in Gefahr, unter dem Druck externer Marktkräfte zusammenzubrechen.
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Das Marktsystem ermöglicht einen Grad von Arbeitsteilung, bei dem Partikulärinteressen auf Kosten gemeinschaftlicher Belange in den Vordergrund treten.
Was die restlichen Kriterien anbelangt: Das ökonomische System ist robust, denn es kann unter sehr verschiedenen Umständen funktionieren, aber es ist unflexibel, d.h. seine Struktur (die Regeln, nach denen es funktioniert) ist gegen Veränderungen sehr resistent.33
Murray Bookchin glossiert diesen Umstand mit dem folgenden Satz: "One might more easily persuade a green plant to desist from photosynthesis than to ask the bourgeois economy to desist from capital accumulation" (Bookchin 1988, 66).
Um überhaupt zu strukturellen Veränderungen zu kommen, wäre eine starke sichtbare Hand vonnöten. Bezüglich der Resilienz ist es schwierig, verlässliche Aussagen zu machen.
Das ökologische Versagen des heutigen ökonomischen Systems klar erkennen zu können, ist besonders wichtig, da es sich zu einer absolut dominanten Stellung in unserer Gesellschaft aufgeschwungen hat. In evolutionärer Perspektive müsste dieses System eine untergeordnete Position einnehmen. Es dürfte sich zwar als evolutionär jüngere Erscheinung aus dem älteren politischen System ausdifferenziert haben und damit für neue Freiheitsgrade sorgen, aber es müsste gleichzeitig auch im politischen System eingebettet bleiben, d.h. es müsste von hier vorgegebene Rahmenbedingungen beachten (während das politische System seinerseits in kulturellen und schliesslich in ökologischen Belangen verankert sein müsste).34
Dabei geht es nicht nur um auch von den Ökonomen anerkannte ordnungspolitische Vorgaben, die zwar einen Rahmen setzen, aber das ökonomische System an sich sonst unverändert lassen, sondern um die Frage, ob solche Rahmenbedingungen nicht effektiv zu einem anders strukturierten ökonomischen System führen müssten. Thielemann z.B. sieht in der (zumindest partiellen) Entlastung des ökonomischen Handelns von Wettbewerbs¬zwängen eine Voraussetzung für eine moralische Ökonomie, die sich dann auch ökologisch reformieren könnte (Thielemann 1994, 63).
Wie wir wissen ist die tatsächliche Situation aber eher umgekehrt, oder aber die beiden Systeme verbünden sich miteinander, und deshalb ist auch von der Kombination nichts zu erwarten. Parallel zum Marktversagen gibt es ein Staatsversagen, das Thema eines Buches von Martin Jänicke.35
Siehe Martin Jänicke 1986, besonders Kap. III ("Zur Theorie des Staatsversagens"), 52-62.
Das ökonomische System schafft Probleme, die dem Staat überbunden werden. Er ist davon überfordert, umgekehrt aber auch mitverantwortlich für die Probleme, weil er auf Gestaltung und vorsorgliche Intervention verzichtet. Je mehr Geld der Staat für die Bearbeitung industriegesellschaftlich erzeugter Probleme ausgibt, desto breiter "institutionalisiert" er ein Desinteresse an einer vorsorglichen Problemvermeidung. Und je weniger der Staat präventiv eingreift und nachträglich und teuer repariert, desto stärker wächst mit dem Finanzbedarf seine Abhängigkeit von der Steuerdividende der Wachstumswirtschaft.36
Der grundlegende Widerspruch, der in diesem Zusammenwirken von Staat und Wirtschaft zum Ausdruck kommt, wird von Giddens als struktureller Widerspruch ("structural contradiciton") thematisisert: "The primary contradiction of the capitalist (nation-)state is to be found in the mode in which a 'private' sphere of 'civil society' is created by, but is separate from and in tension with, the 'public' sphere of the state. ... The capitalist state, as a 'socializing' centre representing the power of the community at large, is dependent upon mechanisms of production and reproduction which it helps to bring into being but which are set off from and antagonistic to it" (Giddens 1984, 197).
3. Ökoregionen als Lebensräume
4. Herrschaftsfreie Gemeinschaften
5. Selbstrealisierung
6. Schluss: Der Weg nach Ökotopia beginnt unten
Literatur