In Verteidigung der “Natürlichkeit” dieser Annahmen wird, in Übereinstimmung mit Smith, der Hang zum Tauschen und Feilschen als eine menschliche Konstante gesehen, die schon bei den archaischen Gesellschaften wirksam war. Wenn wir uns an das erinnern, was wir über diesen Gesellschaftstyp gesagt haben (vgl. 2.1, 3.1, 4.1, 5.1), wird uns klar, dass dies eine völlig unhaltbare Vorstellung ist. Interessanterweise bildet Friedrich August von Hayek (1899-1992), oft als einer der herausragendsten liberalen Denker dieses Jahrhunderts betrachtet, in dieser Beziehung eine
Ausnahme.261Friedrich August von Hayek erhielt 1974 zusammen mit Gunnar K. Myrdal den Nobelpreis in Wirtschaftswissenschaften (vgl. Graham Bannock, R.E. Baxter und Ray Rees 1980, 209-210).
Er vertritt die Meinung, das Leben archaischer Menschen hätte sich nach einer instinkt-gesteuerten Solidarität gerichtet, und diese sei dem Fortschritt im Wege gestanden. Zu einem solchen konnte es erst durch die Überwindung dieses Zustandes kommen: In einem Lernvorgang wurde klar, dass das Verfolgen eigennütziger Interessen das Ausbrechen aus hemmenden sozialen Zusammenhängen und gleichzeitig auch eine Koordination des Handelns von sehr vielen Menschen ermöglicht. Es entstand eine
extended order, wie von Hayek dies nennt - wir können uns darunter das vorstellen, was bei Anthony Giddens “System-Integration” heisst, also ein gesellschaftlicher Zusammenhalt, der durch weitgehend anonyme Beziehungen zustandekommt. Wie ist dies möglich? Das eigennützige Handeln der Einzelnen führt in der Form gewissermassen unbeabsichtigter Folgen zu Regeln, die einen Marktmechanismus steuern, und dieser Mechanismus ist anderen Prinzipien überlegen und setzt sich deshalb in einer darwinistisch operierenden Auslese durch. Von Hayek legt Wert auf die Feststellung, dass das Ganze ungeplant ist, dass sich aus einer unregulierten Selbstorganisation insgesamt etwas Gutes ergibt, ganz im Gegensatz zum Versuch einer vorausschauenden Planung, was stets schief
läuft.262Von Hayek kann es nicht lassen, bei jeder Gelegenheit Seitenhiebe auf die Sozialisten als eben den “Planern” auszuteilen, deshalb auch der Untertitel seines Buches: “The Errors of Socialism”.
Für die neuere Entwicklung haben die Überlegungen von Hayeks zweifellos etwas auf sich - wobei er allerdings nur über die positiven Seiten des Geschehens redet -, während seine Aussagen über die weiter zurückliegende kulturelle Evolution von wenig Verständnis zeugen. Insbesondere übersieht er mit seiner These, wonach die Ökonomisierung unmittelbar auf die Überwindung der archaischen Solidarität folgte, auch völlig die Stufe der politischen Gesellschaften.