Das wirtschaftliche Hauptprinzip, das in politischen Gesellschaften spielt, ist das der Umverteilung oder Redistribution, die insbesondere die Nahrungsmittel betrifft. Sie wird notwendig, weil jetzt infolge der gesellschaftlichen Differenzierung und Arbeitsteilung nicht-produzierende Klassen (Adlige, Priester, Soldaten, Handwerker) entstanden sind, die versorgt werden müssen. Dazu ist notwendig, dass die in der Landwirtschaft Tätigen einen Überschuss (Surplus), also mehr als sie selbst für ihre eigene Selbstversorgung brauchen, produzieren, und an eine zentrale Stelle abliefern, von der aus dann die Umverteilung organisiert wird (vgl. Abb.14). Sahlins meint, unter einem allgemeineren Gesichtspunkt fielen die in 5.1 betrachtete Reziprozität und die hier diskutierte Redistribution in die gleiche Kategorie, denn die letztere könne ebenfalls als ein System von Reziprozitäten verstanden werden. Er betont aber, dass die mit den beiden Typen verbundene soziale Organisation sehr unterschiedlich
sei.190Siehe Sahlins 1976, 288.
Der Vorgang der Redistribution stellt auch noch keineswegs ein ausdifferenziertes ökonomisches System dar: “Wir sehen, dass der Prozess der Redistribution in der Regel einen Teil des vorherrschenden politischen Regimes bildet, ob es sich nun um einen Stamm, einen Stadtstaat, eine Despotie oder auf Vieh oder Boden gestütztes Feudalsystem
handelt.”191Polanyi 1977, 76.
In “Politisches” haben wir gesehen, wie schon im Rahmen von Stammesgesellschaften eine noch wenig systematische und sporadisch auftretende Umverteilung über “big men” laufen kann (vgl. 2.3) und wie sich dann dieses Prinzip in Häuptlingstümern institutionalisieren kann (vgl. 2.4). Hier hat das System aber vorderhand immer noch einen vorwiegend sozialen Charakter, indem jemand, der Zugang zu Gütern hat, diese nicht als Reichtümer akkumuliert, sondern an andere verteilt, selbst sogar in relativer Armut lebt und damit Prestige erwerben kann. Es besteht aber immer die Gefahr, dass ein derartiges Umverteilungssystem zu einem Instrument der politischen Machtgewinnung pervertiert, bei dem nun umgekehrt Ansehen gewinnt, wer Reichtum und ein auffälliges Konsumverhalten demonstrieren kann. Spätestens hier wird die Umverteilung über ein zwangsweises Abgabensystem alimentiert. Wir haben dazu ein auffälliges Beispiel in Form der voreuropäischen hawaiianischen Gesellschaft kennen gelernt, in der eine Statusrivalität zwischen Häuptlingen eine bereits umweltschädigende Prestigeökonomie ankurbelte (siehe 3.4 in “Politisches”).