www.humanecology.ch · Skripten 1998/99 · Menschwerdung

5.2 Die Form der menschlichen Sprache

Die stimmlichen Äusserungen der Tiere beschränken sich auf voneinander unterscheidbare Laute oder Lautkombinationen, die aus einem endlichen Repertoire stammen und bei bestimmten Situationen immer gleichartig zur Anwendung kommen. Die Gesamtheit einer solchen Äusserung, die Lautgestalt, entscheidet dabei über ihre Bedeutung. Die menschliche Sprache unterscheidet sich davon grundsätzlich. Sie hat eine Dualität der Struktur, d.h. sie ist zweistufig aufgebaut. Eine Bedeutung ergibt sich auf der oberen Stufe, auf der Wörter zu Sätzen zusammengesetzt werden. Eine Bedeutung kann schon ein einzelnes Wort haben. Vielfach aber ergibt sich diese erst aus einem vollständigen Satz. Wörter sind aus kleineren Lautelementen zusammengesetzt, den sog. Phonemen, denen allein keine Bedeutung zukommt, die aber, wenn sie einander ersetzen, die eines Wortes ändern können. Ein Beispiel ist durch das Wortpaar "Bar" und "Paar" gegeben. Hier sind die beiden Konsonanten B und P Phoneme, da sie unterscheidbar ausgesprochen werden können und damit auch für die beiden Wörter, die sonst eine übereinstimmende Lautgestalt haben, eine bedeutungsdifferenzierende Funktion haben.
Die in einer menschlichen Sprache möglichen Äusserungen bauen sich nach den Regeln einer Grammatik auf. Entsprechend der dualen Struktur sind dabei zwei Arten zu unterscheiden: Auf der Ebene der Phoneme gibt es Regeln, die angeben, in welcher Art Phoneme zu Wörtern zusammengesetzt werden können (Phonologie). Z.B. ist im Deutschen eine Kombination der beiden Konsonanten b und t in dieser Reihenfolge (wie etwa im Wort "Abt") erlaubt, wohingegen die Umkehrung "tb" nicht statthaft ist. Auf der Ebene der Wörter gibt es Regeln, die darüber entscheiden, wie aus ihnen ganze Sätze gebildet werden können, wobei auf eine Unterscheidung der Wörter in Typen (wie Substantive, Adjektive, Verben usw.) zu achten ist (Syntax). Die menschliche Sprache ist also ein zweistufiges, sequentielles Zeichensystem, wobei es erlaubte und nicht erlaubte Sequenzen gibt. Ausserdem ist es möglich, dass eine erlaubte Sequenz in eine andere ebenfalls erlaubte Sequenz umgestellt werden kann, was evtl. eine Bedeutungsänderung zur Folge hat. In diesem Sinne haben die Sequenzen einen relationalen und nicht bloss einen kombinatorischen Charakter. Des weiteren ist eine menschliche Sprache ein offenes System. Das heisst, dass mit einer beschränkten Anzahl von grammatikalischen Regeln theoretisch erstens unendlich lange Sätze und zweitens unendlich viele verschiedene Sätze erzeugbar sind. Ein flexibler Gebrauch der Sprache ist ein Ausdruck menschlicher Kreativität.