www.humanecology.ch · Skripten 1998/99 · Biologische Evolution

2.5.1 Die Systemtheorie der Evolution von Rupert Riedl80

Riedl, ein österreichischer Biologe, stellt sich mit seiner Theorie gegen die kausalen Einbahn-Vorstellungen der synthetischen Theorie. Diese hält sich an die in 1.5 genannte Weisman-Doktrin, wonach strikte die Gene die Phäne81 beeinflussen und nicht umgekehrt. Riedl geht von den Gen-Wechselwirkungen aus und postuliert, dass nur solche selektiv gefördert werden, die zu brauchbaren funktionalen Verbindungen im phänologischen Bereich (z.B. zwischen dem Kopf und der Pfanne eines Gelenks) führen. "Das aber lässt eine Rückwirkung des Funktionssystems der Phäne auf das Funktionssystem der Gen-Wechselwirkungen erwarten."82 Es gibt also ausser der Selektion durch die äussere Umwelt auch eine solche durch die innere Umwelt. In Abbildung 5 ist gezeigt, wie sich eine derartige interne Selektion über mehrere Stufen fortsetzen kann. Mit diesem Ansatz verlässt zwar Riedl den materialistischen Bereich nicht; so sieht er sich selbst auch als ein Forscher, der nachgewiesen hat, dass die Finalität (die Zweckgerichtetheit) in biologischen Systemen eine scheinbare ist, da sie einen selektiven Charakter hat und somit aus rein kausal erworbenen Programmen besteht.83 Aber er tut einen ersten Schritt, indem er mit den Gen-Phän-Wechselwirkungen das bei der synthetischen Theorie massgebliche linear-kausale durch ein zirkulär-kausales Denken ersetzt, womit er ein gewissermassen kybernetisches Element hinein bringt.
Abbildung 5: Gegenüberstellung der Theorie der Ursachen nach der "Synthetischen Theorie" und nach der "System-Theorie der Evolution" (aus Riedl 1985: 178)
Abbildung 5: Gegenüberstellung der Theorie der Ursachen nach der "Synthetischen Theorie" und nach der "System-Theorie der Evolution" (aus Riedl 1985: 178)

Anmerkungen

80
Siehe dazu die ausführliche Darstellung bei Rupert Riedl 1975 und die knappen Zusammenfassungen in Riedl 1985: 177 ff. und Wuketits 1981: 95 ff.
81
Phän (griech.) = ein einzelnes, deutlich in Erscheinung tretendes Merkmal eines Lebewesens (Redaktion Naturwissenschaft und Medizin des Bibliographischen Instituts 1983, Bd.3, 279).
82
Riedl 1985: 177.
83
Siehe Riedl 1985: 94.