Maturana und Varela sind aus Chile stammende Biologen; der letztere ist heute als Neurobiologe in Paris tätig. Sie haben einen weitergehenden systemtheoretischen Ansatz entwickelt, der mit zirkulären Kausalitätsverhältnissen operiert. Und zwar wird damit zum Ausdruck gebracht, dass sich ein biologischer Organismus selbst produziert, denn Autopoiese bedeutet
Selbstproduktion:85Siehe Varela 1979: 12 ff. und Maturana und Varela 1987: 55 ff. Die autopoietische Systemtheorie stellt einen Spezialfall der Selbstorganisationstheorien dar. Der Begriff der Autopoiese ist aus den griechischen Wörtern autos = selbst und poiein = produzieren abgeleitet.
Es gibt Prozesse (Netzwerke von Relationen), die die Teile des Systems produzieren. Das Verhalten dieser Teile ihrerseits ist so, dass sie andauernd diese Prozesse regenerieren und realisieren. Betrachten wir die biologische Zelle, die ein autopoietisches Systems 1.Ordnung darstellt: Aus einer molekularen Suppe hebt sich eine Zelle dadurch heraus, dass sie Grenzen definiert. Dies geschieht durch molekulare Produktionsvorgänge, und diese werden ihrerseits erst durch die Existenz von Grenzen möglich gemacht. Chemische Umwandlungen und physikalische Grenzen bedingen einander also wechselseitig. Es besteht somit eine völlige Zirkularität zwischen Produzent und Produkt, eine Situation, die Varela gerne mit der Zeichnung von M.C. Escher symbolisiert, auf der sich zwei Hände gegenseitig selbst zeichnen (siehe Abbildung 6). Ein autopoietisches System ist in einem organisatorischen Sinne ein geschlossenes
System,86Im energetischen und materiellen Sinne dagegen ist ein Lebewesen natürlich ein offenes System.
sog. "operational geschlossen", d.h. es empfängt keinen für seine Organisation notwendigen informatorischen Input aus der Umwelt und ist damit autonom. Mit Organisation ist das Netzwerk der Relationen zwischen den Komponenten in einem abstrakten Sinne gemeint, d.h. Materialität wird impliziert, kommt aber in der Beschreibung der Organisation explizit nicht vor. Ein autopoietisches System ist robust, indem es in einem weit gefassten Bereich Störungen aus der Umwelt, Perturbationen genannt, so verarbeiten kann, dass seine Organisation aufrecht erhalten bleibt. Erst wenn die Geschlossenheit des Systems unterbrochen wird, verschwindet es als eine Einheit. Perturbationen können aber auch eine positive Bedeutung haben: Treten sie wiederholt auf, z.B. als Interaktion zwischen zwei Organismen, können sie den Charakter einer sog. strukturellen Kopplung annehmen, die dann gegenseitig die Autopoiese der beteiligten Systeme unterstützt; aus der Interaktion kann z.B. eine symbiotische Beziehung werden (vgl. Abbildung
7).87Vgl. Maturana und Varela 1987: 85 ff.