Druckversion  ·  Kontakt

Selbstbestimmung

Diese Seite ist im Aufbau begriffen. Der Text ist vollständig, aber es fehlen noch die Abbildungen.

Umwelterhaltung durch Selbstbestimmung

Dieter Steiner
Dieser Artikel ist erschienen in Hansjürg Büchi und Markus Huppenbauer (Hrsg.): Autarkie und Anpassung. Zur Spannung zwischen Selbstbestimmung und Umwelterhaltung. Westdeutscher Verlag, Opladen 1996, S. 257-283.
Dieses Buch enthält die Vorträge, die im Rahmen einer gleichnamigen interdisziplinären Vortragsreihe an der Universität und der ETH Zürich im Sommer 1994 gehalten wurden.
1. Einleitung: Was heisst Selbstbestimmung?
2. Das ökologische Versagen der Systeme
3. Ökoregionen als Lebensräume
4. Herrschaftsfreie Gemeinschaften
5. Selbstrealisierung
6. Schluss: Der Weg nach Ökotopia beginnt unten
Alles Utopien? Ja, sicher. Wir sind aber auf Utopien als Wegweiser angewiesen. Dabei ist die Auffassung von Humberto Maturana aufschlussreich, wonach eine wirkliche Utopie mit positivem Charakter eine ist, die etwas Verlorenes wiederzugewinnen versucht.80
Humberto Maturana im Vortrag "The integrated scientist and the courage of utopia", gehalten am 2. 9. 1989 anlässlich der 4. Cortona-Woche (veranstaltet von Pier Luigi Luisi, ETH Zürich).
Eine Ausrichtung an Vergangenem als atavistisch anzusehen, wäre falsch. Es geht ja nicht um eine Rückkehr - die tatsächlich gar nicht möglich ist - sondern um eine Wiederanknüpfung an diesem Vergangenen, jedenfalls soweit wir es eben als positiv betrachten können. Ohne eine solche Verankerung gibt es keinen Weg vorwärts.81
Vgl. dazu Steiner 1994.
Werfen wir zum Schluss einen Blick auf ein recht konkretes Szenarium einer weltweiten hierarchischen Struktur mit ökoregional-gemeinschaftlichem Charakter, ausgearbeitet vom Schriftsteller p.m. unter der Bezeichnung "bolo'bolo".82
Siehe p.m. 1990. 'bolo-bolo' weist gewisse Ähnlichkeiten mit dem Konzept der auf dem Prinzip des "Mutualismus" aufbauenden föderalistischen Idealgesellschaft von Pierre-Joseph Proudhon (1809-1865) auf. Siehe dazu Cantzen 1984, 36 ff.
Es sieht als Grundeinheit der menschlichen Gemeinschaft das "bolo" vor, das etwa 500 Menschen umfasst und sich nach unten flexibel in Hausgemeinschaften, Familien und Einzelpersonen gliedert und damit verschiedene Lebensweisen ermöglicht. Das bolo sorgt für die Befriedigung der Grundbedürfnisse seiner Bewohner wie Nahrung und medizinische Betreuung. Hinsichtlich der ersteren herrscht weitgehende Selbstversorgung, die durch eine im Einklang mit den natürlichen Gegebenheiten betriebenen Landwirtschaft garantiert wird. Der Bereich der handwerklichen und industriellen Produktion dagegen ist breiter und vielfältiger, da er weniger natürlichen Beschränkungen unterworfen ist. Damit ergeben sich auch Austausch und Zusammenarbeit in einem grösseren Rahmen. Innerhalb des bolos geschieht viel im persönlichen, direkten Austausch; so wird auch die Geld- weitgehend durch eine Tauschwirtschaft ersetzt. Die vorhanden Ressourcen werden vorwiegend gemeinsam benutzt, es gibt ein Minimum an Privatbesitz. Es werden bestehende Gebäude umgenutzt und in gegenseitige Beziehung gesetzt (siehe Abb. 1). Dabei werden Wohnung und Arbeitsplatz, Produktion und Verbrauch, Arbeit und Erholung wieder zusammengeführt, womit das Verkehrs¬aufkommen minimiert wird. Ein Mensch ist in demjenigen bolo beheimatet, in dem er geboren ist. Er kann dieses aber auch verlassen und mit der Gastfreundschaft anderer bolos rechnen. Die politische Struktur ist eine anarchische, d.h. die meisten Regeln sollen sich direkt aus dem alltäglichen Zusammenleben ergeben. Nur was damit nicht geregelt werden kann, wird an übergeordnete Verwaltungsgremien delegiert, deren Mitglieder durch das Los bestimmt werden. Nach oben schliessen sich bolos über Zwischenstufen zu "sumis", zu autonomen Regionen zusammen, die je etwa 8000 bolos und mehrere Millionen Menschen umfassen und für diese Menschen die grösste unmittelbar erlebbare gesellschaftliche Einheit darstellen.83
Vgl. p.m. 1990, 143 ff. Die Zwischenstufen sind: a) Das "tega", ein Verband von 10-20 bolos (also 5000-10'000 Menschen), die infolge Nachbarschaft oder gemeinsamer Interessen zusammenarbeiten, in der Grösse etwa einem Dorf, einem Stadtviertel oder einer Kleinstadt entsprechend (siehe p.m. 1990, 133 ff.); b) das "fudo", ein Zusammenschluss von 10-20 tegas (100-400 bolos, 50'000-200'000 Menschen) zu einem Bezirk oder einer Stadt (siehe p..m. 1990, 141 ff.).
Die Regionen, deren es etwa 750 geben würde, schicken Vertreter in eine planetare Versammlung.
In der Stadt Zürich existierte über zweieinhalb Jahre lang eine Siedlung mit bolo-haftem Charakter, bestehend aus einer Reihe von Industrie- und Wohngebäuden auf dem sog. Wohlgroth-Areal, die von jungen Leuten besetzt worden waren (siehe Abb. 2). Die Oerlikon-Bührle Immoblien AG84
Eine Tochtergesellschaft des Waffen-Konzerns Oerlikon-Bührle
hatte im Verlauf der 80er-Jahre diese Liegenschaften erworben, um sich das Areal für eine Grossüberbauung mit Büros, Läden und Wohnungen zu sichern. Es wurden Synergieeffekte mit dem geplanten "HB-Südwest" erwartet, einem Bahngeleise-Überbauungsprojekt der Megaklasse. Dieses letztere Projekt versandete aber, und danach standen die Wohlgroth-Häuser leer. Die BesetzerInnen
hauchten ... den von ihnen instandgestellten Gebäuden neues Leben ein und schufen einen Pol prickelnder Urbanität. Risikokapital in fast unbegrenzter Höhe aus der eigenen Tasche vorschiessend, ohne fremde Mittel und staatliche Zuschüsse, führten die WohlgrothianerInnen den lavierenden und palavernden PolitikerInnen ein Beispiel eigenverantwortlichen Stadtumbaus vor. Es gelang ihnen, die Energie von über hundert Menschen mit unterschiedlichstem Hintergrund zusammenzubringen und auf ein eigentliches Modell-Projekt nachhaltiger Stadtentwicklung zu bündeln.85
Richard Wolff in "Wem gehört die Stadt?" Zürcher StudentIn vom 3. Dez. 1993.
Inzwischen sind die Häuser geräumt und geschleift, der "Traum mit unbekanntem Verfalldatum" 86
In "Farben einer Stadt. In Zürichs besetzten 'Wohlgroth'-Häusern", Das Magazin (Wochenendbeilage des Zürcher Tages-Anzeiger) Nr. 43 vom 30. Nov. 1993.
ist vorbei. Ich glaube, dass ein Experiment wie das Wohlgroth uns viel zu sagen hat, obschon oder vielleicht gerade weil es einen illegalen Charakter hatte. Jedenfalls: Der Weg nach Ökotopia, wenn es überhaupt einen gibt, beginnt unten, an der Basis. Selbstorganisation ermöglicht Selbstbestimmung und Selbstbestimmung fördert Selbstorganisation. Es wäre klug, diesem Zusammenhang Raum zu geben, damit er sich entfalten kann.
Literatur