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Selbstbestimmung

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Umwelterhaltung durch Selbstbestimmung

Dieter Steiner
Dieser Artikel ist erschienen in Hansjürg Büchi und Markus Huppenbauer (Hrsg.): Autarkie und Anpassung. Zur Spannung zwischen Selbstbestimmung und Umwelterhaltung. Westdeutscher Verlag, Opladen 1996, S. 257-283.
Dieses Buch enthält die Vorträge, die im Rahmen einer gleichnamigen interdisziplinären Vortragsreihe an der Universität und der ETH Zürich im Sommer 1994 gehalten wurden.
1. Einleitung: Was heisst Selbstbestimmung?
2. Das ökologische Versagen der Systeme
3. Ökoregionen als Lebensräume
Aus rein ökonomistischer Sichtweise ist der Schluss wohl folgerichtig, die Umweltprobleme liessen sich am besten durch eine möglichst deregulierte und globalisierte Wirtschaft lösen. Leider lehrt die an den Tatsachen orientierte Erfahrung, dass die zunehmende Internationalisierung der freien Marktwirtschaft eine Quelle massiver Umweltzerstörung ist.37
Siehe dazu Daly 1993. Eine Globalisierung sehe ich als sicheren Weg zum beschleunigten Untergang. Wenn einem die zerstörerische, kaum zu bremsende Kraft des Wirtschaftssystems bewusst geworden ist, müsste man logischerweise eigentlich, wie dies von Lothar Mayer diskutiert wird, zum Schluss kommen, es müsste alles getan werden, um die Selbstvernichtung des Systems zu beschleunigen, weil eine Abnahme der Systemakzeptanz offenbar nur über Katastrophen zu erwarten ist (Mayer 1992, 55). Wer rational, und zwar eben nicht nur eng ökonomisch-rational, denkt, muss die Globalisierung aus diesem Grund eigentlich unterstützen. Mayer selbst allerdings meint, es sei "für einen Menschen mit Herz und Verstand, mit Leidenschaft und Engagement", unmöglich, dieser Einsicht zu folgen. Er müsse sich trotzdem dem Kampf gegen die Umweltzerstörung stellen, zwar ständig seine Sinnlosigkeit vor Augen habend, aber doch darauf hoffend, dass damit ein Beitrag zum Bewusstseinswandel geleistet sei (Mayer 1992, 56-58).
Je anonymer die systemische Integration38
Im Gegensatz zur sozialen Integration, vgl. Fussnote 17.
des wirtschaftlichen Geschehens, desto grösser ist die Verantwortungslosigkeit.39
Damit soll nicht gesagt sein, dass alle Wirtschaftssubjekte primär verantwortungslos sind, sondern dass sie im Sinn der Rede von der "organisierten Unverantwortlichkeit" (Untertitel eines Buches von Ulrich Beck 1988) Verantwortung gar nicht wahrnehmen können
Daraus ziehe ich die Folgerung, dass wir zu überschaubaren Strukturen zurückfinden sollten, bei denen die Bezüge von Menschen zum Lebensraum wieder enger werden. Geographisch gesehen bedeutet dies im Gegensatz zur Globalisierung eine Regionalisierung, d.h. eine Besinnung und Ausrichtung unseres Lebens auf regionale Grundlagen und Zusammenhänge. Wir können dies als eine gesellschaftliche Umstrukturierung verstehen, die eine territoriale an die Stelle der genannten funktionalen Differenzierung setzt. Diese Sichtweise findet Unterstützung von vielen Seiten, z.B. bei E.F. Schumacher mit seinem "small is beautiful",40
E.F. Schumacher meint: "Was heisst denn Demokratie, Freiheit, Menschenwürde, Lebensstandard, Selbstverwirklichung, Erfüllung? Geht es dabei um Güter oder um Menschen? Selbstverständlich geht es um Menschen. Doch Menschen können nur in kleinen, überschaubaren Gruppen sie selbst sein. Wir müssen daher lernen, uns gegliederte Strukturen vorzustellen, innerhalb derer eine Vielzahl kleiner Einheiten ihren Platz behaupten kann. Wenn unser wirtschaftliches Denken das nicht erfasst, dann taugt es nichts" (Schumacher 1985, 67).
bei John Dryzek, der zum Schluss kommt, dass eine "radikale Dezentralisierung" vonnöten sei,41
Dryzek 1987, Kap.16 ("Radical Decentralization"), 216-229.
und bei Gerhard Bahrenberg und Marek Dutkowski, die das Verfolgen einer "ökoregionalen Strategie" postulieren.42
Siehe Gerhard Bahrenberg und Marek Dutkowski 1993.
Entsprechende Ideen kursieren in Nordamerika im Zusammenhang mit einem Diskurs über "Bioregionalismus".43
Vgl. Van Andruss u.a. 1990. Ein Artikel von Jim Dodge in diesem Buch trägt den Titel "Living by life", was auf das grundlegende Konzept des Bioregionalismus hindeutet, nämlich eine Orientierung der menschlichen Existenz am Leben, nicht am wirtschaftlichen Profit oder an der politischen Macht. Die drei Elemente, die dies ermöglichen sollen, sind "a decentralized, self-determined mode of social organization; a culture predicated upon biological integrities and acting in respectful accord; and a society which honors and abets the spiritual development of its members" (Dodge 1990, 10).
Eine territoriale Organisation soll einen Rahmen für die beiden ersten Notwendigkeiten schaffen, nämlich für die Orientierung an einem überschaubaren Lebensraum und an einer überschaubaren Gemeinschaft. Diese beiden ergänzen und beeinflussen sich gegenseitig. Mit andern Worten, eine solche Struktur kann der Befreiung von Systemzwängen und der Förderung echter Selbstbestimmung dienen. Arne Naess drückt es so aus:
... in as many as possible of the essential aspects of life, one should be able to resist coercion. These freedoms are diminished every time there is a centralisation of a decision in the sense that some actor at a distant centre contributes to the decision in a way that must be felt to come from the outside, unduly narrowing one's own freedom of choice. Therefore ecological policies will be on the side of decentralisation.44
Arne Naess 1993, 142.
Unter einer Ökoregion wird ein auf Grund natürlicher Gegebenheiten geographisch begrenzter Raum verstanden,45
Zur geographischen Abgrenzung von Ökoregionen siehe Dodge 1990, 6-8.
der sich durch ein hohes Mass an politischer Autonomie und wirtschaftlicher Autarkie auszeichnet. Die politische Autonomie soll eine exklusive Kontrolle und Rechtssprechung der regionalen Bevölkerung über die im Gebiet vorkommenden Ökosysteme mit ihren produktiven, protektiven und abfall-assimilierenden Funktionen ermöglichen, wobei auch ein möglichst hohes Mass an gemeinschaftlichem Besitz anzustreben wäre. Möglichst grosse wirtschaftliche Autarkie beinhaltet einen hohen Grad von Selbstversorgung, was eine direkte kreative Auseinandersetzung mit den regional vorhandenen natürlichen Grundlagen erfordert. Die internationale Arbeitsteilung wird also nicht weiter gefördert, sondern stark abgebaut.46
Was an interregionalem Austausch von Ressourcen bleibt, soll dem Gesichtspunkt der Förderung der Selbstbestimmung untergeordnet sein. Dazu Arne Naess: "What is suggested through self-reliance is not that all kinds of such communication should cease, but that they should be carried out only if favourable for Self-realisation [ein Begriff, auf den ich in Kapitel 6 zurückkommen werde], and not done as a necessity for satisfying needs that could be satisfied locally just as well" (Naess 1993, 143).
Aber auch an der Basis soll der Grad der Arbeitsteilung durch eine berufliche Rotation oder Diversifikation vermindert werden, so dass intellektuelle und physische Arbeit wie auch Industrie und Landwirtschaft einander näherrücken.47
Bookchin 1988, 69.
Für die Ressourcengewinnung und -verarbeitung sind ökologisch verträgliche Technologien kleinerer Grössenordnung einzusetzen (z.B. Verwendung von Sonnen- und Windenergie). Und das Prinzip einer möglichst grossen Selbstversorgung (und Dezentralisierung) soll auch für die einzelnen Haushalte gelten, die damit weitgehend "desindustrialisiert" werden können, d.h. sich von Transitstationen, bei denen Konsumgüter hinein- und Abfallprodukte hinausfliessen,48
Vgl. dazu Hartmut Häussermann 1987, 16.
zu Orten vermehrter Eigenarbeit zurückverwandeln können.
Den handfestesten Grund für eine Forderung nach möglichst grosser regionaler Selbstversorgung liefern Überlegungen zur Tragfähigkeit. Dazu William E. Rees und Mathis Wackernagel:
If all human populations were able to live within their own regional carrying capacities (i.e., on the continuous flows generated by natural capital within their home regions) the net effect would be global sustainability. However, no region exists as an independent unit - the reality is that the populations of all urban regions and many whole nations already exceed their territorial carrying capacities and depend on trade and natural capital depletion for survival. Such regions are running an unaccounted ecological deficit - their populations are appropriating carrying capacity from elsewhere or from future generations.49
William E. Rees und Mathis Wackernagel 1992, 10.
Die beiden genannten Autoren haben deshalb ein Instrument entwickelt, das in anschaulicher Weise die von einer bestimmten regionalen Bevölkerung in Anspruch genommene Tragfähigkeit bestimmt. Diese wird in Landfläche ausgedrückt und "ecological footprint" bzw. "appropriated carrying capacity" genannt.50
Siehe Wackernagel et al. 1993
Die Anwendung auf westliche Länder zeigt, in welchem Ausmass sie auf zu grossem Fuss leben, oder, umgekehrt, in welchem Ausmass sie ihren Lebensstil einschränken müssten, wenn es zu einer fairen Verteilung der Ressourcennutzung auf diesem Planeten kommen sollte.
Welches sind ansonsten die vermuteten positiven Auswirkungen von ökoregionalen Strukturen? Die folgende Liste gibt auf diese Frage beispielhafte Antworten:51
Z.T. nach Bahrenberg und Dutkowski 1993.
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Signale aus der Umwelt haben einen kürzeren und direkteren Weg und damit eine grössere Chance, unverzerrt registriert werden zu können;
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Die Versorgungswege sind kurz, das Transportaufkommen damit entsprechend klein;
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Gemeinschaftlicher Besitz ermöglicht einen kollektiv regulierten Zugang zu den natürlichen Ressourcen und verhindert deren Ausbeutung durch externe Interessen (Voraussetzung: Übereinkunft zwischen den Mitgliedern des Kollektivs);
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Es kommt zu einer Verminderung der mit Grosstechnologien verbundenen Risiken, da diese die grossen homogenen Räume, auf die sie angewiesen sind, nicht mehr vorfinden;
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Das innovative Potential von vielen kleinen Einheiten dürfte grösser sein als das einer global vereinheitlichten Gesellschaft;
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Verantwortung kann nicht mehr an zentrale, supraregionale und supranationale Organisationen delegiert werden, sondern muss selbst wahrgenommen werden;
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Das weitaus direktere Verhältnis der Menschen zur Umwelt fördert auch das Verantwortungsbewusstsein;
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Eigenarbeit schafft Handlungskompetenzen und ermöglicht Unabhängigkeit von Systemzwängen;
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Das auf Verallgemeinerung zielende Expertenwissen kann in regional gültige endogene Wissensbestände eingebettet werden.
Zusammenfassend: Es kann auf diese Art ein Milieu entstehen, in dem Individuen der Umwelt gegenüber selbstbestimmt handeln können, d.h. ohne Zwang, aber in Anerkennung des ökologisch Notwendigen. In den Worten von Murray Bookchin: "It is within such a decentralized community, sensitively tailored to its natural ecosystem, that we could hope to develop a new sensitivity toward the world of life and new level of self-consciousness, rational action and foresight."52
Bookchin 1988, 110.
4. Herrschaftsfreie Gemeinschaften
5. Selbstrealisierung
6. Schluss: Der Weg nach Ökotopia beginnt unten
Literatur