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5. Die hemisphärische Spezialisierung

Die höchste Form des Wissens, das Wissen über uns selbst, hat nach Eccles (1973) seinen Sitz nur in der linken Grosshirnhälfte. Mit der rechten, so meint er, können wir nur "wie ein höchst intelligenter Primat" denken. Er nimmt dabei Bezug auf die interessante Tatsache, dass das Grosshirn in zwei Hemisphären geteilt ist, die offensichtlich unterschiedliche Funktionen aufweisen (vgl. mit Ornstein 1981, Springer und Deutsch 1985). Zwar sind in beiden Hälften auch allgemeine Funktionen lokalisiert: Die rechte Hälfte kontrolliert sensorisch und motorisch weitgehend die linke Körperseite und umgekehrt. Daneben aber weisen sie ausgesprochene Spezialisierungen auf (vgl. dazu die Gegenüberstellung der beiden Gehirnhälften in Tab.2 sowie die bildliche Darstellung in Fig.6). In der linken Hälfte ist der Sitz des analytischen, differenzierenden, logischen, linearen, digitalen und kausalen Denkens, das uns den sprachlichen aber auch den mathematischen Ausdruck ermöglicht. Die hier ausgeführten Operationen verlaufen sequentiell. Demgegenüber ist die rechte Hälfte zu einer synthetischen, integrativen, relationalen, analogen und akausalen Wahrnehmung befähigt; sie kommt etwa bei der räumlichen Orientierung, der künstlerisch-kreativen Betätigung und der Mustererkennung (z.B. Erkennen von Gesichtern) zum Zuge. Die Informationsverarbeitung geschieht hier irgendwie parallel oder simultan. Man könnte sagen, dass wir es bis zu einem gewissen Grade mit dem Nebeneinander von zwei Arten von Bewusstsein zu tun: Einem intellektuellen, rationalen und einem eher intuitiven, "irrationalen". Gewisse hemisphärische Spezialisierungen treten auch bei Tieren (Menschenaffen, Ratten, Singvögel) auf (s. dazu Springer und Deutsch 1985). Die Art, wie wir sie eben beschrieben haben, scheint aber beim Menschen einzigartig zu sein.
Tabelle 2: Gegenüberstellung der Funktionen der linken und rechten Grosshirnhemisphäre (aus Teegan 1985)
Linke Hemisphäre
Rechte Hemisphäre
Motorisch und sensorisch verbunden mit der rechten Körperhälfte, der rechten Hand, dem rechten Sehfeld.
Motorisch und sensorisch verbunden mit der linken Körperhälfte, der linken Hand, dem linken Sehfeld.
"Verbale Hemisphäre", Sprechen, Lesen, Schreiben (Syntax, Grammatik, Semantik). Benennen von Objekten, Handhabung von verbalem Material, von Zeichen, Symbolen, Zahlen.
Archaisch bildhafte Sprache. Handhabung von nichtverbalem Material. Erfassen und Wiedergeben von Bildern, Mustern, Strukturen.
Interpretation von Geschichten und Musik. Verständnis für technische Texte.
Aufnehmen, Verstehen und Entwickeln von Geschichten, Melodien.
Durchführen mathematischer Operationen. Arithmetik.
Lösen komplexer mathematischer Probleme. Geometrie.
Kommunikation über sensorische Wahrnehmungen.
Erfassen räumlicher Dimensionen. Raum-Körper-Orientierung. Identifikation von Gesichtern. Körperbild, Körperschema, kinästhetische Wahrnehmung.
Analytisches Denken. Logische Schlussfolgerungen. Fortlaufende Analysen von Informationen.
Simultane Operationen. Verarbeitung von Informationen zu einem Ganzen.
Digitale Kommunikation (keine Sinnbeziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem).
Analoge Kommunikation (unmittelbar sinnhafte Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem, z.B. Bilderschriften).
Analyse zeitlicher Abläufe, Zeitwahrnehmung.
Zeitliche Integration, "zeitlos", Synchronizität, Integration von Zusammenhängen und Sinnbezügen.
Rationale Erklärung für eigene Motive und Geschehnisse.
Wahrnehmung der Welt mit ihren Widersprüchen. Wahrnehmung von negativen Komponenten der eigenen Motive. Träume. Weltbild, Selbstbild.
Beobachten, Analysieren.
Intuition, Integration, Simultaneität.