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4.3 Das Limbische System

Dieses System (kurz L-System, oder auch Mesocortex genannt) dürfte vor mindestens 150 Mio. Jahren bei den älteren Säugetieren entstanden sein. Es umfasst das Zwischenhirn mit Hypothalamus und Thalamus (vgl. mit Fig.2 und 3) und einige kleinere Gehirnteile. Der Hypothalamus ist eine wichtige Schaltstation des sensorischen Nervensystems und, via Anregung der Hormonausschüttung vor allem der Hypophyse, ein Steuerorgan für viele vegetative Vorgänge wie Wärmehaushalt, Sexualfunktionen, Kreislauf, Atem, Wasserhaushalt, Schlaf usw. Der Thalamus seinerseits bildet die Grundlage für eine Art Vorbewusstsein, ist beteiligt an der Entstehung von Emotionen und verfügt auch über ein Erinnerungsvermögen emotionaler Art. Emotionale Primärreaktionen kommen dann im Grosshirn zum Bewusstsein. "Love seems to be an invention of the mammals" (Sagan 1977).
Lebewesen, wie die älteren Säugetiere, deren Gehirnentwicklung bis zu diesem Stadium vorgedrungen ist, verfügen über eine beschränkte Zahl von stereotypen Programmen (Instinkten), die eine sinnvolle Reaktion auf normal vorkommende und für das betreffende Lebewesen wesentliche Umweltreize in der Form von ganzen Handlungsabläufen ermöglichen. Dabei gibt es ausgedehnte Verbindungen mit den olfaktorischen Strukturen und damit wiederum sind emotionale Erfahrungen verknüpft. Solche Programme sind das genetisch verankerte Resultat eines durch die Auslese gesteuerten kollektiven Lernens, das sich stammesgeschichtlich über Jahrtausende akkumuliert hat. Damit ist ein Abbild der Umwelt im Hirn gewissermassen als Hypothese bereits vorhanden, bevor das fragliche Lebewesen dieser Umwelt überhaupt begegnet ist. Ausserdem ist der erfassbare Ausschnitt der Aussenwelt immer noch sehr limitiert, nämlich eben auf diejenigen Erscheinungen, die via Reize die vorhandenen Programme auslösen.
Zwei weitere Phänomene sind von Wichtigkeit. Zum einen beginnt sich das Riechzentrum zurückzubilden. Dafür kommt es zur Höherentwicklung des optischen wie auch des akustischen Fernsinns. Diese erlauben eine weitere Steigerung eines distanzierten Umganges mit der Umwelt in Form einer Fernerkundung. Die Entwicklung des Auges schreitet von einem reinen Hell/Dunkel-Organ zu einem Instrument fort, das Bewegung und Geschwindigkeit von Objekten erkennen kann. Zum andern beginnt sich eine Kapazität zu selektivem Lernen auszubilden. Dabei handelt es sich zunächst um sehr spezifische Elemente, die in eine sonst fest vorgegebene Instinkt-Kette passend und zur richtigen Zeit (d.h. in der richtigen Lebensphase) eingebaut werden müssen. Wenn dies nicht geschieht, kann es zu irreparablen Schäden kommen. Ein Beispiel ist die sog. Nachfolgeprägung, d.h. die bei frisch geschlüpften Vögeln beobachtbare Erscheinung, dass sie ihre Aufmerksamkeit auf das erste sich bewegende Objekt (normalerweise die Mutter) fixieren, das sie in ihrem Leben antreffen. Beide zuletzt genannten Entwicklungen sind eine wichtige Grundlage für den weiteren Fortgang der Evolution in Richtung von "Grosshirn-Lebewesen".
Für das Verhalten des heutigen Menschen von Bedeutung mag dies sein: Gefühle, die ihren Ursprung im L-System haben, stehen nicht notwendigerweise mit etwas im Zusammenhang, das sich in der realen Aussenwelt abspielt. In diesem Sinne kann man sich nicht auf Gefühle "verlassen". Umgekehrt ist es aber auch klar, dass affektive Gefühle eine verbindende Brücke zwischen Aussen- und Innenwelt darstellen können. Im übrigen scheint es erwiesen zu sein, dass Träume, die man als in eine Bildsprache übersetzte Vorgänge im L-System begreifen kann, auf Probleme der Innenwelt aufmerksam machen können, dass das Unbewusste in dieser Weise eine kompensatorische Tätigkeit ausübt. Eine Gefahr kann darin bestehen, dass Verhalten auf der Basis von intensiv erlebten Emotionen zu irrationalen, zerstörerischen Aktionen führen kann (Formen von Fundamentalismus).