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5.3 Die Polarität von Yin und Yang

Interessant ist eine Verbindung, die sich von der Beschreibung der Charakteristika der beiden Hirnhälften zu Eigenschaften ergibt, die in der altchinesischen Philosophie des I Ging (Sammlung von Schriften, die rund 4000 Jahre zurückreicht) den beiden polaren Kräften Yin und Yang zugeschrieben werden (s. dazu z.B. Blofeld 1983, Colegrave 1983). Es besteht die Vorstellung, dass das Tao, das Nichts oder das undefinierbare Ganze, die Polarität von Yin und Yang hervorbringt, und dass alle Erscheinungen unserer Welt durch die dynamische Interaktion dieser beiden Kräfte entstehen. Yin und Yang treten überall auf, wenn auch in wechselndem Mischungsverhältnis. Als typische Gegensatzpaare, die mit der Yin-Yang-Polarität in Zusammenhang gebracht werden, nennen wir Erde und Himmel, Mond und Sonne, Nacht und Tag, Winter und Sommer, Feuchte und Trockenheit, Kühle und Wärme, Inneres und Äusseres, weiblich und männlich, Anpassung und Selbstbehauptung, Kooperation und Konkurrenz. In dem Masse, wie die beiden letzteren Paare mit dem Gegensatz zwischen dem Ganzen und seinen Teilen zu tun haben (der Blick nach oben und der Blick nach unten bei Koestler 1981, s. "Wandel des Weltbildes"), ergibt sich eine Brücke zum synthetischen Denken der rechten und analytischen Denken der linken Gehirnhälfte. Man mag das I Ging in den Bereich der Esoterik zählen, aber Lama Anagarika Govinda meint in seinem Vorwort zum Buch von Blofeld (1983), dass wir es hier mit einer Weisheit zu tun haben, die "im Studium der Wechselwirkungen zwischen universellen Gesetzen und individuellem Verhalten und in der Einsicht in das Verhältnis von freiem Willen und Schicksal gründet." Der dänische Physiker Niels Bohr (1885-1962) jedenfalls fühlte sich von dieser Philosophie so angetan, dass er in seinem perönliches Wappen konstruierte, das das Zeichen für Yin und Yang als Symbol für das von ihm so benannte Prinzip der Komplementarität zwischen Teil und Ganzem enthielt.