www.humanecology.ch · Skripten 1998/99 · Lebensstil

5.2 Die Volksinitiative zur Verkehrshalbierung des Vereins "umverkehR"

Im Gegensatz zu den GAP-Aktivitäten haben wir es hier mit einer politischen Aktion zu tun, deren Wurzel zu einem Zukunftsworkshop 1990 in Winterthur zurückreicht. 1992 gründeten dann rund 40 Leute den Verein “umverkehR” mit dem Ziel, eine Volksinitiative zur Halbierung des privaten motorisierten Strassenverkehrs zu lancieren, was dann im Herbst 1994 auch geschah. Der Initiativtext im vollen Wortlaut findet sich im beigefügten Kasten. Im Frühling 1996 wurde die Initiative mit 108 857 gültigen Unterschriften eingereicht. Sie dürfte im Jahr 2000 zur Abstimmung kommen.
Eidg. Volksinitiative für die Halbierung des motorisierten Strassenverkehrs zur Erhaltung und Verbesserung von Lebensräumen (Verkehrshalbierungs-Initiative)
I Die Bundesverfassung wird wie folgt geändert:
Art.37bis Abs.1bis (neu), Abs.2 zweiter, dritter und vierter (neu) Satz und Abs.3 (neu)
1bis Bund, Kantone und Gemeinden halbieren den motorisierten Strassenverkehr innerhalb von zehn Jahren nach Annahme der Verkehrshalbierungs-Initiative durch Volk und Stände. Der neue Stand darf nicht mehr überschritten werden. Massgebend ist die in der Schweiz insgesamt erbrachte Fahrleistung. Der öffentliche Verkehr ist von diesen Bestimmungen nicht betroffen und wird nicht mitgerechnet.
2 ... Die Gemeinden können auf allen Strassen ihres Gebietes, ausgenommen auf den Nationalstrassen, Verkehrsbeschränkungen anordnen, soweit es dem Ziel von Absatz 1bis oder der Verbesserung oder Erhaltung von Lebensräumen dient. Die vollständige Sperrung der vom Bund bezeichneten Durchgangsstrassen ist nur in Absprache mit dem Bund zulässig. Die Benützung der Strassen im Dienste der öffentlichen Hand bleibt vorbehalten.
3 Die für die Halbierung des motorisierten Strassenverkehrs anzuwendenden Mittel werden durch das Gesetz bestimmt.
II Die Übergangsbestimmungen der Bundesverfassung werden wie folgt ergänzt:
Art.23 (neu)
Ist die Ausführungsgesetzgebung nach Artikel 37bis Absatz 3 innerhalb dreier Jahre nach Annahme der Verkehrshalbierungs-Initiative nicht rechtskräftig, erlässt die Bundesrat die notwendigen Bestimmungen auf dem Verordnungsweg.
Eine Halbierung des heutigen Volumens des Strassenverkehrs: Was bedeutet dies? Es würde uns auf einen Stand zurückbringen, der nur etwa 30 Jahre zurück liegt. Wir waren damals schon eine hochentwickelte, technisierte Gesellschaft (und hatten damals sicher schon das Gefühl, wir hätten zuviel Verkehr) - ein Rückfall in die Steinzeit ist es somit nicht. Sich als Ziel eine mengenmässige Grenze zu setzen hat den grossen Vorteil, dass man weiss, was man bekommt, dies im Gegensatz etwa zu Lenkungsabgaben, bei denen immer zuerst herausgefunden werden muss, von welchem Niveau an sie eine Wirkung zeigen und wie gross diese Wirkung ist. Bisher haben wir das ständige weitere Wachstum des Verkehrs als eine Art von Naturereignis betrachtet und immer wieder versucht, uns durch weiteren Strassenbau daran anzupassen. Im Resultat haben wir damit einen Teufelskreis in Gang gebracht: Mehr Verkehr verlangt nach mehr Strassen, mehr Strassen locken noch mehr Verkehr an, der im Anschlag noch einmal mehr Strassen will usw. usf. Es gilt, nicht nur diesen Trend endgültig zu brechen, sondern darüber hinaus das gesamte Volumen soweit abzusenken, dass sich wieder einigermassen intakte Lebensräume bilden können und die Lebensqualität nicht infolge Lärm, Luftverschmutzung, Asphalt und Beton überall noch weiter schwindet, sondern wieder steigt. Es geht dabei nicht um eine grundsätzliche Autofeindlichkeit - das Auto könnte eine hervorragende Erfindung sein, wenn es sinnvoll eingesetzt würde. Es geht auch nicht um eine Einschränkung der Mobilität, sondern um eine Neugestaltung derselben. Mobil sein bedeutet sowie für verschiedene Segmente unserer Bevölkerung Verschiedenes; mit der Reduzierung des Strassenverkehrs kann sich sogar die Mobilität von jetzt geradezu immobilisierten Menschen wieder verbessern, z.B. diejenige von Kindern und alten Menschen, die sich nicht mehr getrauen, die Strasse zu überqueren.
Eine Halbierung des Strassenverkehrs ist an sich gar nichts Verrücktes und theoretisch schon auf einfachste Weise durch Verhaltensänderungen erreichbar. Z.B. beträgt die mittlere Auslastung eines Autos gegenwärtig 1,6 Personen. Könnten wir mittels vermehrten Car Pooling diese Zahl verdoppeln, hätten wir den Verkehr bereits halbiert! Machen wir noch eine andere modellhafte Überlegung. Nehmen wir an, ein Viertel der Bevölkerung beschliesse, im kommenden Jahr auf jede vierte Autofahrt zu verzichten, damit also die persönliche Verkehrslei¬stung auf 75% zu verkleinern.1 Gesamtgesellschaftlich entspricht dies einer Reduktion des individuellen Strassenverkehrs um 6,25%. Nehmen wir weiter an, im zweiten Jahr mache ein zweiter Viertel, im dritten Jahr ein dritter Viertel und schliesslich im vierten Jahr der noch übrig bleibende Viertel genau dasselbe. Dann wäre am Ende des vierten Jahres die gesamtgesellschaftliche Verkehrsleistung auf 75% reduziert. Nun treten wir in eine zweite Runde ein. Im fünften Jahr verzichten wiederum die Mitglieder des ersten Viertels auf jede vierte der noch übrig bleibenden Fahrten, gefolgt von den übrigen Gruppen im sechsten bis achten Jahr. Die weitere gesamtgesellschaftliche Verkleinerung der Verkehrsleistung beträgt nun jährlich 4,7%, so dass am Ende der zweiten Runde noch rund 56% verbleiben. In den noch übrigen zwei Jahren wickelt sich sodann die dritte Runde wie folgt ab: Im neunten Jahr sieht die erste Hälfte der Bevölkerung von jeder achten der jetzt noch übrig bleibenden Autofahrten ab, im zehnten Jahr tut die zweite Hälfte dasselbe. Die jährliche Verkleinerung beträgt dann ungefähr 3,5% und am Ende der 10 Jahre umfasst die gesamte Verkehrsleistung noch 49% des Anfangswertes!2 So betrachtet sieht das Ganze doch ziemlich verkraftbar aus, oder nicht?
Einfacher allerdings ist es, nach Möglichkeit auf den eigenen Besitz eines Autos ganz zu verzichten, weil dann die Qual der Wahl wegfällt. Allerdings gehört, wie Thomas Krämer-Badoni schreibt, ein Leben ohne Auto immer noch zu den unwahrscheinlicheren Verhaltensstrategien. “Wer kein Auto besitzt, wird im Prinzip wie eine unvollständige Familie behandelt ... Wer freiwillig ohne Auto leben möchte, gilt kaum als moderner Mensch; er begegnet Mitleid und Spott ...”3 Trotzdem scheint die Zahl derjenigen Haushalte, die freiwillig kein Auto mehr haben wollen, zuzunehmen. Viele, die diesen Verzicht gewagt haben, berichten über eine Steigerung ihrer Lebensqualität:4
·
Manche Wege nehmen zwar mehr Zeit in Anspruch, aber diese Zeit wird nicht als verloren empfunden. Zu Fuss gehen oder Fahrradfahren sind selber schon Tätigkeiten, beim Fahren in einem öffentlichen Verkehrsmittel gibt es Zeit zum Lesen, zum Reden, zum Fenster hinausschauen;
·
Durch die neue Zeiterfahrung erhält der Weg wieder eine eigene Wertigkeit, er wird zu einem Raum mit konkreten sozialen und ästhetischen Qualitäten;
·
Das eigene Wohnquartier kann neu entdeckt, die eigene Körperlichkeit wahrgenommen werden.
Wolfgang Sachs findet: “Privilegiert ist heute, wer es sich leisten kann, ohne Auto auszukommen” und er fordert die Gemeinden auf, sich der Leitfrage “Wie lassen sich schrittweise die Optionen für die Bürger verbreitern, ein Leben ohne Auto wählen zu können?” zu stellen.5
Allerdings können wir nicht erwarten, dass so etwas sehr rasch Schwung bekommen könnte. Wir können aber hoffen, dass eine Mehrheit in einer demokratischen Abstimmung sich für eine Verkehrsreduktion ausspricht. Dann müssten passende Massnahmen ergriffen werden, die eine solche Verminderung bewirken können. Im Verkehrshalbierungs-Initiativtext sind absichtlich keine derartigen Massnahmen genannt, so dass hier volle Flexibilität besteht und mögliche Lösungen diskutiert werden müssen. Natürlich bestehen Vorstellungen, welche Methoden in Frage kommen, und sicher ist auch, dass es eine Kombination von Verfahren brauchen würde. umverkehR selbst hat eine Liste von 12 Vorschlägen publiziert,6 die wir im folgenden kurz betrachten.
1
Ökobonus: Dies ist eine leistungsabhängige Verkehrsabgabe, deren Einnahmen vollumfänglich der Bevölkerung rückerstattet werden. Die Abgabe wird entweder zum Benzinpreis addiert oder aber mit Hilfe eines in jedem Fahrzeug installierten plombierten Kilometerzählers ermittelt. Wer durchschnittlich Auto fährt, muss soviel bezahlen, wie er wieder zurückbekommt. Wer mehr fährt, legt drauf, wer aber weniger fährt, macht einen Gewinn.
2
Autoteilen (“Car Sharing”): Die schweizerische Autoteilen-Genossenschaft “Mobility” ist wahrscheinlich die weltweit führende Organisation dieser Art.7 Sie hat rund 24 000 Mitglieder, denen sie an rund 700 Standorten Autos zur Verfügung stellen kann. Die Erfahrung zeigt: Wer Auto teilt, fährt nur noch halb so viel; der kleine Aufwand, sich das Auto bewusst reservieren zu müssen, eliminiert die unnötigen Fahrten. Würden also alle mitmachen, wäre der Verkehr auch schon halbiert!8
3
Autoarme Städte: Die Vorteile der jetzt schon bestehenden autofreien Innenstädte sind offensichtlich. Diese Zonen sollen vergrössert und vom Verkehr befreite Strassen und Plätze in Sport-, Spiel- und Begegnungsorte umfunktioniert werden. Inzwischen gibt es in einigen europäischen Städten tatsächlich auch schon autofreie Wohnquartiere - ein Beispiel ist das Hollerland-Projekt in Bremen9 -, in die nur Leute einziehen dürfen, die ohne eigenes Auto leben wollen. Ganz allgemein sollte gelten: Das Auto gehört nur in die Stadt, wenn es nicht anders geht. Parallel dazu muss das Velo als ideales städtisches Verkehrsmittel konsequent gefördert werden (vgl. Punkt 9).
4
Autoarme Erholungsgebiete: In der Schweiz gibt es bereits 9 Kurorte, auf deren Gemeindegebiet Autos nicht zugelassen sind. Interessanterweise sind es gerade diese Orte, die im Vergleich zu anderen Tourismusregionen in der letzten Zeit wachsende Zahlen von Besuchern und Besucherinnen aufgewiesen haben. Weitere Gemeinden und auch ganze Regionen sollen ermuntert werden, den gleichen Weg einzuschlagen.
5
Attraktiver öffentlicher Verkehr: Bahn und Bus sind wesentlich umweltverträglicher als der motorisierte Individualverkehr. Die Schweiz hat ausserordentlich günstige Voraussetzungen, um grössere Anteile an der jetzigen Mobilität vom privaten zum öffentlichen Verkehr zu verlagern: 97 % der Schweizer Haushalte befinden sich in der Nähe einer Haltestelle (Distanz unter 1 km). Der öffentliche Verkehr müsste aber mit preiswürdigen Angeboten einsteigen. Ein Beispiel wäre das GA TRIO, das umverkehR dem Bundesrat und der SBB vorgeschlagen hat: Ein Basis-Generalabonnement kostet Fr. 1600. Wer ein solches kauft, hat das Recht, zwei Personen zu nennen, die dann ein GA zum reduzierten Preis von Fr. 1000 erwerben können.
6
“Road Pricing”: Für die Benützung von bestimmten Strassenabschnitten wird vor Ort eine Gebühr erhoben. Im Ausland ist dieses System bei Autobahnen (z.B. die Toll Roads in den USA) und auch bei der Einfahrt zu Stadtzentren (z.B. Oslo) schon lange bekannt. Der Vorteil ist der, dass die Kosten bei jeder Fahrt anfallen und so dem Fahrenden immer wieder bewusst werden.
7
Autofreie Sonntage: Es werden vier autofreie Sonntage pro Jahr vorgeschlagen. Die Hauptwirkung besteht im Erlebniswert, d.h. im Erfahrenkönnen, was ein Tag der Ruhe und der Gemächlichkeit, des unbehinderten Spazieren- und Festenkönnens auf Strasssen bedeutet.
8
“Car Pooling”: Dass der gegenwärtige Auslastungsgrad von Autos gering ist, haben wir schon erwähnt. Darin liegt ein enormes Potential. Das Mitfahren sollte durch vielfältige Massnahmen gefördert werden.
9
Konsequente Veloförderung: Ein Teil der Strassen soll dem Fahrradverkehr vorbehalten sein und zu einem zusammenhängenden Netz verknüpft werden. In Zürich liesse sich hier noch einiges machen, beträgt doch der Anteil der Velos am Gesamtverkehr nur 3-7 % (je nach Erhebungsmethode sind die Angaben unterschiedlich). Zum Vergleich: In Strasbourg beläuft sich der entsprechende Prozentsatz auf 20, in Münster gar auf 40!
10
Förderung von Leichtmobilen: Herkömmliche Autos setzen nur gerade 1 % der Energie in echte Personentransportleistung um, der Rest geht durch Abwärme und für den Transport des Fahrzeugs selbst verloren. Leichtmobile brauchen bedeutend weniger Ressourcen. Das Twike z.B., eine Art Doppelliegevelo mit Verschalung und Elektromotor, hat einen Energieverbrauch mit einem Äquivalent von 0,5-0,8 l Benzin pro 100 km. Leichtmobile sind für den Nahbereich geeignet, z.B. gerade für Strecken, auf denen es kein öffentliches Verkehrsmittel gibt.
11
Weniger Gütertransporte auf der Strasse: Die Transportkosten sind heute viel zu niedrig, was in einer unglaublichen Energieverschwendung und Umweltbelastung resultiert. Was die vom Volk beschlossene leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (LSVA) bringen wird, bleibt zu sehen. Nur wenn sie gross genug ist, kann eine massgebliche lenkende Wirkung erwartet werden. Leeerfahrten sollten mit einer speziellen Abgabe belegt werden und eine Deklarationspflicht bezüglich der Produkteherkunft soll es den Konsumenten und Konsumentinnen ermöglichen, sich für lokal hergestellt Güter zu entscheiden.
12
Freie Treibstoffzölle: Ihre Zweckbindung, Einsatz für den Strassenbau und -unterhalt muss aufgehoben werden, denn sie ist am oben erwähnten Teufelskreis kräftig mitbeteiligt!
Comic von Mike van Audenhove
Comic von Mike van Audenhove

Anmerkungen

1
Der Einfachheit halber gehen wir davon aus, der private Strassenverkehr sei gleichmässig auf die Bevölkerung verteilt und alle Fahrten hätten die gleiche Länge.
2
Die Idee für eine solche Rechnung habe ich von Meyer-Abich 1990, 25, übernommen. Allerdings operiert er mit jeweils einem Fünftel der Bevölkerung, der auf jede fünfte Fahrt verzichtet, womit die jährliche Abnahme 4% beträgt. Dies aber lässt nicht, wie er sagt, die “Verkehrsleistung insgesamt in etwa zehn Jahren auf die Hälfte zurückgehen”, sondern nur auf 64%. Siehe auch Steiner 1995, 20.
3
Thomas Krämer-Badoni 1995, 185.
4
Nach Krämer-Badoni 1995, 189-190. Ein weiterer Bericht über die Vorteile des Autoverzichts stammt von Sönke Christiansen 1992.
5
Siehe Wolfgang Sachs 1991.
6
Siehe umverkehR 1997, 10-15, in gekürzter Form auch in umverkehR 1999, 18-21.
7
Mobility ist vor zwei Jahren aus dem Zusammenschluss der zwei vorher unabhängigen Genossenschaften ShareCom und ATG hervorgegangen. Beide wurden 1987 gegründet. Eine frühe Beschreibung von ShareCom stammt von Wolfgang Zierhofer 1991.
8
Car Sharing-Organisationen gibt es auch in anderen Ländern Europas. Bekannt ist z.B auch STATTAUTO in Berlin. Und es existiert auch ein europäischer Dachverband: European Car Sharing (siehe Gillwald 1997).
9
Siehe Krämer-Badoni 1995.