www.humanecology.ch · Skripten 1998/99 · Lebensstil

4.2 Das Konzept des Umweltraums

Das Konzept des sog. Umweltraums wurde von der Umweltorganisation “Friends of the Earth” zuerst für die Niederlande im Rahmen einer Studie Sustainable Netherlands entwickelt.1 Es ist seither in einer europaweiten Kampagne auch in anderen Ländern, u.a. auch in der Schweiz verwendet worden. Es versucht nicht wie der ökologische Fussabdruck, die aktuelle Umweltbelastung in einem eindimensionalen Mass zu fassen, sondern geht direkt auf die Frage los, welche Menge an verschiedenen Ressourcen uns bei globaler Gleichverteilung pro Kopf zur Verfügung steht. Die resultierenden Daten stellen den “Umweltraum” für die jeweilige Ressource dar und können dann für ein bestimmtes Land mit den gegenwärtigen Verbrauchszahlen verglichen werden, womit sich notwendige Veränderungsfaktoren ableiten lassen.
Die AutorInnen gehen von der generellen Feststellung aus, dass die entwickelten Länder 25 % der Weltbevölkerung umfassen, aber 75 % der global verfügbaren Ressourcen verbrauchen. Aus dieser groben Angabe ergibt sich, wie schon beim ökologischen Fussabdruck-Ansatz, ein Faktor von 3, um den die reichen Länder auf zu grossem Fuss leben. Es stellt sich also die Frage der Umverteilung. Viele Experten im Norden rechnen damit, dass sich die notwendige Reduktion des Ressourcenverbrauchs mittels einer Effizienzrevolution herbeiführen lässt.2 Der Klassiker in dieser Richtung ist mittlerweise das im Auftrag des Club of Rome publizierte Buch “Faktor vier”.3 Der Titel deutet die Überzeugung an, dass mittels technischer Massnahmen eine durchschnittliche Steigerung der Ressourcenproduktivität um eben das Vierfache möglich sei, womit bei gleichem Konsum die Umweltbelastung auf einen Viertel gesenkt werden könne, oder aber - wie der Untertitel des Buches suggeriert -, dass bei einer Reduktion der letzteren auf die Hälfte der Wohlstand sogar noch verdoppelt werden könne. Die Frage stellt sich natürlich, ob ein weiterer Wohlstandszuwachs überhaupt noch sinnvoll ist und wenn ja, wo. Das Autorenteam von Sustainable Netherlands befürchtet, dass ein einseitiges Abstellen auf Effizienzsteigerung kontraproduktiv sein könnte, dass mit anderen Worten der materielle Lebensstandard im Norden nur noch weiter steigen und damit das Nord-Süd-Gefälle noch vergrössern würde, was eine soziale Desintegration im Süden nach sich ziehen könnte. Eine Verbesserung der Effizienz ist sicher förderungswürdig, aber sie muss in einen umfassenderen Plan einer Suffizienzrevolution eingebettet werden, in der wir uns mengenmässigen Konsumbeschränkungen unterwerfen, und zwar auf einem Niveau, das beträchtlich unter dem heutigen liegt. Die Leute von Friends of the Earth sind sich bewusst, dass eine solche Botschaft gesellschaftlich immer noch nicht akzeptabel ist und dass jede Umweltorganisation, die so etwas verkündet, im Prinzip politischen Selbstmord begeht, denn die Regierungen des Nordens schielen immer noch auf ein weiteres Wirtschaftswachstum und tatsächlich würde natürlich eine Verminderung des Konsums die Dynamik des Wirtschaftssystems stören. Trotzdem meinen sie:
Es gibt keine wirkliche Alternative. Wenn der Norden eine Änderung seines Lebensstils ablehnt, wird die weltweite ökologische Krise früher oder später auch auf ihn übergreifen.4
Um einen “Abmagerungsplan” akzeptabel machen zu können, braucht es nach Auffassung der Friends of the Earth zwei Dinge:
1
Wir müssen uns für eine Veränderung eine gewisse Zeit lassen können. Als zukünftige Bezugsjahre, in denen bestimmte Reduktionsziele erreicht werden sollen, werden deshalb 2010 und 2030 gewählt;
2
Es muss demonstriert werden können, dass ein erniedrigter Lebensstandard im materiellen Sinne immer noch eine gute (oder sogar eine verbesserte!) Lebensqualität bedeutet (vgl. Abb.4).
Tabelle 5: Jetzige Beanspruchung (Angaben pro Kopf) von verschiedenen ausgewählten Umweltressourcen in den Niederlanden und Zielgrössen für das Jahr 2010, einem Etappenort auf dem Weg zu einem nachhaltigen und global gerechten Lebensstil (nach van Brakel und Buitenkamp 1993, 4-5)
Art des Umweltraums
Jetzige Menge
(Anfangs 1990er Jahre)
Menge im Jahre 2010
Notwendiger Reduktionsfaktor
CO2-Emissionen
12 t /a
4 t / a
3,00
Süsswasser
130 l / d
80 l / d
1,62
Ackerland
0,45 ha
0,25 ha
1,80
Weideland
0,61 ha
0,44 ha
1,39
Nutzholz
1,1 m3 / a
0,4 m3 / a
2,75
Aluminium
10 kg / a
2 kg / a
5,00
Tabelle 5 zeigt beispielhaft einige der Berechnungen die die Friends of the Earth im Rahmen des Projektes Sustainable Netherlands ausgeführt haben. Dazu noch die folgenden Kommentare:5
·
Zu den CO2-Emissionen: Die Nutzung fossiler Brennstoffe kann für die kommenden Jahrzehnte nicht abrupt gestoppt werden. Sie muss aber so abgebaut werden, dass der CO2-Ausstoss jährlich um 1-2 % abnimmt. Dies würde den Treibhauseffekt auf einen Temperaturanstieg von 0,1°C pro Jahrzehnt beschränken. Bis zum Jahre 2030 müssten die CO2-Emissionen in den Niederlanden noch weiter auf das Niveau von 1,7 t pro Kopf und Jahr gesenkt werden.
·
Zum Süsswasser: Der Umweltraum an Süsswasservorräten kann nicht aufgrund der weltweit vorhandenen Mengen bestimmt werden, sondern muss regional per Einzugsgebiet oder Wassermanagementgebiet festgelegt werden.
·
Zum Ackerland: Die heutigen agrarischen Praktiken sind nicht nachhaltig. Nach der Umstellung auf eine ökologische vertretbare Landwirschaft stehen jedem Menschen in der Welt 0,25 ha Ackerland zur Verfügung. Von diesen werden 0,19 ha für eine gesunde Grundernährung benötigt; 0,06 ha bleiben für “Luxusprodukte” wie Kaffee, Bier und Wein.
·
Zum Weideland: Von den im Jahre 2010 pro Kopf verfügbaren 0,44 ha entfallen 0,13 ha auf eine Mindestversorgung mit Fleisch und Milch. Dies bedeutet 30 g Fleisch und 0,6 l Milch pro Person und Tag. Der im Westen übliche exzessive Fleischkonsum ist also nicht mehr möglich und muss um 60-80 % reduziert werden. Die Viehfuttertransporte von Süden nach Norden sind zu eliminieren und die landwirtschaftliche Produktion ist allgemein auf die lokalen Märkte auszurichten.
·
Zum Aluminium: Hier wie für andere nicht-erneuerbare Ressourcen stellt sich die Frage, wie ihre Nutzung eines Nachhaltigkeits-Szenarios überhaupt aussehen kann (vgl. auch mit 7.2.2 in “Ökonomisches”). Im Rahmen des Aktionsplanes “Sustainable Netherlands” werden drei sich ergänzende Strategien genannt:6
1
Die Verwendung von gefährlichen oder auch von stark energieschluckenden Materialien wird gänzlich verboten;
2
Gewisse Stoffe werden entsprechend ihren umweltbezogenen Eigenschaften durch andere Stoffe substituiert, z.B. ein Metall durch ein anderes Metall, durch Plastik, Glas, Keramik oder aber durch eine erneuerbare Ressource. Ein bekanntes Beispiel ist der Ersatz von Kupfer durch Glas in der Elektronik und Telekommunikation;
3
Es wird ein geschlossenes Recycling-System angestrebt; von der Produktion von Wegwerfartikeln ist abzusehen. Gleichzeitig soll auch der Lebenszyklus von Produkten verlängert werden.
Die Senkung des materiellen Lebensstandards wird sich natürlich auch in einer Mobilitätsbegrenzung bemerkbar machen. Im Jahre 2010 wird ein Einwohner der Niederlande wählen können, ob er im täglichen Durchschitt 25 km mit dem Auto, 50 km mit dem Bus, 65 km mit dem Zug oder 10 km mit dem Flugzeug zurücklegen will. Jede Person darf sich also pro Jahr einen Flug von 3650 km leisten, was z.B. in etwa einer Überquerung der USA von Ost nach West oder umgekehrt entspricht, vorausgesetzt, sie benötigt während des ganzen Jahres keine anderen Verkehrsmittel.7
Das Umweltraumkonzept ist auch für die Schweiz verwendet worden. Im Auftrag der Umweltorganisationen hat das Büro Infras in Zürich eine entsprechende Studie ausgeführt.8 Dabei wird mit den Bezugsjahren 2010 und 2050 operiert. Die wichtigsten Resultate sind in Tab.6 dargestellt.
Tabelle 6: Gegenwärtiger Umweltverbrauch, Nachhaltigkeitsziele nach dem Konzept des “Umweltraums” und entsprechender Reduktionsbedarf in der Schweiz (nach WWF u.a. 1996, 4)
Ressourcen / Emissionen
Verbrauch heute pro Kopf
Umweltraum pro Kopf und Jahr
Reduktion bis 2050 in %
Zwischenziel 2010 pro Kopf und Jahr
Reduktion bis 2010 in %
CO2-Emissionen
6,3
1,7
–74
4,6
–26
Luftverschmutzung (kg)
Schwefeldioxid
9
3,7
–60
   
Stickoxide
8,2
1,9
–77
   
Ammonium/Ammoniak
7,6
2,5
–68
   
Primärenergie (GJ)
150
75
–50
105
–30
Fossile Energien
90
29
–68
70
–23
Kernenergie
36
0
–100
0
–100
Erneuerbare Energien
24
46
+91
14
+47
Nicht-erneuerbare Materialien (kg)
Zement
627
80
–87
489
–22
Eisen
191
36
–81
153
–20
Aluminium
19
1,2
–94
15
–23
Chlor
24
3,2
–87
19
–22
Kupfer
6,4
0,75
–88
1,4
–22
Blei
2,3
0,39
–83
1,8
–21
Nitratdünger
10,6
5,5
–48
5,5
–48
Phosphatdünger
5,9
2,6
–56
2,6
–56
Landverbrauch (ha)
Total Schweiz
0,607
   
0,607
 
Ackerland
0,062
   
0,053
–14
Weideland
0,094
   
0,081
–14
Rest
0,001
   
0,001
–14
Nicht genutzte Landwirtschaftsfläche
0,075
   
0,065
–14
Nicht geschützter Wald
0,183
   
0,165
–10
Geschützte Flächen
0,002
   
0,064
+2400
Überbaute Fläche
0,036
   
0,039
+12
"Unproduktive" Fläche
0,128
   
0,115
–10
Binnenseen
0,025
   
0,025
0
Importierte Landwirtschaftsfläche
0,073
   
0,036
–50
Holz (m3)
0,64
0,56
–30
   
Wasserverbrauch (m3)
171
120
–12
   
Gewässerverschmutzung
Phosphat (g)
430
170
–60
   
Nitrat (kg)
5,9
1,5
–75
   

Anmerkungen

1
Siehe Manus van Brakel und Maria Buitenkamp 1993. Details finden sich in der ausführlichen Publikation von Maria Buitenkamp, Henk Venner und Teo Wams 1993.
2
Vgl. van Brakel und Buitenkamp 1993, 2-3.
3
Siehe Ernst U. von Weizsäcker, Amory B. Lovins und L. Hunter Lovins 1995.
4
Van Brakel und Buitenkam0p 1993, 3.
5
Nach van Brakel und Buitenkamp 1993, 4.
6
Siehe Buitenkamp, Venner und Wams 1993, 40-41.
7
Nach van Brakel und Buitenkamp 1993, 6.
8
Siehe WWF, SBN, Greenpeace, SGU, SES, Erklärung von Bern, Arbeitsgemeinschaft Swissaid/ Fastenopfer/Brot für alle/Helvetas/ Caritas 1996. Dies ist eine zusammenfassende Version der Studie. Die vollen Details finden sich in Samuel Mauch u.a. 1996.