www.humanecology.ch · Skripten 1998/99 · Lebensstil

3.3 Das Kriterium der Nachhaltigkeit

Sind wir primär an der Umweltproblematik per se interessiert, dann stellt sich für uns natürlich letztlich die Frage, welche biophysischen Auswirkungen der eine oder der andere Lebensstil hat und welche Art von Lebensstil oder Lebensstilen das Prädikat “nachhaltig” verdient. Gillwald nennt drei Kriterien, die für einen umweltverträglichen Lebensstil erfüllt sein müssen: Es geht darum,
1
Umwelt- und ressourcenbelastende Praktiken einzuschränken bzw. durch weniger belastende Praktiken zu ersetzen (Suffizienzgedanke);
2
Stoff- und Energieströme qualitativ und quantitativ an die Verarbeitungsfähigkeit der Öko-Systeme anzupassen (Konsistenzgedanke);
3
die Ressourcenproduktivität - d.h. den Wirkungsgrad pro verbrauchter Einheit - deutlich zu erhöhen bzw. den Stoff- und Energieverbrauch absolut zu senken (Effizienzgedanke).1
Auch hier ist im Prinzip ein Miteinander dieser Kriterien anzustreben, wobei allerdings letztlich der Suffizienzgedanke wohl der wichtigste ist, denn was wir zwecks Umweltentlastung benötigen, ist eine absolute Mengenbeschränkung bzw. -reduktion hinsichtlich unseres Ressourcenverbrauchs und auch unserer Abfallproduktion. Zweifellos ist eine solche auch über den Weg einer Effizienzsteigerung denkbar, aber wir haben dort keine Garantie, dass es dabei bleibt, denn jene ist nur eine mögliche Folge dieser und nicht das vordergründige Ziel. Es ist durchaus möglich, dass eine erhöhte Effizienz dazu führt, dass Produkte billiger werden und wir uns dazu verleiten lassen, ein gutes Gewissen zu haben, mit dem wahrscheinlichen Effekt, dass dann die Mengen wieder zunehmen und irgendwann den mit grösserer Effizienz erreichten Einsparungseffekt wieder kompensieren. Die Bedeutung einer Mengenbeschränkung bzw. -erniedrigung kommt auch in den Überlegungen zum Ausdruck, die der St. Galler Ökonom Jürg Minsch zur nachhaltigen Entwicklung macht.2 Er stellt sie in Form des in Abb.6 gezeigten Diagramms mit den verschiedenen Trendkurven dar. Das Ziel des weiteren quantitativen Wachstums würde heissen “weiter wie bisher” und die Umweltbelastung noch zusätzlich verschärfen. Für diese Option kann sich nur einsetzen, wer die Natur als Grundlage des Wirtschaftens völlig ausblendet. Sofern ihre Bedeutung aber einberechnet wird, kommen wir zu ökologisch motivierten Zielsetzungen. Die älteste davon ist die “Entkopplung”, die aus der Kritik am Sozialprodukt als Wohlstandsindikator entstanden ist. “Konkret ist ... gemeint, dass die Wachstumsrate der Umweltbeanspruchung (UB), wie immer auch im konkreten Fall definiert, kleiner als die Rate des Wirtschaftswachstums sein muss.”3 Dieses Ziel lässt aber immer noch positive Wachstumsraten der Umweltbeanspruchung zu. Das Ziel des “qualitativen Wachstums” kann als Grenzfall einer Entkopplung verstanden werden, bei der trotz weiterem wirtschaftlichem Wachstum der Umweltverbrauch auf einem bestimmten Niveau stabilisiert wird. Wohlverstanden ist damit nicht gesichert, dass auch die Umweltqualität auf einem bestimmten Niveau erhalten bleibt - sie kann sich durchaus weiter verschlechtern. Das Ziel der “nachhaltigen Entwicklung” schliesslich verlangt eine Umkehr im Sinne einer Verringerung der Umweltbelastung bis hinunter auf ein Niveau, das Nachhaltigkeit gewährleistet. Dies ist nur mit einer Verminderung von Ressourcenverbrauch und Abfallproduktion möglich.
Abbildung 6: Drei mögliche Ziele einer ökologisch inspirierten Wirtschaftsentwicklung: Entkopplung, qualitatives Wachstum und nachhaltige Entwicklung. BIP = Bruttoinlandprodukt, UB = Umweltbelastung, UB(nh) = Niveau Nachhaltigkeit gewährleistender Umweltbelastung (aus Minsch 1993, 8)
Abbildung 6: Drei mögliche Ziele einer ökologisch inspirierten Wirtschaftsentwicklung: Entkopplung, qualitatives Wachstum und nachhaltige Entwicklung. BIP = Bruttoinlandprodukt, UB = Umweltbelastung, UB(nh) = Niveau Nachhaltigkeit gewährleistender Umweltbelastung (aus Minsch 1993, 8)
Noch einmal: Eine Lebensstilveränderung können wir nicht ins Auge fassen, ohne dass wir auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen berücksichtigen, die sich ebenfalls verändern müssen. Tab.2 zeigt, wie diese (“sanfte technische Gemeinschaft”) im vorwiegend technisch-ökonomischen Bereich im Gegensatz zu heute (“harte technische Gesellschaft”) aussehen müssten. In den folgenden Abschnitten werden wir materielle bzw. biophysische Aspekte eines nachhaltigen (und das heisst auch eines global gerechten) Lebensstils betrachten.
Tabelle 2: Gegenüberstellung von Merkmalen einer "harten technischen Gesellschaft" und einer "sanften technischen Gemeinschaft" (nach Robert Jungk, aus Bartelt u.a. 1978, 38-40)
Harte technische Gesellschaft
Sanfte technische Gemeinschaft
Ökologisch gefährlich
Ökologisch eingepasst
Hoher Energiebedarf
Niedriger Energiebedarf
Hohe Verschmutzung
Geringe oder keine Verschmutzung
Einweggebrauch von Material und Energie
Recycling von Material und Energie
Enger Zeitrahmen
Weitgespannter Zeitrahmen
Massenproduktion
Handwerkliche, individualistische Produktion
Hohe Spezialisierung
Geringe Spezialisierung
Kleinfamilie
Grossfamilie
Überwiegend städtisch
Überwiegend dörflich
Naturentfremdung
Nqaturverbundenheit
Politik der Akklamation
Demokratische Formen
Technische Grenzen ökonomischer Art
Technische Grenzen von Natur und Leben gesetzt
Welthandel
Lokaler und regionaler Tauschhandel
Zerstörung lokaler Kultur
Erhaltung lokaler Kultur
Missbrauch technischer Möglichkeiten
Missbrauch der Technik gesetzlich kontrolliert
Destruktiv gegenüber anderen Lebensformen
Vom Gedeihen anderer Arten abhängig
Innovationsantrieb durch Profit und Krieg
Innovation motiviert durch menschliche Bedürfnisse
Wachstumswirtschaft
Nullwachstum
Kapitalintensiv
Arbeitsintensiv
Entfremdet von jung und alt
Führt Generationen zusammen
Zentralisiert
Dezentralisiert
Leistung steigt mit Grösse
Leistung steigt durch Kleinheit
Konplizierte Verfahrensweisen
Allgemein verständliche Verfahrensweisen
Technische Unfälle häufig und ernster Natur
Technische Unfälle selten und unbedeutend
Totalitäre Lösungen für technische und soziale Probleme
Pluralistische Lösungen
Landwirtschaftliche Monokultur
Verschiedenartigkeit
Akzent liegt auf Quantität
Akzent liegt auf Qualität
Nahrung durch Spezialberufe
Nahrungsmittelbeschafftung durch alle
Arbeit vor allem durch Einkommen motiviert
Befriedigung als Hauptmotiv
Völlige Interdependenz der Produktionseinheiten
Autonome, kleine Einheiten
Wissenschaft und Technik kulturentfremdet
Wissenschaft und Technik von allen betrieben
Spezialisierte wissenschaftliche und technische Elite
Wissenschaft und Technik für alle und von allen betrieben
Kluft zwischen Arbeit und Freizeit
Wenig Unterschied zwischen beiden
Zentrale hohe Arbeitsleistung
"Arbeit als Begriff" inexistent
Technische Ziele für einen Teil des Planeten und für begrenzte Zeit gültig
Technische Ziele gültig für alle und zu jeder Zeit

Anmerkungen

1
Gillwald 1996, 87-88. Vgl. auch Gillwald 1995.
2
Siehe Jürg Minsch 1993, speziell 3-8.
3
Minsch 1993, 3.