www.humanecology.ch · Skripten 1998/99 · Lebensstil

1. Begriffliches: Lebensstandard, Lebensqualität, Lebensstil

Diese Begriffe werden in der Literatur etwas unterschiedlich verwendet. Hier halte ich mich an die Auffassung von Martin Diewald, wonach die genannte Folge eine schrittweise Erweiterung zu einer jeweils umfassenderen und allgemeineren Bedeutung darstellt:1
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Lebensstandard: Mit diesem Begriff werden die materiellen Lebensgrundlagen einer Person, eines Haushalts oder auch einer ganzen Gesellschaft angesprochen. In einem engeren, ökonomischen Verständnis wird versucht, Lebensstandard mit Bezug auf Einkommen, Vermögen und Güterausstattung direkt in monetären Grössen auszudrücken. Tatsächlich besteht ja auch die Tendenz in der Ökonomie, das Bruttosozialprodukt pro Kopf als Mass für den in einem Land herrschenden durchschnittlichen Lebensstandard zu betrachten. In einer weiter gefassten Definition werden aber auch etwa Arbeits- und Wohnbedingungen als Elemente des Lebensstandards betrachtet. Aber in jedem Fall geht es um objektive, direkt beobachtbare und quantifizierbare Merkmale.2
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Lebensqualität: Gegenüber dem mehr oder weniger eindimensionalen Begriff des Lebensstandards wird hier die Mehrdimensionalität der für das menschliche Wohlbefinden bedeutsamen Lebensbedingungen betont. Neben den materiell-ökonomischen Grundlagen werden jetzt auch andere, vor allem auch immaterielle Güter berücksichtigt, z.B. Grad der Demokratisierung, gesellschaftliche Partizipationsangebote, soziale Integration, soziale Sicherheit, Gesundheitszustand der Bevölkerung, Erholungsmöglichkeiten und Möglichkeiten der Selbstverwirklichung.3 Neben den objektiv gegebenen Bedingungen soll der Begriff auch auf die subjektive Bewertung derselben abstellen.
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Lebensstil: Insofern der Begriff der Lebensqualität immer noch stark den Versorgungs- und Verfügbarkeitsaspekten verhaftet ist, soll das Konzept des Lebensstils eine weitere Ausweitung bewerkstelligen. Diese bezieht sich auf das eigene Dazutun, auf die eigenverantwortliche, an differenzierten Wertmassstäben und Lebenszielen ausgerichtete Lebensführung, die so als eine mehr oder weniger erfolgreiche Strategie zur Optimierung von Lebensqualität gesehen werden kann.4 Nach Katrin Gillwald ist es bezeichnend, dass das Lebensstil-Konzept gerade in liberalen Wohlstandgesellschaften entstanden ist, zu deren wesentlichen Errungenschaften die Freiheit individueller Daseinsgestaltung zählt. Diese Freiheit ist aber nicht unbegrenzt, denn die Existenz von Gesellschaft bedeutet grundsätzlich ja immer eine bestimmte Ordnung mit einschränkenden Bedingungen. Somit können Lebensstile als “Arrangements zwischen persönlichen Lebenszielen und äusseren Rahmenbedingungen” gesehen werden.5 Im “Lexikon zur Soziologie” wird der Lebensstil als “ein Mittel der (sub-)kulturellen Einbindung und eine Form der Selbstpräsentation” gesehen.6 Mit dem Stichwort der “Lebensführung” ist im übrigen auch angedeutet, dass das Lebensstil-Konzept über die Beschreibung von Zuständen (wie sie von “Lebensstandard” und “Lebensqualität” geliefert werden) hinaus das Prozesshafte, das auf Zeit Angelegte und auch auf die Zukunft Gerichtete betonen möchte. Mit Lebensführung ist “allgemein die Formung des eigenen Lebens im Hinblick auf Ziele, normative Werte, religiöse Überzeugungen usw., wie sie sich auch in alltäglichen Handlungen kundtut” gemeint.7 Erinnern wir uns als Beispiel an die von Max Weber postulierte, ein arbeitswilliges Leben motivierende “protestantische Ethik” (vgl. 2.4.6 in “Ökonomisches”).
In der Literatur, z.B. bei Karl-Heinz Hillmann,8 taucht auch der Begriff der Lebensform auf, der im Prinzip dasselbe meint wie der des Lebensstils, ausser dass mit dem letzteren eben explizit das für die moderne Gesellschaft typische Wahlmoment betont wird, während der erstere auf beliebige, also auch traditionelle Gesellschaftsarten angewandt wird. Im folgenden betrachte ich Lebensstil und Lebensform als Synonyme.

Anmerkungen

1
Siehe Martin Diewald 1990, 17-18.
2
Nach einem älteren Verständnis wird allerdings die Bedeutung von “Lebensstandard” nicht exklusiv auf des Materielle und Quantitative eingeschränkt. So ist z.B. bei Günter Hartfiel (1976, 371) von “materiellen und immateriellen Versorgungsgütern” die Rede, wie auch von “Güterarten und -qualitäten” und “sozialen Beziehungen”. Hartfiel trifft zudem auch noch eine Unterscheidung zwischen “Lebensstandard” und “Lebenshaltung”, indem er den ersteren Begriff auf das subjektive Streben nach einer bestimmten Art von Versorgung und den letzteren auf die tatsächliche, objektive Struktur der Daseinsgestaltung anwendet. Die gleiche Unterscheidung findet sich auch bei Friedrich Bülow und Heinz Langen (1970, 328, 330).
3
Vgl. Werner Fuchs-Heinritz, Rüdiger Lautmann, Otthein Rammstedt und Hanns Wienold 1995, 394.
4
In einem sehr lesenswerten Artikel aus philosophischer Sicht versteht Gerhard Huber schon den Begriff der Lebensqualität eher in einem solchen bzw. noch in einem umfassenderen Sinne als das, was ein wesensgemässes Leben des Menschen ermöglicht (siehe Huber 1976).
5
Katrin Gillwald 1996, 83.
6
Fuchs-Heinritz u.a. 1995, 394.
7
Fuchs-Heinritz u.a. 1995, 392.
8
Siehe Karl-Heinz Hillmann 1989, 39 ff. Der Autor weist darauf hin, dass der Begriff der Lebensform auf Eduard Spranger 1966 zurückgeht.