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Ökozentrische Position

Beschreibung
Sie stellt die umfassendste Position dar. Alles Natürliche (also auch das Nicht-Lebendige) hat einen Eigenwert. Die Natur ist nicht nur Umwelt des Menschen. Sie war vor ihm da und aus sich heraus. Wenn die Menschen diesen Zusammenhang sehen, kann aus der Umwelt eine Mitwelt werden. Damit ist aber die Natur nicht sakrosankt bezüglich menschlicher Eingriffe. Auch der Mensch ist ja Teil der Natur. Es gibt eine Abstufung der Werte der natürlichen Entitäten, womit technische Eingriffe genau so weit legitimiert sind, wie sie natürliche Kreisläufe nicht zerstören. Spannungen ergeben sich zwischen der Ansicht, es seien die Teile eines Ökosystems wichtig und deshalb immer zu berücksichtigen, und der gegenteiligen Ansicht, dass nur das Kollektiv, also das Ökosystem als Ganzes zählt (hier wird dann auch von der "holistischen Umweltethik" geredet). Letztlich ist zu vermuten, dass beides gleichermassen wichtig ist.
Beispiele
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Aldo Leopold (1949):
Er stellt das Konzept einer "Land-Ethik" vor. Alle Lebewesen sind interdependente Teile von ökologischen Gemeinschaften. Der Wert liegt im Gemeinwohl, d.h. in einer Gemeinschaft als Ganze, nicht in ihren einzelnen Mitgliedern. Der verantwortliche Umgang mit der Umwelt setzt Respekt und Liebe voraus. Dazu braucht es einen rationalen und emotionalen Entwicklungsprozess.
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Klaus Michael Meyer-Abich (1984):
Er entwickelt das Konzept einer "Rechtsgemeinschaft der Natur". Diese besteht darin, dass die Eigenwerte der natürlichen Mitwelt in Gestalt von Rechten anerkannt werden. Zur Mitwelt gehören Landschaften, Tiere, Pflanzen, Licht, Wind und Wasser. Da diese ihre Interessen vor Gericht nicht selbst vertreten können, bedürfen sie einer Stellvertretung. Dies ist kein neues Prinzip, sondern gilt jetzt schon für Minderjährige und Schwerkranke wie auch für sog. juristische Personen. Zwar können wir nie sicher sein, dass ein Mensch die Interessen einer "juristischen Person" (jetzt i.w.S.) angemessen vertritt. Worauf es ankommt, ist, wahrhaft menschlich zu handeln, d.h. nicht nur aus Eigennutz und vom Ganzen her denkend.
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Arne Naess (1989):
Er ist der Begründer der sog. deep ecology. Diese verlangt eine Offenheit nach aussen im spontanen Naturerlebnis und eine Offenheit nach innen für Intuitionen und Gefühle (diese sind Teil einer objektiven Realität). Mit zunehmender Aufmerksamkeit sieht man vorher verborgene Verbindungen, es kann zum Aha-Erlebnis kommen. Der Prozess wird als Selbst-Realisierung bezeichnet. Dies ermöglicht eine Identifikation in dem Sinne, dass wir Teile der Natur als Teile von uns selbst erkennen und damit einsehen, dass wir sie nicht zerstören können, wenn wir "voll" existieren wollen. Die deep ecology soll aber nicht eine bloss kontemplative Angelegenheit sein, sondern auch fähig, praktische Anleitungen zu geben. Z.B. lässt sich aus der Maxime "Selbst-Realisierung für alle!" auf logische Weise eine ökologische Norm für Diversität ableiten.
Kritik
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Wie schon bei der biozentrischen Ethik besteht eine erhöhte Schwierigkeit, einen Konsens zu finden. Ökozentrische Einstellungen fallen leicht in den Verdacht, lediglich individuelle und nicht universalisierbare Vorlieben darzustellen (Birnbacher 1987).
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Ein ökozentrisch begründeter Umweltschutz ist moralisch stark, aber politisch schwach, da er sich in der Auseinandersetzung mit anthropozentrisch begründeten Interessen nicht durchsetzen kann und die Konzepte nur schwer umsetzbar sind (Reiche und Fülgraff 1987).
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Die Teile eines Ökosystems haben bei der Land-Ethik keinen Wert an sich, sondern nur dann, wenn sie zur Gemeinschaft beitragen. Es gibt keine Kriterien zur Beurteilung von Ganzheiten wie z.B. Ökosystemen (Armstrong-Buck 1986).
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Die deep ecology ist abzulehnen, weil sie eine fundamentalistische Religion darstellt (Laurent Rebeaud im Tages-Anzeiger vom 27. März 1993).
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Die deep ecology lebt davon, dass auch bei allem Zwang zum Konsens die Verschiedenheiten von Perspektiven nicht verloren gehen dürfen. Die Umweltschutz-Bewegung wird am stärksten sein, wenn gezeigt werden kann, dass ihre Prinzipien von verschiedenen Hintergründen her ableitbar sind (Rothenberg 1989).