www.humanecology.ch · Skripten 1998/99 · Ökonomisches

5.3.4 Gerechte Preise

Bis ins 13. Jh. hinein setzt sich die schon aus der Antike bekannte (vgl. 5.3.1) Vorstellung von “normalen Preisen” fort, die sich aus traditionellen, mehr oder weniger festen Austauschbeziehungen ergeben. Dass dann in der scholastischen Philosophie226, insbesondere beim italienischen Scholastiker Thomas von Aquin (ca. 1225-1274), eine darüber hinaus gehende Diskussion um “gerechte Preise” entsteht, deutet darauf hin, dass sich eine Phase des Umbruchs zu stärker ökonomischen Denkformen ankündigt.227 Zunächst ist bei Thomas Tausch bzw. Handel immer noch etwas, das in einen gesellschaftlichen Zusammenhang eingebettet ist, also eine soziale Beziehung darstellt, die sich an bestimmten Regeln und Normen orientiert. Leider erklärt er nirgends genau, was dabei ein gerechter Preis ist - offenbar war das Konzept so etwas Alltäglich-Selbstverständliches, dass es keiner Erörterung bedurfte.228 Es kann aber versucht werden, aus der von Thomas entwickelten Wertlehre eine Interpretation der Bedeutung eines gerechten Preises abzuleiten. Das ist auch geschehen, aber auf unterschiedliche Weise. Im Prinzip stehen sich zwei Lager gegenüber, die sich darum streiten, ob es sich um eine subjektive oder eine objektive Werttheorie handelt. Die erstere entspricht einer neoklassischen Sichtweise, die behauptet, der Wert einer Ware gründe im menschlichen Bedürfnis. Die letztere dagegen sieht diesen Wert als eine empirisch messbare Grösse, die auf dem zur Produktion gehörigen Arbeitsaufwand beruht.229
Franco Furger sieht beide Auffassungen als extrem an und zeigt, dass eine Auslegung plausibel ist, die Elemente von beiden Seiten zulässt. Die Vorstellung gerechter Preise neigt einerseits einer objektiven Wertlehre zu, indem sie sich am Arbeitsaufwand zur Produktion des in Frage stehenden Gutes orientiert. Aber auch die Lieferung einer Ware ist mit Arbeit verbunden, womit also ein Händler berechtigt ist, sie teurer zu verkaufen als er sie eingekauft hat (vgl. mit der Marxschen Auffassung in 1.3!). Allerdings ist dieser Aufwand nicht z.B. in Arbeitsstunden messbar, denn noch existiert keine Konzeption von Zeit als einer ökonomischen Ressource. Sicher hat der Wert mit der Dauer der involvierten Arbeit zu tun, aber nicht nur. Es spielen noch andere, insbesondere qualitative Kriterien eine Rolle, die sich auf traditionelle berufliche Fähigkeiten beziehen. Diese aber lassen sich mit bestimmten Berufsständen und ihnen angehörenden Personen verknüpfen, womit ein gerechter Preis einer ist, der dem gesellschaftlichen Status des Standes bzw. der Person angemessen ist.230 Sicher aber war Thomas andererseits auch die Idee des Wettbewerbs nicht unbekannt, womit seine Lehre auch gewisse an neoklassische Auffassungen eines Marktgeschehens anklingende Elemente enthält. Dabei sieht er aber nicht den Preis an sich als Resultat der Konkurrenzsituation, sondern die Abweichungen von einem bekannten gerechten Preis.231

Anmerkungen

226
Scholastik: Bezeichnung für die mittelalterliche theologisch-philosophische Lehre, die kirchliche Dogmen und antike (v.a. aristotelische) Philosophie zu verbinden sucht.
227
Vgl. Furger 1994, 193.
228
Siehe Furger 1994, 195-196.
229
Nach Furger 1994, 196-199.
230
Vgl. Furger 1994, 200-201.
231
Siehe Furger 1994, 196, 202.