www.humanecology.ch · Skripten 1998/99 · Ökonomisches

3.1 Archaische Gruppen als Teil des Landes, auf dem sie leben

Die Vorstellung, Grund und Boden könnten als Eigentum in unserem Sinne betrachtet werden, würde von archaisch lebenden Menschen sicher als absurd empfunden. Es ist eher umgekehrt so, dass sich eine Gruppe über ein gemeinsames Territorium definiert und sich gewissermassen als dessen Teil betrachtet. Dabei ist das Gebiet einer Horde, wie wir bei den !Kung gesehen haben (vgl. 3.1 in “Politisches”), auf ein Zentrum hin - bei den !Kung ein Wasserloch - orientiert, hat aber nach aussen keine klare Abgrenzung. Auch bestehen keine exklusiven Besitzansprüche; unter gewissen Bedingungen sind Aussenstehende zur Nutzung der Ressourcen zugelassen oder können auch Mitglied der Gruppe werden. Es kommen auch klimatisch bedingte jahreszeitliche Zyklen vor, bei denen die Einzelnutzung von bestimmten Territorien durch Kleingruppen mit der gemeinsamen Nutzung von Ressourcen durch eine grössere Gemeinschaft abwechselt (vgl. 2.1, speziell auch Abb.2). Allerdings haben vergleichende Studien von Wildbeutergesellschafen gezeigt, dass es durchaus gewisse Unterschiede des Territorialverhaltens gibt, wobei über das Warum gestritten wird. Eine mögliche Erklärung ist die, dass ökologische Faktoren der Nahrungsversorgung eine massgebliche Rolle spielen: Ist der Nahrungserwerb schlecht kalkulierbar (z.B. bei der Abhängigkeit von Grosswild oder bei starken jährlichen Niederschlagsschwankungen), so wäre nach dieser Vorstellung das Territorialverhalten schwach oder gar nicht ausgeprägt, denn es gibt nicht etwas zu verteidigen, das ständig greifbar wäre. Als Beispiele werden die Hadza in Tansania und die Inuit aufgeführt. Ist umgekehrt der Nahrungsbestand saisonal konstant, steigt der Anspruch auf eine exklusive Nutzungsmöglichkeit, so z.B. bei den Mbuti im tropischen Regenwald des Kongos.127
Dieser Erklärungsversuch kann als kulturmaterialistisch motiviert interpretiert werden. Der Kulturmaterialismus ist eine Richtung der Ethnologie, die gerne alle sozio-kulturellen Merkmale einer menschlichen Gemeinschaft aus den materiellen Bedingungen ihrer Existenz ableiten möchte.128 Das kann aber nicht die ganze Geschichte sein, denn territoriale Bindungen können auch durch religiöse Kategorien entstehen. Dies ist z.B. bei den Aborigines in Australien der Fall, die i.a. zum eigentlichen Lebensraum, der ihnen die Nahrung liefert, eine lockere Beziehung haben, aber sich Landstrichen verbunden fühlen, die oft ausserhalb davon liegen. In ihren Vorstellungen haben mythische Ahnen der vorher gestaltlosen Erde ihre heutige Form gegeben, also die Landschaften geschaffen. Jeder Klan führt sich auf solche Ahnen zurück und damit ist ihm durch die Schöpfungsordnung ein bestimmtes Territorium zugewiesen. Aufgabe des Klans ist es, darauf die Schöpfungsordnung immer wieder nachzuvollziehen und damit zu bewahren.129 Aber wie gesagt, besteht keine Übereinstimmung zwischen diesen religiös definierten Territorien und den zum materiellen Lebensunterhalt genutzten Räumen:
... der Klan, dem das Gebiet gehörte, war keineswegs mit der Gruppe identisch, die es gerade nutzte. In vorkolonialer Zeit hätte eine Umfrage das verwirrende Resultat ergeben, dass zwar Australien in Reviere aufgeteilt und jeder Uraustralier als Mitglied seines Klans Mitbesitzer seines angestammten Landstücks war, zugleich aber hätte sich gezeigt, dass zu jedem beliebigen Zeitpunkt mehr Menschen in den Gebieten fremder Klans lebten als in den eigenen.130
Der Grund für diese fehlende Deckung kann in ökologischen Bedingungen (ein Gebiet liefert keine genügende Nahrungsversorgung) oder in sozialen Verhältnissen (Gruppenwechsel durch Heirat oder sonstige Beziehungen) gesucht werden.

Anmerkungen

127
Nach Dürrenberger 1989b, 137, der auf R. Dyson-Hudson und E.A. Smith 1978 Bezug nimmt.
128
Als Hauptvertreter dieser Richtung gilt der amerikanische Ethnologe Marvin Harris, der auch ein entsprechendes Buch (Harris 1980) geschrieben hat.
129
Nach Jost herbig 1985, 92 ff.
130
Herbig 1985, 104.