www.humanecology.ch · Skripten 1998/99 · Ökonomisches

1.3 Zum Begriff des Kapitals

Das Wort “Kapital” erscheint im Deutschen im 16. Jh. in Anlehnung an das italienische capitale, das Wert, Grundsumme, Vermögen in Geld oder Reichtum bedeutet.10 Dieser Begriff geht seinerseits auf die lateinischen Wörter capitalis (= den Kopf, das Leben betreffend, hauptsächlich) bzw. caput (= Haupt, Kopf, im Zusammenhang mit Geld auch Hauptsumme, Grundstock) zurück. In der Folge verdrängt “Kapital” ältere entsprechende Begriffe wie z.B. “Hauptgut”. Speziell wird dann mit “Kapital” eine Geldsumme gemeint, die sich zinstragend anlegen lässt, und von hier wird der Begriff auf alle Arten des Einsatzes von Geld (neben Ausleihe auch Handel und Produktion) ausgedehnt, mit denen sich Mehrwerte erzeugen lassen. Entsprechend ist ein “Kapitalist” zunächst (im 17. Jh.) einfach ein Geldbesitzer, später dann (im 18. Jh.) ein Unternehmer, insbesondere ein Besitzer von Produktionsanlagen.11 Und unter “Kapitalismus” verstehen wir eine Wirtschaftsform, die auf Kapital und der damit erzeugten Produktion von Mehrwert aufbaut.
Es lassen sich drei Arten des Kapitals unterscheiden. Ihre Bedeutung können wir z.B. in der von Karl Marx (1818-1883) gegebenen klaren Beschreibung erkennen, wobei wir uns einfach daran erinnern sollten, dass diese Marxsche Beschreibung nicht eine neutrale, sondern eine kapitalismus-kritische ist.
1
Handels- oder Kaufmannskapital: Jemand kauft ein fertiges Produkt zu einem bestimmten Preis ein, um es zu einem höheren Preis wieder zu verkaufen. Symbolisch dargestellt entspricht dies dem Kreislauf G - W - G', in dem Geld (G) in Ware (W) und dann zurück in Geld (G') verwandelt wird, wobei G' > G. An sich besteht aber Handel aus einem Austauch von gleichgrossen Tauschwerten; damit ein Mehrwert entsteht, muss noch ein zusätzlicher Faktor beteiligt sein, nämlich entweder eine Übervorteilung des Verkäufers (der Händler bringt diesen dazu, die Ware billiger als normal zu verkaufen) und/oder des Käufers (der Händler bringt diesen dazu, teurer als normal zu kaufen), oder das Einfügen eines Produktionsprozesses zwischen Kauf und Verkauf, durch den der Ware Mehrwert hinzugefügt wird.12
2
Finanzkapital (oder “Wucherkapital”, wie Marx es nennt): Jemand verleiht Geld, um es nach einiger Zeit mit Zinsen zurückzubekommen.13 “Im Wucherkapital ist die Form G - W - G' abgekürzt auf die unvermittelten Extreme G - G'. Geld, das sich gegen mehr Geld austauscht, ist eine der Natur des Geldes widersprechende und daher vom Standpunkt des Warenaustausches unerklärliche Form.”14
3
Industriekapital: Jemand lässt Waren produzieren, um sie zu einem Preis zu verkaufen, der über den Kosten der Produktionsfaktoren liegt.15 “... auch das industrielle Kapital ist Geld, das sich in Ware verwandelt und durch den Verkauf der Ware in mehr Geld rückverwandelt”,16 also symbolisch wiederum als Prozess G - W - G' dargestellt werden kann. Dabei ist die menschliche Arbeitskraft die einzige Quelle des Mehrwerts. “Mit anderen Worten: Die menschliche Arbeitskraft besitzt einen besonderen Gebrauchswert. Seine Eigenart besteht darin, dass er mehr Tauschwert erzeugen kann, als dem Tauschwert der Arbeitskraft selbst entspricht. Sie hat also die Fähigkeit, neuen Tauschwert zu schaffen.”17 Anschaulich: Der Unternehmer zahlt dem Arbeiter einen Lohn in einer Grössenordnung, die diesem die Erhaltung (Reproduktion) seiner Arbeitskraft durch den Kauf der notwendigen Lebensmittel ermöglicht. Er kann aber das Produkt, das dieser Arbeiter in einer gewissen Zeitspanne herstellt, zu einem Preis verkaufen, der über dem Preis der während derselben Zeit vom Arbeiter benötigten Lebensmittel liegt. Dies ist ein Vorgang, der von Marx auch als “Ausbeutung” bezeichnet wird.18
Entsprechend den drei Arten von Kapital gibt es auch die Unterscheidung von Handels-, Finanz- und Industriekapitalismus. Diese spielt für das historische Verständnis der Entstehung der modernen ökonomischen Gesellschaft eine wesentliche Rolle.

Anmerkungen

10
Braudel sagt in seinem Buch "Sozialgeschichte des 15. bis 18. Jahrhunderts. Der handel" (deutsche Übersetzung aus dem Französischen), der Begriff tuache im 12./13.Jh. auf, aber damit meint er dann offensichtlich den französischen Sprachgebrauch (Braudel 1987, 249).
11
Nach Pfeifer 1997, 619.
12
Vgl. Werner Schmitz 1984, 46, 49-50. Der Kreislauf der G - W - G bzw. G - W - G' steht bei Karl Marx im Gegensatz zum Zyklus der umgekehrten Form W - G - W, bei dem Ware in Geld transformiert und dieses wiederum in Ware rückverwandelt wird. Dies entspricht der gewissermassen natürlichen Verwendung des Geldes als Tauschmittel (vgl. Schmitz 1984, 43).
13
Siehe Schmitz 1984, 49.
14
Marx, zitiert in Schmitz 1984, 48.
15
Vgl. Schmitz 1984, 49.
16
Marx, zitiert in Schmitz 1984, 48.
17
Schmitz 1984, 62.
18
Vgl. Schmitz 1984, 62-63.