www.humanecology.ch · Skripten 1998/99 · Ökonomisches

9 Die Globalisierung: Chance oder Risiko? Ein fiktives Gespräch

Zum Thema der wirtschaftlichen Globalisierung gibt es schon jetzt eine unüberschaubare Menge von Literatur. Die Meinungen hinsichtlich der Frage, ob sie uns eher Vorteile oder Nachteile bringt, prallen aufeinander. Zu den optimistischen Darstellungen gehört z.B. die von Christian Hey und R. Schleicher-Tappeser, unter den pessimistischen befinden sich z.B. die Arbeiten von Gerald Boxberger und Harald Klimenta und von Jerry Mander und Edward Goldsmith.344 Hier versuche ich einen Eindruck von einigen typischen Themen in dieser Debatte zu geben, und zwar in der Form eines fiktiven Gesprächs. Die Teilnehmer (alles Männer, ich entschuldige mich, aber vielleicht ist auch das typisch) sind: Jagdish Bhagwati, (Standard-)Ökonom und Politologe an der Columbia University in New York, Rolf Weder, (Standard-)Ökonom an der Universität Basel, Herman E. Daly, (Alternativ-)Ökonom, früher bei der Weltbank, und Dieter Steiner, Humanökologe. Was hat der letztere in dieser Runde zu suchen? Ich erinnere an den alten Spruch: Wer nur von Ökonomie etwas versteht, versteht von Ökonomie gar nichts. Da ich nicht nur von Ökonomie etwas verstehe ... Die Aussagen der Beteiligten basieren mehr oder weniger auf Textstellen in einem von ihnen geschriebenen Artikel;345 entsprechende Seitenhinweise finden sich in zugehörigen Fussnoten. Freie Erfindungen kommen auch vor, aber sind minimal gehalten. Dass im übrigen das Gespräch fiktiv ist, lässt sich auch daran erkennen, dass die Kontrahenten sich sehr gesittet benehmen und einander nicht ins Wort fallen!
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Weder:
Ich gebe zu, dass die Umweltkrise eine Folge des Wirtschaftens ist. Aber das heisst nicht, dass diese Krise ein Problem der Marktwirtschaft per se ist. Vielerorts ist diese noch gar nicht so eingeführt, dass sie auch wirklich funktionieren kann. Es geht jetzt also darum, das marktwirtschaftliche System noch konsequenter zu verwirklichen, und zwar überall auf dieser Erde. Die Globalisierung ist unsere grosse Chance!346
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Steiner:
Mir scheint, das heisst: Beschleunigter Kurs Richtung Abgrund! Das Hauptproblem sehe ich darin, dass die ökonomische Theorie einerseits für sich eine Art Naturgesetzlichkeit beansprucht, andererseits aber beklagt, dass die reale Wirtschaft sich anders verhalte, weil die marktwirtschaftlichen Prinzipien noch nicht richtig eingeführt worden seien. Ein grundlegender Widerspruch! Die Folgerung, die die Ökonomen daraus ziehen? Die Wirklichkeit muss der Theorie angepasst werden!347
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Daly:
Auch für mich ist das ein äusserst gefährlicher Vorschlag. Unser Wirtschaftssystem produziert nicht von ungefähr Umweltprobleme, denn es stützt sich auf eine Theorie, die annimmt, dass die Ökonomie das ganze System ist, isoliert von allem anderen, ohne Austausch von Energie und Materie mit einer Umgebung, und deshalb fähig, in beliebigem Ausmass zu wachsen.348
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Bhagwati:
Haben wir doch ein bisschen mehr Vertrauen in die Ökonomie sowohl als Wissenschaft wie auch als reales System! Der Handel ist historisch gesehen eine uralte menschliche Beschäftigung und von daher haben wir heute Institutionen, die sich auf eine lange Erfahrung und Reflexion abstützen können. Das ist sicher ein soliderer Hintergrund als der der Umweltschützer, ist doch Umweltschutz ein relativ neues Anliegen. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass sie mit ihren Kampagnen anstelle des Verstandes gerne die Gefühle ansprechen!349
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Weder:
Ja, richtig! Auch ich behaupte nach wie vor, dass es zur Lösung der Umweltprobleme nicht notwendig ist, von unserem Gesellschafts- und Wirtschaftssystem abzurücken. Wenn wir im Rahmen eines globalisierten Wirtschaftssystems den Ländern ermöglichen, sich nach Massgabe ihrer Ressourcen und Produktionsbedingungen zu spezialisieren und Güter und Dienstleistungen auszutauschen, kann weltweit effizient und damit ressourcenschonend gewirtschaftet werden.350
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Daly:
Sie sprechen hier die Forderung nach internationaler Arbeitsteilung auf Grund des Konzeptes der sog. komparativen Vorteile an: Wie wir hier natürlich wissen - ich mache diesen kleinen Exkurs zugunsten des weiteren Publikums -, geht dieses auf David Ricardo zurück. Er beobachtete, dass Länder mit verschiedenen Technologien, Traditionen und Ressourcen mit unterschiedlichen Kosten rechnen müssen, wenn sie die gleichen Produkte herstellen. In einem Land kann z.B. die Kohlenförderung billiger als in einem anderen sein, während für die Weizenproduktion das Umgekehrte gilt. Wenn sich also die Länder auf das spezialisieren, was sie am günstigsten herstellen können und andere Dinge importieren, fahren alle am besten. So weit, so gut. In Ricardos Überlegungen steckt aber eine Annahme, nämlich die, dass die Produktionsfaktoren, insbesondere das Kapital, international immobil sind. Das gilt natürlich heute schon lange nicht mehr. Die Freihandels-Befürworter treten also mit einem Argument für die möglichste Durchlässigkeit der Landesgrenzen ein, das gerade die Geschlossenheit dieser Grenzen voraussetzt!351
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Weder:
Halt, halt! Das ist eine Fehlanalyse. Mit dieser Ansicht stehen sie ziemlich allein da! Internationaler Handel und auch internationale Faktormobilität erhöhen wirklich die weltweite Effizienz, weil Güter dort hergestellt werden und Produktionsfaktoren dorthin wandern, wo mit den beschränkten Ressourcen schlicht am meisten geleistet werden kann.352
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Daly:
Das wäre allenfalls gut, wenn alle Länder davon profitierten. Aber Faktormobilität bedeutet, dass sich das Kapital nicht an komparativen, sondern an absoluten Vorteilen orientiert, womit einige Länder gegenüber anderen in den Genuss absoluter Vorteile kommen können. Im Extremfall haben wir dann Staaten, aus denen alles Kapital abgewandert ist und gar nichts mehr läuft, während die anderen im Kapitalüberfluss auf Hochtouren laufen.353
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Steiner:
Daneben sehe ich noch weitere, mit einer forcierten internationalen Arbeitsteilung zusammenhängende Probleme, die von einer Ökonomie, deren einziges Kriterium monetäre Effizienz ist, ignoriert werden. Die Frage stellt sich nicht mehr, was wir unter gegebenen lokalen oder regionalen Bedingungen gemeinschaftlich erarbeiten können, sondern welches Privatunternehmen wo die besten Gewinne machen kann. Die Partikularinteressen erhalten den Vorrang vor den Gemeininteressen. Tatsächlich ist es ja so, dass weltweit traditionelle Systeme von Kooperation und Gemeinschaft unter dem Druck der Marktkräfte zugrunde gehen.354
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Daly:
Dem stimme ich zu. Tatsächlich wird mit dem simplistischen Argument, dass Spezialisierung und Handel die Pro-Kopf-Verfügbarkeit von Gütern erhöhen, die Bedeutung des sozio-kulturellen Bereichs für die menschliche Wohlfahrt völlig ausgeklammert. Z.B. gehört auch dazu - und dies wird kaum diskutiert -, dass die Spezialisierung die in einem Land zur Verfügung stehenden beruflichen Optionen stark einschränken kann.355
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Steiner:
Und was ist, wenn Spezialisierung geisttötende Arbeit bedeutet? Henry Ford löste das Problem, seine Arbeiter trotz Fliessband bei guter Laune zu halten, auf sehr clevere Weise: Er zahlte ihnen Löhne in einer Grössenordnung, die es ihnen erlaubte, seine Autos zu kaufen. Aber ist das die Art und Weise, wie wir uns die Arbeitswelt vorstellen?356
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Daly:
Und dann ist da noch ein weiterer wichtiger Punkt: Eine nationale Spezialisierung kann sich für das fragliche Land auch zu einer schweren Hypothek auswachsen, weil es damit seine Unabhängigkeit einbüsst.357
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Bhagwati:
Da kann man ganz anderer Meinung sein. Indem ein Land auf dem internationalen Markt seine Spezialitäten anbietet, erhält es die Freiheit, dafür einzuhandeln, was es will. Eine Voraussetzung ist aber, dass dieser Handel möglichst frei ist, nur dann können alle davon profitieren. Gerade hinsichtlich der ökologischen Problematik gibt es schöne Beispiele dafür, wie sich protektive Massnahmen schädlich auswirken können. Z.B. limitierten die USA in den achtziger Jahren den Import von japanischen Autos. Was war das Resultat? Die Japaner verlegten ihre Exporte von kleinen zu grossen Fahrzeugen, um den Erlös bei gleichbleibender Stückzahl zu erhöhen. Diese grossen Wagen waren aber bezüglich ihres Benzinverbrauchs ineffizient, so dass die durch den Verkehr verursachte Luftverschmutzung insgesamt zu- statt abnahm.358
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Daly:
Gut, aber vielleicht ist nicht die protektive Massnahme das Hauptproblem hier, sondern überhaupt die Idee, dass die Amerikaner ihre Autos in Japan und die Japaner die ihrigen in den USA verkaufen wollen. Was ist der Sinn davon? Auch unter unbeschränkten Freihandels-Bedingungen sind Formen von Ineffizienz möglich, die die These von den komparativen Vorteilen Lügen strafen. Denken wir daran, dass mehr als die Hälfte des internationalen Handels den gleichzeitigen Import und Export der im wesentlichen gleichen Güter betrifft. Z.B. importieren die USA dänisches Zuckergebäck und Dänemark importiert amerikanisches Zuckergebäck. Wäre es nicht viel einfacher, die Rezepte auszutauschen?359
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Weder:
Aber daraus kann man sicher nicht ableiten, dass das Prinzip eines internationalen Marktes falsch ist. Es wird ja einfach produziert und gehandelt, was Absatz findet. Aber mir ist es noch ein Anliegen, dass wir nicht so rasch von den protektionistischen Hemmschuhen des freien Handels wegrücken. Hier haben wir ja bis in die jüngste Zeit krasse Beispiele auf dem Gebiet der Landwirtschaft gehabt, indem jedes Land eine Glasglocke über die einheimische Produktion hielt. In jedem Land sollte alles produziert werden, ob von den Voraussetzungen her gesehen sinnvoll oder nicht. Die Folgen waren z.B. ein sehr hoher Düngereinsatz und die Ersetzung der Sonne durch künstliche Energie in Treibhäusern. Sie Freihandels-Kritiker wollen doch nicht behaupten, dass das umweltverträglich ist?360
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Steiner:
Ganz und gar nicht. Aber ich glaube, dass das Düngerproblem ein allgemeines Problem ist und nichts mit Protektionismus zu tun hat. Und die Verschleuderung von Energie in Treibhäusern könnte nicht stattfinden, wenn die Produzenten dafür einen ökologisch wahren Preis, also alle externen Kosten inbegriffen, zahlen müssten. Auch das ist nicht eine Folge protektionistischer Massnahmen.
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Weder:
Oh doch! Ich kann das anhand des erwähnten Düngers belegen. Ich habe hier die Zahlen. 1989/90 wurden in Ländern wie Irland, der Niederlande, Belgien und der Schweiz, die von der Natur her nicht für Agrarwirtschaft begünstigt sind, pro Hektare zwischen 400 und 700 kg Dünger verbraucht! In den USA dagegen, das wir als natürliches Agrarland betrachten können, liegt die entsprechende Zahl bei nur 98 kg.361
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Steiner:
Wir wissen alle, dass man mit Statistiken hervorragend lügen kann. Nicht Sie, Herr Weder, nein, nur die Statistik! Ich weiss nicht, was diese Zahlen genau aussagen, was alles dahintersteckt; eine monokausale Betrachtung, so denke ich, ist jedenfalls verfehlt. Was mir hingegen bezüglich der von Ihnen so lobend erwähnten USA bekannt ist: Sie hat eine im höchsten Masse industrialisierte Landwirtschaft, die alles andere als umweltverträglich ist. Schätzungen ergeben, dass nach jedem Anbaujahr jeweils 20 Jahre Brache eingeschaltet werden müssten, damit die Landwirtschaft unter Beibehaltung der gegenwärtigen Technologie nachhaltig wäre!362
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Bhagwati:
Ich denke, es ist Zeit, dass ich den beiden Streithähnen Gelegenheit gebe, sich etwas zu erholen, indem ich auch wieder mal etwas sage. Mir scheint, das Problem des Protektionismus hat verschiedene Aspekte. Einerseits soll jedes Land im Prinzip seine eigenen Werte haben und die nach Möglichkeit auch umsetzen können. Was aber nicht geht: Kein Staat darf versuchen, mittels handelspolitischer Massnahmen anderen Gemeinschaften und Ländern seine eigenen Werthaltungen aufzuzwingen. Nehmen wir wieder ein Beispiel: Der Umwelt- und Tierschutz-Lobby in den USA gelang es vor Jahren zu bewirken, dass das Land ein Embargo gegen die Einfuhr von mexikanischem Thon aussprach. Warum? Weil die mexikanische Fischerei mit Treibnetzen operiert, wobei nicht nur Thunfische gefangen werden, sondern auch Delphine zugrunde gehen. Über Werthaltungen aber kann man sich streiten. Es ist völlig richtig, dass die USA in dieser Angelegenheit vom GATT zurückgepfiffen worden sind.363
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Daly:
Ich bin sehr froh, dass Sie dieses Beispiel aufgreifen, denn es eignet sich hervorragend dafür, um meine Position zu stützen. Zur Präzisierung: Zufolge des amerikanischen “Marine Mammal Protection Act” muss im Preis von in den USA verkauftem Thunfisch, ob von amerikanischen oder mexikanischen Fischern gefangen, die monetarisierte Externalität der wegen des Thunfischfangs getöteten Delphine enthalten sein. Das zwingt die Fischer, zu sorgfältigeren Fangmethoden überzugehen. In Mexiko ist dies nicht der Fall. Aber mir scheint es das Natürlichste von der Welt zu sein, dass die USA auf ihrem inländischen Markt ihre eigenen Kriterien durchsetzen wollen. Wenn die Mexikaner Zugang zu diesem Markt wollen, dann sollen sie eben zu dem Preis verkaufen müssen, der auf ihm gültig ist.364
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Bhagwati:
Es ist ja auch so, dass das GATT jedem Land die Einführung eigener Regulierungen erlaubt, allerdings nur solange diese nicht gegenüber ausländischen Handelspartnern diskriminierend wirken. Und das ist natürlich in dem genannten Konflikt der springende Punkt.365
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Daly:
Nein, das darf nicht der springende Punkt sein. Das grundlegende Prinzip muss die nationale Souveränität sein bezüglich der Festlegung ökologisch wirksamer Regeln für den Verkauf von Produkten, auch von importierten, auf dem eigenen Territorium. Dieser Standpunkt wird häufig als “umwelt-imperialistisch” gebrandmarkt. Dabei müsste dieser Vorwurf dem deregulierten Freihandel gemacht werden - in einem hinsichtlich Umweltverträglichkeit negativen Sinne. Wenn Unternehmen unter tiefen Standards kostengünstig produzieren können und dann ihre Güter in Ländern mit höheren Standards verkaufen, üben sie auf diese einen Druck aus, ihre Standards herabzusetzen.366
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Bhagwati:
Ich bleibe beim Begriff der Diskriminierung. Es scheint mir, dass die Romantiker, die gegen die Treibnetzfischerei eingestellt sind, den Interessen der Delphine den Vorrang vor den Interessen der Bevölkerung Mexikos geben wollen. Es interessiert sie offensichtlich nicht, dass diese Bevölkerung dank einer produktiveren Methode des Fischfangs zu mehr Wohlstand kommen kann. Ich meine, wenn sich die Umweltschützer weiterhin für die Delphine einsetzen wollen, sollen sie doch in Mexiko eine Lobby einrichten und versuchen, die dortige Regierung von ihren Ansichten zu überzeugen!367
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Steiner:
Das war jetzt ein bisschen ausfällig, Herr Bhagwati. Im Fussball würde es an dieser Stelle eine gelbe Karte geben. Sie scheinen “Romantiker” als Schimpfwort zu verwenden! Ich bin der Meinung, dass uns etwas mehr Romantik zulasten der Dollarzeichen in den Augen nur gut tun könnte.
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Bhagwati:
Ja wissen Sie, ich bin eben Ökonom und Rationalist und halte nichts vom Versuch, Leute mit emotionalen Tricks zu manipulieren.
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Weder:
Ich denke, alle diese Probleme - ich meine jetzt nicht die Romantik, sondern die mit unterschiedlichen Standards verbundenen - können wir über internationale Abkommen lösen.
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Bhagwati:
Ja gut, an sich bin ich zwar der Ansicht, es sei ganz natürlich, dass die einzelnen Länder verschiedene Bedürfnisse haben hinsichtlich der Umweltprobleme, die sie angehen wollen und der Industrien, die von Massnahmen betroffen sein sollen. Aber wenn eine globale Regelung gelingt, warum nicht. Allerdings darf die Tatsache, dass eine solche im Moment noch fehlt, für Länder mit höheren Standards nicht als Vorwand dienen, um Importgüter aus Ländern mit tieferen Umweltstandards zu besteuern. Das ist willkürlich und verstösst gegen jegliche ökonomische Logik!368
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Weder:
Ich muss mich da genauer ausdrücken. Wenn ich von Abkommen rede, meine ich nicht solche von der Art der z.B. im Gefolge der Rio-Konferenz mühsam erarbeiteten Klimaprotokolle, die die einzelnen Länder verpflichten sollen, ihre CO2-Emissionen zu senken. Wie verbindlich dies gehandhabt werden wird, ist die Frage, und zudem braucht es dann wieder neue Organisationen, was bezüglich Effizienz hinderlich sein kann. Was ich dagegen meine, sind umweltökonomische Lösungen, die über die Zuteilung von Eigentumsrechten laufen. Konkret: Hinsichtlich der Klimaproblematik sollen die politischen Anstrengungen auf die Einführung eines weltweiten Systems handelbarer Zertifkate für CO2-Emissionen zielen.369
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Steiner:
Ich gebe zu, dass diese Idee verlockend ist, weil damit eine Mengenbeschränkung verbunden ist. Es darf nur so viel CO2 in die Luft gehen, wie dem durch die Zertifkate repräsentierten Umfang entspricht. Nur: Braucht nicht auch ein solches System einen Kontrollapparat? Wie können wir sicher sein, dass niemand betrügt? Und wenn das System wirklich funktionieren würde, wäre es nicht ungerecht, weil dann die reichen Länder die Zertifikate und damit das Recht auf Umweltverschmutzung aufkaufen könnten? Und schliesslich: Eine Firma braucht für ihren Entscheid, ob oder wie stark sie sich an solcher Verschmutzung beteiligen will, keine moralischen Erwägungen, ihr einziges Kriterium ist, ob und wie viel Zertifikate sie besitzt.
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Weder:
Zu diesen Fragen und Befürchtungen gibt es Antworten. Aber die Zeit für eine diesbezügliche Diskussion fehlt uns jetzt. Was ich aber auf alle Fälle hervorstreichen möchte: Die Problemlösung muss klar globalisiert werden. Jedenfalls ist das ganz offensichtlich für Probleme von internationalem bis weltweitem Charakter. Aber selbst für nationale Probleme sind globale Lösungen von Vorteil. Mit anderen Worten: Von nationalen Alleingängen ist abzuraten, sie stellen keine realistische Strategie dar.370
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Steiner:
Da bin ich nicht einverstanden. Abgesehen davon, dass unilaterale Massnahmen einen Vorbildcharakter haben können, ist es auch möglich, sie so zu gestalten, dass sie international gesehen kaum oder gar nicht wettbewerbsverzerrend wirken, um auch mal ein ökonomisches Schlagwort zu gebrauchen. Schliesslich gibt es ja das Konzept der ökologischen Steuer, die den Energieverbrauch stärker belasten, aber die Arbeit entlasten würde.371
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Daly:
Genau, da haben wir eine Möglichkeit, die sehr zu begrüssen ist. Denn wenn sonst verbesserter Umweltschutz zu erhöhten Produktionskosten führt, passiert folgendes: Profit-maximierende Firmen, die dem harten Wind der Konkurrenz ausgesetzt sind, werden die Tendenz haben, in ein Land umzuziehen, in dem die Umweltstandards tiefer sind. Wir nennen dies ökologisches Dumping.372
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Bhagwati:
Aber dieses Problem kann, ohne gegen das Prinzip des freien Handels zu verstossen, auf simple Art gelöst werden: Die Regierungen von Ländern mit hohem Standard müssen Unternehmen, die ins Ausland dislozieren wollen, einfach dazu verpflichten, weiterhin nach den einheimischen Kriterien zu produzieren.373
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Daly:
So einfach ist das? Wishful thinking, sagen wir im Englischen ... Warum sind denn die multinationalen Unternehmen so interessiert an einer geographischen Vergrösserung der Freihandelsblöcke? Doch nur deshalb, weil sie, je grösser der Block, desto weniger lokal oder national zur Verantwortung gezogen werden können.374
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Bhagwati:
Sehen Sie, ich verstehe ja, dass Sie sich Sorgen über die ökologischen Probleme machen. Umso mehr müssten sie aber für einen möglichst deregulierten Freihandel einstehen. Warum? Nur so können wir das wirtschaftliche Wachstum so weit fördern, dass dann den Regierungen ein ausreichendes Steuereinkommen zur Realisierung eines effektiven Umweltschutzes zur Verfügung steht.375
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Daly:
Ja, das ist, was die Standardökonomen immer wieder behaupten. Ich aber habe die starke Vermutung, dass mit weiterem Wachstum die Umweltkosten rascher zunehmen werden als die Vorteile erhöhter Produktion. Das Resultat: Im Endeffekt werden wir nicht reicher, sondern ärmer sein. Mir wäre lieber, die Freihandels-Advokaten würden einfach zugeben, um was es ihnen vordergründig geht: Profit und Produktion zu maximieren unter möglichster Ignorierung sozialer und ökologischer Kosten.376
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Bhagwati:
Das ist jetzt aber eine Unterstellung!
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Daly:
Ich glaube nicht. Schliesslich bin ich vom Fach und weiss doch, wie hier gedacht wird. Aber die Idee weiteren Wachstums ist wirklich verrückt. Wo bleibt da die vielbeschworene Nachhaltigkeit? Was würde geschehen, wenn die Bevölkerung der ganzen Erde dasselbe Konsumniveau wie die reichen Länder erreichte? Dabei wissen wir, dass die regenerative und assimilative Kapazität der Biosphäre schon mit der gegenwärtigen Belastung nicht mehr zu Rande kommt.377
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Bhagwati:
Wenn es stimmt. Woher stammen die Daten? Vorhin ist Herr Weder “statistisches Lügen” vorgeworfen worden ...
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Daly:
Ich denke schon, dass es stimmt. Die Zeichen mehren sich. Wir können nicht mehr wachsen und müssen es auch nicht. Verlangen wir doch einfach für die energieintensiven und ökologisch entsprechend schädlichen Transporte die Bezahlung der wahren Kosten! Das würde die Gewinn- und Verlustrechnung für den internationalen Handel total verändern und vielleicht so weit eindämmen, dass wir gar nicht mehr über Chancen und Risiken eines globalen Freihandels reden müssten.378
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Steiner:
Das könnte dann automatisch zu dem führen, was wir meiner Meinung nach benötigen: Kleinere, überschaubare, damit kontrollierbare und auch erfahrbare Wirtschaftssysteme in einem regionalen Massstab als Basis und Gegengewicht zu den internationalen bis globalen Verflechtungen, die wir ja nicht ausschliessen wollen, aber die wir gerne in sinnvoller, zukunftsträchtiger Form hätten.379
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Daly:
Ja, ein Land oder eine Region soll nicht durch Freihandelszwänge bestimmt, sondern selbstbestimmt agieren können. Der Hund (das Land) soll mit dem Schwanz (der internationale Handel) wedeln, und nicht umgekehrt.380
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Weder:
Ausnahmsweise bin ich einverstanden, ich meine, was die Transporte anbelangt. Diese sind wirklich ein Problem in ökologischer Hinsicht. Eine Kosteninternalisierung ist gefragt. Aber diese dürfte nicht dazu führen, dass die internationale Arbeitsteilung vollständig eliminiert würde. Wir brauchen einen funktionierenden Markt, denn nur dieser kann herausfinden, welche internationalen Strukturen aus Sicht einer integralen Ressourcenschonung optimal sind.381
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Steiner:
Die These vom Markt, der alles optimal regelt, hängt mir langsam zum Hals hinaus. Das ist der moderne Mythos. Was heisst dann optimal? Reden wir von einem optimalen Niveau der Umweltzerstörung?382
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Daly:
Ich würde nicht einmal sagen optimal, sondern maximal. Ich meine dies: Der Freihandel mit seinem ungeheuren Wettbewerbsdruck ist das Rezept für eine maximale Beschleunigung der Senkung der Standards für Nachhaltigkeit und Verteilungsgerechtigkeit.383
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Steiner:
Ja, die Verteilungsgerechtigkeit haben wir noch gar nicht angesprochen. Da steht es erfahrungsgemäss mit den Fähigkeiten des Marktmechanismus nicht zum besten. Unterschiede in den Ausgangspositionen tendieren dazu, sich zu potenzieren, d.h. die Reichen werden noch reicher und die Armen noch ärmer. Zu diesem Problem gibt es einen sehr lesenswerten Artikel von Karl Georg Zinn.384
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Bhagwati:
Aha, damit haben wir ja auch schon eine Hausaufgabe gefasst. Dass Sie an mein Seelenheil denken, stimmt mich versöhnlich. Und so will ich noch dies sagen: Ich finde es eigentlich schade, dass wir uns in Händel verstricken, denn ich glaube, dass unsere Konflikte weitgehend grundlos sind. Gut, es gibt es philosophische Differenzen, z.B. wenn die Umwelt-Engagierten die Autonomie der Natur behaupten, während die meisten Ökonomen sie als Dienerin des Menschen sehen. Sonst aber beruhen die gegensätzlichen Meinungen meines Erachtens auf Missverständnissen, die ausgeräumt werden könnten.385
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Steiner:
Ich habe das letzte Wort heute. Ich glaube überhaupt nicht, dass es sich um Missverständnisse handelt. Sie haben es schon gesagt, wir hängen unterschiedlichen philosophischen Positionen an, und diese sind, so glaube ich, fundamental unterschiedlich. Es handelt sich um verschiedene Weltanschauungen. Wie wir in dieser Situation Brücken schlagen können, ohne uns ständig in die Haare zu geraten, das wäre die interessante Frage ...

Anmerkungen

344
Siehe Christian Hey und R. Schleicher-Tappeser 1998, Gerald Boxberger und Harald Klimenta 1998 sowie Jerry Mander und Edward Goldsmith 1996.
345
Es handelt sich um Jagdish Bhagwati 1993, Rolf Weder 1996a, Herman E. Daly 1993 und Dieter Steiner 1996a. Die Artikel von Bhagwati und Daly und von Weder und Steiner bilden je ein kontradiktatorisches Paar. Im letzeren Fall kommen noch gegenseitige Kommentierungen (Weder 1996b und Steiner 1996b) dazu.
346
Weder 1996a, 290.
347
Steiner 1996b, 311.
348
Daly 1993, 28.
349
Bhagwati 1993, 18.
350
Weder 1996a, 290-291.
351
Daly 1993, 24-25.
352
Weder 1996b, 287.
353
Daly 1993, 25, 27.
354
Steiner 1996a, 265.
355
Daly 1993, 25.
356
Steiner 1996b, 311.
357
Daly 1993, 25.
358
Bhagwati 1993, 19.
359
Daly 1993, 25.
360
Weder 1996a, 296-297.
361
Weder 1996a, 296-297.
362
Nach Mathis Wackernagel u.a. 1993.
363
Bhagwati 1993, 21-22.
364
Daly 1993, 26.
365
Bhagwati 1993, 22.
366
Daly 1993, 26-27.
367
Bhagwati 1993, 21-22.
368
Bhagwati 1993, 20.
369
Weder 1996a, 308.
370
Weder1996a, 306.
371
Steiner 1996b, 312.
372
Daly 1993, 26, 28.
373
Bhagwati 1993, 21.
374
Daly 1993, 28.
375
Bhagwati 1993, 19.
376
Daly 1993, 24.
377
Daly 1993, 27-28.
378
Daly 1993, 25.
379
Steiner 1996a, 266 ff.
380
Daly 1993, 24.
381
Weder 1996a, 298.
382
Steiner 1996b, 311.
383
Daly 1993, 28.
384
Steiner 1996b, 311-312. Siehe Karl Georg Zinn 1991.
385
Bhagwati 1993, 18-19.