www.humanecology.ch · Skripten 1998/99 · Ökonomisches

3.2 Boden als Eigentum und als Ware: Politische und ökonomische Gesellschaften

Mit dem Übergang von den archaischen Gesellschaften zu den sesshaften Dorfgesellschaften wird der bebaute Boden zum jetzt abgegrenzten Kollektiveigentum (vgl. 2.3 in “Politisches”, speziell auch Abb.2). Im Zuge der Entwicklung zu politischen Gesellschaften wird dann dieses Gemeinschaftseigentum vorwiegend in Privateigentum umgewandelt, und dieses wiederum nimmt zu einem guten Teil die Form von Grossgrundbesitz an. Wie im alten Griechenland Angehörige der Oberschicht sich durch Raubzüge Grund und Boden aneigneten, haben wir in 2.2.1 erwähnt. Auch im alten Rom haben die Inhaber der Latifundien ihre Methoden, um ihren Besitz auf oft unrechtmässige Weise zu mehren: Indem Kleinbauern durch ständige Kriegsdienste und hohe Abgaben in den Ruin getrieben werden, findet schon “Bauernlegen” in grösserem Stil statt. Der Landbesitz ist die Hauptquelle des Wohlstands in der Antike; er dient v.a. den oberen Schichten als Einkommensquelle und ist Grundlage der politischen Tätigkeit.131 In den griechischen Stadtstaaten hatten nur die Bürger das Recht, Grund und Boden zu erwerben und umgekehrt war Grundbesitz in einigen Poleis eine Voraussetzung für die Aufnahme ins Bürgerrecht.132
Auch für die Feudalgesellschaft des Mittelalters ist der Boden die wichtigste Ressource; er ist Grundlage des militärischen, rechtlichen, administrativen und politischen Systems. Dieses System aber hat einen stark dezentralen Charakter. Der zentrale Herrscher verfügt über keine Steuerquellen, die es ihm erlauben würden, ein Heer oder eine Verwaltung zu finanzieren. Er delegiert die Verfügungsgewalt an Vasallen (Herzöge, Barone, Grafen), deren Dienste mit Boden als Lehen belohnt werden. Diese geniessen damit eine relative ökonomische Autarkie in Übereinstimmung mit einer relativen politischen Autonomie. Wer ökonomisch expandieren will, muss dafür mittels Flächenexpansion die nötige Voraussetzung schaffen, und zwar nach aussen durch militärische Eroberungen und nach innen durch Kolonisation (Rodungen).
Mit der Liquidierung des Feudalismus findet dann eine Kommerzialisierung des Bodens statt. An die Stelle des Lehnsverhältnisses tritt das Pachtverhältnis. Die Umwandlung geschieht teils durch Revolutionen, teils durch Krieg, teils durch die Gesetzgebung, teils durch private Initiativen. In Frankreich und einem grossen Teil Kontinentaleuropas führt der Code Napoléon zu mittelständischem Realbesitz. Dies wird dadurch möglich, dass der Boden nun zu einer käuflichen Ware wird. Wiederum, wie schon bei dem ähnlichen Schicksal der Arbeit (vgl. 2.4.3), wird dies von Polanyi beklagt:
Was wir als Grund und Boden bezeichnen, ist ein mit den Lebensumständen des Menschen untrennbar verwobenes Stück Natur. Dieses Stück Natur herauszunehmen und einen Markt daraus zu machen war vielleicht das absurdeste Unterfangen unserer Vorfahren.133

Anmerkungen

131
Siehe Studer 1987, 26.
132
Nach Ebert u.a. 1984, 35.
133
Polanyi 1977, 227.