www.humanecology.ch · Skripten 1998/99 · Ökonomisches

2.3.3 Handwerkliche Arbeit und Zunftwesen

Hinsichtlich der Frage einer wirtschaftlichen Gesinnung stellte sich das Handwerk, wenn auch auf seine Weise, ähnlich der Landwirtschaft dar. Eine spezialisierte gewerbliche Produktion bestand im Mittelalter von Anfang an, und es ist anzunehmen, dass sie einerseits einer Weiterführung der zu Römerzeiten schon bestehenden gewerblichen Wirtschaft, andererseits der Weiterentwicklung einer Arbeitsteilung, die durchaus auch schon bei den Germanen existierte, zu verdanken war.74 Zunächst, d.h. im 9.-11. Jh., stammten die meisten Produkte aus gewerblicher Tätigkeit von geistlichen Grundherrschaften, von Bischofssitzen und Klöstern - nur dort war vorerst eine technische anspruchsvollere Produktion möglich. Später dann entwickelte sich der Typ des städtischen Handwerkers, der freier Bürger ist und einer Zunft angehört. Die mittelalterlichen Zünfte dürfen dabei nicht als Pendant zu heutigen Berufsverbänden oder als freiwillige Zusammenschlüsse gesehen werden - dies hätte Gewerbefreiheit vorausgesetzt, und eine solche bestand sicher nicht. Die Bedeutung der Zünfte schildert Boockmann wie folgt:
In der Stadt war es vielmehr anstelle des Grundherrn der Stadtherr oder der Rat, der dem Handwerker nun die Arbeitsbedingungen und die Preise vorschrieb und der zu diesem Zweck die Handwerker in Verbänden zusammenfasste. Erst allmählich werden aus diesen obrigkeitlich bestimmten Zusammenschlüssen mehr oder weniger autonome Organisationen.... Inhalt der von den Zünften selber oder von den Stadtregierungen geübten Kontrolle ist vor allem die Herstellung und der Vertrieb der Produkte [vgl. dazu Abb. 7]. Festgelegt wird die Betriebsgrösse oder die Menge des zu verarbeitenden Materials (die Lübecker Gerber z.B. dürfen jährlich nur 420 Rindshäute verarbeiten) oder die Art der Produktionsstätte (ein Weber z.B. darf nur eine bestimmte Zahl von Webstühlen aufstellen). Nicht selten werden bestimmte, nämlich neue, Arbeitszeit sparende Produktionseinrichtungen verboten: Der Kölner Rat untersagt 1412/13 die Einführung einer Maschine zum Zwirnen von Seide.75
Abbildung 7: Mittelalterliche Werkstatt, in der Glaswaren hergestellt werden. Die fertigen Produkte werden (oben links) daraufhin überprüft, ob sie den Zunftvorschriften entsprechen (aus Freemantle 1965, 85)
Abbildung 7: Mittelalterliche Werkstatt, in der Glaswaren hergestellt werden. Die fertigen Produkte werden (oben links) daraufhin überprüft, ob sie den Zunftvorschriften entsprechen (aus Freemantle 1965, 85)
Solche Regelungen beschränkten die Konkurrenzverhältnisse, sie verhinderten, dass einzelne übermässige Vorteile erringen konnten. “Jeder sollte haben, was er brauchte, aber niemand sollte mehr erwerben.”76 Mit anderen Worten: Auch im Bereich der gewerblichen Produktion gibt es noch nichts, was an ein selbständiges ökonomisches System erinnert. “So wie in allen anderen Wirtschaftsformen der vorangegangenen Geschichte, waren auch im Rahmen des Zunftwesens Motive und Umstände der produktiven Tätigkeit in die allgemeine gesellschaftliche Struktur eingebettet.”77 Bemerkenswert ist übrigens, dass, mindestens im Spätmittelalter, gelegentlich auch Frauen Mitglied einer Zunft werden konnten. In Köln gab es sogar eine Zunft der Seidenweberinnen.78

Anmerkungen

74
Vgl. Boockmann 1981, 60-61.
75
Boockmann 1981, 62-63.
76
Boockmann 1981, 63; vgl. auch Sée 1948, 34.
77
Karl Polanyi 1977, 96.
78
Nach Ferdinand Seibt 1987, 182.