www.humanecology.ch · Skripten 1998/99 · Ökonomisches

2.2.4 Die Geringschätzung der manuellen Arbeit

Dass die geschilderte Art der Arbeitsorganisation einer Sichtweise der Freien förderlich war, die den Status körperlicher Arbeit gering und die Befreiung von ihr hoch einschätzte, dürfte nicht überraschen.
Auf die banausoi, die sich mit gemeiner handwerklicher Arbeit abgaben, mochte man ... herabschauen und ihnen gleichsam moralische Unfreiheit ob ihrer wenig edlen Beschäftigung attestieren. Auf diese Weise liess sich ein sehr vornehmes, sehr schönes und ... sehr bewunderswürdiges Idealbild vom wirklich freien Menschen entwerfen. Die Herren Aristokraten und Grossgrundbesitzer, die arbeiten liessen, die Herren Fabrikanten, die ebenfalls arbeiten liessen, und die Herren Philosophen, die immerhin selbst noch geistig arbeiteten, waren sich da sehr einig. Und da nun einmal auch in demokratischen Staatswesen wie Athen die geistigen Grundlagen von einer aristokratisch gesinnten Elite gelegt wurden, ist es kein Wunder, dass sich derartige Wertvorstellungen allgemein durchsetzten und zu Idealen einer Polis-Gemeinschaft avancieren konnten.59
Anders ausgedrückt: Die einem freien Menschen angemessene Praxis war eine “Tätigkeit, die mit der Natur des Menschen als einem vernünftigen und politischen Wesen übereinstimmt.”60 Zum politischen Handeln gehörten die Teilnahme an der Volksversammlung, das Fungieren als Geschworener oder Mitglied des Rates, das Diskutieren auf der “Agora”61. Dazu sollte ein freier Mann auch über Zeit zur Musse verfügen.62 Weber betont aber, dass dies ein Idealbild war, das dem wirklichen Leben nicht entsprach. Die meisten Freien übten einen Beruf aus, der sie in Anspruch nahm, so dass sie sich keineswegs täglich der Politik oder gar dem Nichtstun widmen konnten.63 Trotzdem: Es sei daran erinnert, dass in einer Stadt nur die in ihr beheimateten erwachsenen Männer volle Bürgerrechte besassen, die Frauen und natürlich die Unfreien waren davon ausgenommen. So ist nicht von der Hand zu weisen, dass die griechische Demokratie nur auf einer Basis von Zwang und Unfreiheit in den Haushalten entstehen konnte. “Innerhalb des Haushaltsbereichs konnte es ... Freiheit überhaupt nicht geben, auch nicht für den Herrn des Hauses, der als frei nur darum galt, weil es ihm freistand, sein Haus zu verlassen und sich in den politischen Raum zu begeben, wo er unter seinesgleichen war.”64

Anmerkungen

59
Weber 1989a, 173-174.
60
Vernant 1973, 270.
61
Ein öffentlicher Platz, in der klassischen Zeit meist von Hallen gesäumt.
62
Vgl. Finley 1993, 38-39.
63
Vgl. Weber 1989a, 173-174.
64
Arendt 1992, 34.