www.humanecology.ch · Skripten 1998/99 · Ökonomisches

1.2 Zum Begriff der Arbeit

Zu den grundlegenden in der Wirtschaftswissenschaft verwendeten Begriffe gehören “Arbeit” und “Kapital”, die (zusammen mit dem Boden, oder allgemeinger gesagt mit den natürlichen Ressourcen) als sog. Produktionsfaktoren (diejenigen Mittel, die eine Produktion überhaupt erst möglich machen)4 eine Bedeutung haben. Dies ist aber natürlich eine einseitige Sichtweise, denn mindestens die Arbeit stellt aus der Perspektive der Arbeitenden auch einen wichtigen Bestandteil menschlicher Lebensführung dar. Hier wenden wir uns zuerst dieser zu; zum Kapital siehe 1.3.
Nach unserem heutigen Verständnis heisst Arbeit so viel wie “zweckgerichtete körperliche und geistige Tätigkeit des Menschen”, auch “Produkt dieser Tätigkeit”. Das tönt recht neutral, im Gegensatz zum Althochdeutschen des 8. Jh., in dem das Wort mit “Mühsal, Plage, Anstrengung” einen recht negativen Beiklang hatte!5 Passenderweise bedeutete das damit verwandte altslawische Wort rabota “Knechtschaft, Sklaverei”, woraus das russische rabóta und das tschechische robota im heutigen Sinne von Arbeit entstanden sind. Das letztere Wort ist deshalb von Interesse, weil im 1920 erschienenen utopischen Roman “R.U.R.” des tschechischen Autors K. Capek ein künstlicher, robot genannter Mensch eine Rolle spielte. Daraus wurde dann in der deutschen Übersetzung “Roboter”.6
Bei der deutschen, später nach den USA ausgewanderten Philosophin Hannah Arendt hat Arbeit die eingeengte Bedeutung einer menschlichen Tätigkeit an der Natur zwecks Sicherung des physischen Lebensunterhaltes:
Die Tätigkeit der Arbeit entspricht dem biologischen Prozess des menschlichen Körpers, der in seinem spontanen Wachstum, Stoffwechsel und Verfall sich von Naturdingen ernährt, welche die Arbeit erzeugt und zubereitet, um sie als die Lebensnotwendigkeiten dem lebendigen Organismus zuzuführen. Die Grundbedingung, unter der die Tätigkeit des Arbeitens steht, ist das Leben selbst.7
Neben dem Arbeiten unterscheidet Arendt zwei weitere menschliche Tätigkeitsarten, nämlich das Herstellen und das Handeln. Das erstere “produziert eine künstliche Welt von Dingen” und das letztere “ist die einzige Tätigkeit der Vita activa, die sich ohne die Vermittlung von Materie, Material und Dingen direkt zwischen Menschen abspielt.”8 Mit diesen beiden Begriffen schliesst Arendt an der altgriechischen Unterscheidung (z.B. bei Aristoteles) von Poiesis und Praxis an: Poiesis wurde als ein technisch-produzierendes, also etwa handwerkliches Tun verstanden, das seinen Wert erst von dem von ihm unterschiedenen Produkt gewinnt. Praxis dagegen ist ein Handeln, das seinen Sinn bereits in sich selbst trägt, eine “Tätigkeit, die sich ... auf die Abwicklung einer Tätigkeit für sich selbst richtet, ohne ein anderes Ziel als die Ausübung und Zuendeführung dieser Tätigkeit.”9 Dies bezieht sich normalerweise auf Interaktionen mit anderen Menschen. Diese Bedeutung hat sich bis heute erhalten im Begriff der “praktischen Philosophie”, womit die Ethik gemeint ist. Bezeichnend aber ist, dass es im alten Griechenland kein Wort für Arbeit in einem allgemeinen Sinne gab.
Im Gegensatz zu Arendts Verständnis von Arbeit werden wir heute im allgemeinen Arbeit in einem erweiterten Sinne so verstehen, wie es eingangs dem allgemeinen Sprachgebrauch entsprechend erwähnt wurde. Dabei ist uns allerdings bewusst, dass ein Hauptaspekt unserer Arbeit immer noch die Lebenssicherung ist, auch wenn für die meisten von uns unsere Tätigkeiten nicht mehr ein direktes Arbeiten an der Natur beinhalten. Was aber auch zur neuzeitlichen Art der Arbeit gehört: Sie hat in Form des Lohnes einen Preis und erhält dabei den Charakter einer Ware. Insgesamt ist Arbeit in der neoklassischen ökonomischen Theorie zu einer völlig abstrakten Grösse geworden.

Anmerkungen

4
Siehe dazu z.B. Frank Otte 1975, 7 f.
5
Pfeifer 1997, 55.
6
Nach Pfeifer 1997, 1132-1133.
7
Hannah Arendt 1992, 14
8
Arendt 1992, 14.
9
Jean-Pierre Vernant 1973, 247. Zur Unterscheidung von Poiesis und Praxis siehe auch Johannes Hoffmeister 1955, 484.