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Buddhismus

Natur und Umwelt im Buddhismus

Dieter Steiner
Handout bei einer Gastvorlesung im Kurs "Umweltwissenschaften IV: Umweltwahrnehmung" von Wolfgang Zierhofer an der Universität Basel am 27.Mai 2003
1. Die Krise und der Primat des Bewusstseins
2. Der Buddhismus als Rettungsanker?
3. Die menschliche Bewusstseinsstruktur
4. Die Evolution des Bewusstseins
5. Westliche versus östliche Mentalität
6. Kern der buddhistischen Weltsicht
7. Die „innere Technik" der Meditation
8. Die Zähmung des Intellekts
9. Weisheit und Mitgefühl
10. Praktische Auswirkungen hinsichtlich Natur und Umwelt
Natürlich kann das Ahimsa-Gebot nicht rigoros eingehalten werden, denn menschliches Überleben setzt eine gewisse Gewalt gegenüber anderen Lebewesen voraus. Diese ist aber auf ein Minimum zu beschränken. Gläubige Buddhisten/Buddhistinnen ernähren sich vorwiegend vegetarisch. Dabei wird u.U. darauf geachtet, dass die Fortpflanzung der betroffenen Pflanzen nicht behindert wird, was heisst, dass z.B. vor dem Verzehr von Früchten die Samen entfernt werden. Ein striktes Fleischtabu gibt es aber nicht; als ungeschriebene Regel gilt, dass Fleisch genossen werden darf, wenn das fragliche Tier nicht speziell für einen geschlachtet worden ist. Gegenüber Tierversuchen, wie sie in der westlichen Forschung stattfinden, ist die Ablehnung eindeutig: „Lieber selber leiden als andere leiden lassen." Zum Schutz der Kleinlebewesen soll Erde nicht umgegraben werden und Wasserverschmutzung ist zu vermeiden. (Antarkar 2001, Becker 1986, Gerlitz 1998, Regenstein 1991)
Als Kontrapunkt zur Diagnose der Leidhaftigkeit des Lebens spielt im Buddhismus die Natur auch als Quelle von Freude eine Rolle. Oft beginnen die überlieferten Lehrreden Buddhas mit einer Schilderung von Lieblichkeit und Schönheit der Landschaft, in der sie stattgefunden haben. (Henking 1988) Thich Nhat Hanh (1999a) schreibt: „Das Leben ... birgt auch viele Wunder wie den blauen Himmel ... Diese Wunder sind in und und um uns her zu finden - jederzeit und überall ... Wir müssen nicht nach China reisen, um die Schönheit des blauen Himmels zu geniessen."
Es gibt Beispiele von buddhistischen Mönchen, z.B. in Thailand, die sich gegen die Abholzung von Wäldern wehren bzw. sich für die Wiederaufforstung einsetzen. Andererseits schützt der Buddhismus nicht vor Umweltzerstörung, wo politische Machtgelüste und Kapitalinteressen andere Ziele verfolgen (Beispiel: Der umstrittene japanische Walfang). Da mag auch eine Rolle spielen, dass die Tugend des Gleichmuts bzw. der Gelassenheit in Gleichgültigkeit ausarten kann. (Anderson 1983, Gerlitz 1998, Litsch 2000, Regenstein 1991)
Im traditionellen Verständnis ist aber Natur nicht etwas, das der Kultur gegenübersteht, sondern diese mit umfasst. Kultur ist Fortsetzung und Weiterentwicklung der Natur. Kunst gilt als höchste Kunst dort, wo sie es versteht, die überall vorhandene Buddha-Natur in vollkommener Weise zum Ausdruck zu bringen. Hier sind v.a. die Zen-Künste der Tuschbilder, der Gartengestaltung, der Haiku-Gedichte (17-silbige Verse mit Silbenfolge 5-7-5), des Ikebana-Blumenordnens, der Bambusflötenmusik usw. zu nennen. (Bischofberger 1988, Litsch 2000)
Betrachten wir zum Schluss eine Gegenüberstellung von zwei Gedichten mit gleichem Thema, das eine, im Original ein Haiku, vom japanisch-buddhistischen Naturdichter Matsuo Basho (1644-1694) (oben), das andere vom Engländer Alfred Tennyson (1809-1892) (unten):
Wenn ich aufmerksam schaue,
seh' ich die Nazuna
an der Hecke blühen!
Blume in der geborstenen Mauer,
Ich pflücke dich aus den Mauerritzen,
Mitsamt den Wurzeln halte ich dich in der Hand,
Kleine Blume - doch wenn ich verstehen könnte,
Was du mitsamt den Wurzeln und alles in allem bist,
Wüsste ich, was Gott und Mensch ist.
Die Nazuna ist eine unscheinbare Blume, aber Basho ist aufmerksam und entdeckt sie im Versteckten. Er schaut sie liebevoll an und bewundert ihre schlichte Schönheit, in der sich das Wesen der Welt spiegelt. Im Japanischen endet das Gedicht mit dem Wort kana, das ein Gefühl von Bewunderung und Freude ausdrückt. Tennyson hat ein ähnliches Gefühl wie Basho, aber er reagiert völlig anders: Er kann die Blume nicht stehen lassen, sondern reisst sie aus, um sie in der Hand haltend näher analysieren zu können (Suzuki 1971, Fromm 1981).
Literatur A: Ost und West: Gegensätze, Parallelen, Kontakte
Literatur B: Zum Buddhismus allgemein
Literatur C: Buddhismus und Natur, Ökologie, Umwelt
Literatur D: Buddhismus und Gesellschaft