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6. Leere und Fülle

Bewusstseinserweiterung als Voraussetzung für die Überwindung der Krise

In welcher Richtung ist ein Ausweg aus der krisenhaften Situation, in der wir stecken, am wahrscheinlichsten zu finden? Menschen entwickeln ihr Fühlen, Denken und Tun innerhalb von gesellschaftlichen Strukturen; somit liegt es nahe, eine Veränderung dieser Strukturen nach ökologischen Massstäben zu fordern.180 Das ist nicht falsch, sicher aber unvollständig. Damit strukturelle Änderungen von der Bevölkerung getragen werden, müssen sie Sinn machen können und dies erfordert einen entsprechenden, parallel laufenden Bewusstseinswandel. Insofern Gemeinsamkeiten individueller Bewusstseinszustände kulturelle Hintergründe reflektieren, können wir auch sagen, dass zuallererst eine grundlegende kulturelle Regeneration vonnöten ist; diese würde dann den Rahmen abgeben, in den strukturell verändernd wirkende politische und ökonomische Massnahmen eingebettet werden können. Ich ziehe es aber vor, von Bewusstseinswandel zu reden, weil letztlich jegliche gewollte Änderung - auch die kultureller Strukturen - von der Initiative von Individuen ausgehen muss.
Wie soll ein Bewusstseinswandel aussehen? Grob gesagt können wir das zu bewältigende Problem so beschreiben: Dem Menschen war es beim Auftauchen aus der biologischen Evolution vergönnt, blosses Verhalten durch absichtsvolles Handeln ersetzen zu können. Damit konnte er sich aus den Grenzen einer Verbundenheit mit der Welt emanzipieren und ihr fortan in wachsendem Masse offen begegnen. Dabei forcierte er selbst diese Entwicklungsmöglichkeit, erlitt dabei aber einen rückwärtigen Weltverlust, denn er durch einen vorwärts gerichteten Weltgewinn zu kompensieren trachtete. Heute wird klar, dass der Gewinn den Verlust nicht aufwiegen kann; eine gravierende Orientierungskrise ist die Folge. Was ist zu tun? Der vorwärts gewandte Blick muss mit einem rückwärts gerichteten verbunden werden, so dass sich die Möglichkeit der Weltoffenheit im Rahmen einer Weltverbundenheit wiederfindet. Dies müsste die Konsequenz haben, dass die Art und Weise, wie wir dann mit der Welt gedanklich und mit der Mit- und der Umwelt handgreiflich verfahren, immer auch ein passives Element enthalten würde: Unser Denken und Tun kann dann zwar verschiedenartig sein, letztlich aber nicht beliebig.
Hinsichtlich des notwendigen Bewusstseinswandels legen wir anschliessend das Hauptgewicht auf die folgenden zwei Aspekte:
1.
Das heute immer noch dominante atomistisch-mechanistische Weltbild macht einem relationalen Weltbild Platz. Kurz gesagt bedeutet dies, dass der Ausgangspunkt jeglicher Betrachtung nicht mehr einzelne Objekte sind, sondern die Beziehungen zwischen Dingen.181
2.
Evolutionäre Hierarchien werden wieder respektiert. Für das menschliche Bewusstsein heisst dies: Die Ich-Welt- und Ich-Es-Orientierungen des diskursiven Bewusstseins ordnen sich in eine Ich-Du-/Du-Ich-Orientierung des praktischen Bewusstseins ein. Diese wiederum spielt sich im Rahmen einer Welt-Ich-Orientierung auf der Ebene des Unbewussten ab.182
Aus einem gegenwärtigen westlichen Verständnis heraus ist es aber vermutlich schwierig, von den knapp formulierten zwei Punkten aus zu sinnvollen weiteren Vorstellungen zu gelangen. Um sie in einen zusammenhängenden Kontext einordnen zu können, mache ich einen kleinen Exkurs in gewisse Charakteristika der buddhistischen Bewusstseinslehre, die, so scheint mir, eine exzellente Grundlage für die Entwicklung eines echt ökologischen Bewusstseins abzugeben vermag. Allerdings ist damit das Verständnisproblem natürlich nicht ohne weiteres gelöst; tatsächlich mag die genannte Lehre in ihrer gewissen Radikalität zunächst eher befremdlich wirken und uns erst dann einigermassen sympathisch erscheinen, wenn uns ihr undogmatischer Charakter klar geworden ist. Auf alle Fälle aber werde ich anschliessend zum Vergleich auf einige neuere, aus unserer westlichen Kultur stammende gedankliche Ansätze hinweisen, die, auch wenn sie kein zusammenhängendes Gebäude darstellen, doch richtungsmässig gewisse Aspekte aufnehmen, die im buddhistischen System von Bedeutung sind.

Anmerkungen

180
Vgl. Lexikon der östlichen Weisheiten 1986, 352-353.
181
Varela, Thompson und Rosch 1992, 304.
182
Vgl. Walt Anderson 1983, 54.