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Bewusstsein

Vernünftig werden heißt weiblich werden! Beitrag zu einer evolutionären Bewußtseinsökologie

Dieter Steiner
Dieser Artikel ist erschienen in Wolfgang Zierhofer und Dieter Steiner (Hrsg.): Vernunft angesichts der Umweltzerstörung. Westdeutscher Verlag, Opladen 1994, S.197-264.
1. Einleitung: Die Krise ist männlich ... (S. 197-205)
2. Zum Fortgang der Desintegration (S.205-218)
2.1 Archaisches und Magisches Bewusstsein (S.205-207)
2.2 Mythisches Bewusstsein (S.207-210)
2.3 Mentales Bewusstsein I (S.210-214)
2.4 Mentales Bewusstsein II (S.214-218)
3. Wege zur Reintegration (S.218-249)
3.1 Vorversicherung I: Bei einer postkonventionellen Gerechtigkeitsmoral (S.219-227)
3.2 Vorversicherung II: Bei einer kommunikativen Vernunft (S.227-237)
3.3 Rückversicherung I: Beim Gemeinschaftlich-Besonderen (S.238-244)
3.4 Rückversicherung II: Beim Kosmisch-Allgemeinen (S.244-249)
4. Zum Ausklang: ... die Zukunft weiblich (S.249-255)
Literatur (S.255-264)

Mensch und Lebensraum: Eine Geschichte der Entfremdung. Ein Essay in evolutionärer Bewusstseinsökologie

Dieter Steiner
Dieser Artikel ist erschienen in Dieter Steiner (Hrsg.): Mensch und Lebensraum. Fragen zu Identität und Wissen. Westdeutscher Verlag, Opladen1997, S. 41-120.
1. Einleitung (S. 40-43)
2. Unten und Oben, Innen und Aussen: Die bewusstseinsökologische Grundsituation (S.43-54)
2.1 Das Kreuz: Die vier Pole der Orientierung (S.43-46)
2.2 Natur und Geist: Partner oder Widersacher? (S.46-49)
2.3 Eine mittlere Ebene als Vermittlungsstelle: Das praktische Bewusstsein (S.49-54)
Mit der innerweltlichen Gegenüberstellung von Geist und Natur - wir könnten auch sagen von Verstand29
Rudi Keller 1994, 87.
und Instinkt - haben wir die zwei grundlegenden Pole möglicher menschlicher Innenorientierung genannt. Jenachdem wie einseitig oder gleichgewichtig diese Orientierung aussieht, kann sie via Handeln des Menschen Quelle der Zerstörung oder aber eben auch kreativen Tuns sein. Die Aussenwelt aber ist nicht nur Tatort, sondern selbst wiederum Quelle von Orientierung, und deshalb ist es nicht gleichgültig, wie wir Menschen diese Aussenwelt beeinflussen, ob in einem positiv-kreativen, oder aber einem negativ-zerstörerischen Sinne. Die Beziehungen eines Menschen zu seiner Umwelt laufen über seine Sinnes- und Erfolgsorgane, und nun ist es wichtig zu sehen, dass diese Organe nicht einfach Transferstationen von Impulsen sind, die von aussen nach innen oder von innen nach aussen laufen, sondern, dass auf ihrer Grundlage eine eigenständige "dritte Kraft" entstanden ist, die sich zwischen die beiden genannten Pole schiebt und so am Kreuzungspunkt der beiden Achsen in Figur 1 als Instanz, die eine vermittelnde Rolle übernehmen kann, eine wichtige Bedeutung gewinnt.
Diese mittlere Ebene ist von grundlegender Bedeutung für die Bildung sozio-kultureller Strukturen oder Regeln, sie bildet die Wurzel von menschlicher Gesellschaft und Kultur überhaupt. So steht sie denn auch bei der Theorie der Strukturation der Gesellschaft von Anthony Giddens im Zentrum der Aufmerksamkeit.30
Diese Aussage ist natürlich im Falle des Menschen immer sofort zu relativieren, da er im Laufe der weiten Entwicklung über die Instinktbasis hinaus im Prinzip zu einem instinktarmen Lebewesen geworden ist.
Haben wir die beiden oben erwähnten Pole als instinktbezogen und als verstandesgeleitet kennen gelernt, so können wir diesen mittleren Bereich als einen charakterisieren, in dem aus konkreter Praxis abgeleitetes, regelhaftes Tun entsteht. Es handelt sich um das, was sich "between instinct and reason"31
Die Befreiung von Bindung und Bestimmung bezieht sich auf den Umstand des So-oder-so-könnens, nicht aber auf die zur Anwendung gelangende Methodik, die den Regeln einer gewissen Logik folgen soll, ansonsten wir ja nicht von Verstand reden.
einschiebt, oder, wie Rudi Keller am Beispiel der menschlichen Sprache sagt, um "Phänomene der dritten Art".32
Siehe Giddens 1988, 55 ff. Ähnliche Unterscheidungen finden sich auch andernorts, z.B. bei Alois Dempf, der von der „dreifachen Organisation des Menschen" redet, die dazu führt, daß es für ihn eine „Denk- und Gedankenwelt" („die geistige Welt"), eine „Sinneswelt" (die von der „arteigenen körperlichen Sinneorganisation unmittelbar erfaßt Umwelt") und eine „Vorstellungswelt" („die Welt der phantastischen, imaginativen Organisation zusammen mit der Triebwelt und dem Streben, die einen Großteil des Seelenlebens ausmachen") gibt (Dempf, 1950, 90-92). Natürlich ist eine solche Dreiteilung der Psyche lediglich eine Schablone, die der Wirklichkeit nur in beschränktem Umfang gerecht wird, denn "so etwas wie 'das Bewusstsein' und 'das Unbewusste' gibt es nicht, sondern nur Abstufungen von Bewusst und Unbewusst" (Erich Fromm 1971, 140). Wenn wir aber in intellektueller Sprache über Dinge reden wollen, brauchen wir solche Schablonen als Aufhänger. Ausserhalb von ihr kann dagegen die zugehörige Begrifflichkeit zur Bedeutungslosigkeit herabsinken (vgl. mit den entsprechenden Aussagen der buddhistischen Bewusstseinslehre in Abschnitt 6.1).
Die nunmehr drei Bereiche der menschlichen Psyche bilden eine evolutionäre Folge - darauf kommen wir weiter unten noch im Detail zu sprechen. Instinkte als ältestes Prinzip bedeuten natürliche Bindung und Bestimmung, sie sind in langen Zeiten der Stammesgeschichte entstanden und brauchen für eine Veränderung einen langfristigen Horizont.33
Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1827), dessen 250. Geburtstag dieses Jahr (1996) gefeiert wurde, hat zwar diesen Wortlaut nie verwendet, aber er vertrat als Schweizer Schulpionier die Auffassung, dass in einer ganzheitlichen Erziehung die Dreiheit von Denken, Handeln und Fühlen gefördert werden müsste.
Das Leben nach praktisch erprobten Regeln steht für sozio-kulturelle Bindung und Bestimmung, aber in bereits lockerer Form, auch deshalb, weil Veränderungen von Generation zu Generation möglich sind. Der Verstand schliesslich repräsentiert freiheitliche Entbindung und Unbestimmtheit;34
Dazu Gregory Bateson: "... economy in consciousness will be of the first importance. No organism can afford to be conscious of matters with which it could deal at unconscious levels. This is the economy achieved by habit formation" (Bateson 1972, 143).
er kann sich von einem Moment auf den andern so oder so entscheiden. Die Dichotomie von Natur und Geist - wenn sie als solche empfunden worden ist - wird, wenn nicht aufgelöst, so doch durch die Existenz des mittleren Bereichs gemildert. Das hier entstehende menschliche Tun hat einen quasi-natürlichen Charakter. Es ist eben nicht durch Instinkte, sondern durch Regeln geleitet, die zwar vom Menschen produziert sind, aber nicht mit Hilfe einer verstandesmässigen Planung, sondern gewissermassen als unbeabsichtigtes Nebenprodukt im Gefolge von praktischem Handeln. Die Regeln sind sozusagen organisch gewachsen, und jedem Menschen, der in eine sozio-kulturelle Umwelt hineinwächst, erscheinen sie als vorgegeben und somit wie eine Art zweite Natur.
Eine zu den drei nun unterschiedenen psychischen Bereichen passende Vorstellung der menschlichen Bewusstseinsstruktur finden wir bei Giddens: Dem Geistigen entspricht das "diskursive Bewusstsein", dem mittleren Bereich das "praktische Bewusstsein" und dem Natürlichen das "Unbewusste" (vgl. Figur 3).35
Giddens 1988, 36. Das im praktischen Bewusstsein befindliche Wissen kann auch als "Alltagswissen" oder "Common-sense-Wissen" bezeichnet werden. Dazu noch der folgende ergänzende Kommentar von Francisco J. Varela, Evan Thompson und Eleanor Rosch: "Es ist schwierig, vielleicht sogar unmöglich, dieses Common-sense-Wissen in bewusstes, aussagenartiges - oder inhaltliches - Wissen umzusetzen, da es weitgehend mit 'Geschicklichkeit' oder 'Gewusst wie' zu tun hat und auf zahllosen gesammelten Erfahrungen basiert" (Varela, Thompson und Rosch 1992, 206).
Mit Pestalozzi können wir die drei Ebenen auch plakativ als "Kopf", "Hand" und "Herz" bezeichnen.36
Varela, Thompson und Rosch 1992, 52. Für alle diese Tätigkeiten gilt in besonderem Masse, dass eine ausübende Person nicht ohne weiteres erklären kann, wie sie etwas tut. Es mag sein, dass es eine explizite Theorie dazu gibt, aber eine solche ist nutzlos für das Anliegen einer praktischen Umsetzung. Von Michael Polanyi kennen wir das Beispiel des Radfahrens: Es ist möglich, das physikalische Problem des Gleichgewicht-Haltens in einer mathematischen Formel auszudrücken, aber die Kenntnis dieser Formel ist natürlich keine Hilfe, wenn man das Radfahren lernen will (siehe Michael Polanyi 1974, 144).
Dem diskursiven Bewusstsein bzw. dem Kopf rechnen wir die Denkfähigkeiten des Verstandes zu, während wir im Unbewussten bzw. dem Herzen die Quelle von Motivationen, Gefühlen und Intuitionen sehen. Wir werden weiter unten noch näher darauf eintreten. Hier versuchen wir zunächst, ein besseres Verständnis für die Wirkungsweise des praktischen Bewusstseins zu entwickeln. Dies ist notwendig, da von ihm, jedenfalls in der hier interessierenden Form, in den meisten Psychologiebüchern kaum die Rede ist.
Das praktische Bewusstsein kann insofern "praktisch" genannt werden, als in ihm über Sinneswahrnehmung einerseits und über aktives Handeln andererseits die Verbindung zur Aussenwelt hergestellt wird. Es bildet also das Steuerungsorgan des Leibes, der in Beziehung zur Umwelt tritt; psychische Muster entstehen auf der organischen Basis sensomotorischer Prozesse, die automatisch ablaufen, ohne dass wir sie im Detail wahrnehmen können - man denke etwa an die Einzelheiten des Sehvorgangs oder das Bewegens eines Fingers. Das Entscheidende dabei ist: Im direkten Umgang mit der Umwelt kann ein Mensch mittels Wiederholung routinisierte Wahrnehmungs- und Handlungsweisen erlernen, was für das Alltagsleben ungemein wichtig ist, da dieses zu einem guten Teil aus Selbstverständlichkeiten bestehen muss, wenn nicht ein Gefühl von Unsicherheit und Überforderung überhand nehmen soll.37
Im letzten Fall muss dann wohl eher von der Vermittlung eines Handlungspotentials gesprochen werden, da es ja um Einstellungen, Werthaltungen und dergleichen geht.
Das heisst aber auch, dass im praktischen Bewusstsein agierende Personen nicht, oder nicht ohne weiteres in der Lage sind, ihr Tun in Worten zu beschreiben oder zu erklären, so wie sie dies im diskursiven Bewusstsein tun könnten. "Dieses praktische Bewusstsein umfasst all das, was Handelnde stillschweigend darüber wissen, wie in den Kontexten des gesellschaftlichen Lebens zu verfahren ist, ohne dass sie in der Lage sein müssten, all dem eine direkten diskursiven Ausdruck zu geben," sagt Giddens.38
Vgl. Giddens 1988, 95 ff. Dabei sei nicht behauptet, dass alles, was mit Gedächtnis zu tun hat, im Bereich des praktischen Bewusstseins anzusiedeln ist. Gedächtnisleistungen expliziter und damit diskursiver Art finden statt, wenn z.B. ein Student (der Fall trifft auf mich zu) für die Anthropologie-Vordiplomprüfung sämtliche Knochen, Muskeln und Blutgefässe des menschlichen Körpers mit lateinischen Namen auswendig lernen muss. Wer eine solche Übung einmal gemacht hat, erfährt dann aber auch, wie schnell bei Nichtgebrauch das Ganze wieder vergessen ist! Im übrigen können wir auch bei Aspekten des Unbewussten von "Gedächtnis" reden, aber dieses hat dann eine Form, die uns nicht auf einfache Weise verfügbar ist.
Dass er dabei nur auf das "gesellschaftliche Leben" Bezug nimmt, kann heissen, dass er entweder an der Bedeutung des praktischen Bewusstseins hinsichtlich des Umgangs mit der Umwelt im natürlichen Sinne prinzipiell nicht interessiert ist oder ihn aber als immer in das gesellschaftliche Leben eingebettet sich vorstellt. Tatsächlich ist heute unser Bewusstsein natürlich einer starken Dominanz des letzteren ausgesetzt. Eine im Hinblick auf die Umweltproblematik engagierte humanökologische Betrachtung muss aber fragen können, was es denn mit unserer Beziehung zu den natürlichen Aspekten der Aussenwelt auf sich hat, ob nicht gerade die genannte Dominanz des Gesellschaftlichen eine Quelle unserer Probleme ist.
Das Spiegelbild zur Dominanz des Gesellschaftlichen in der heutigen Zeit ist die Verdrängung des oder die Distanzierung vom Natürlichen. In früheren Epochen stand für den Grossteil der Bevölkerung, wenn nicht für alle Menschen, die ganze Lebensweise unter dem Aspekt der Beziehung zur Natur, in noch weitgehend passiver Art im Stadium des Sammelns und Jagens, in schon aktiver, gestaltender Art bei der Landwirtschaft. Die Tätigkeiten, die sich in diesem Rahmen abspielten, waren Ausdruck eines eingeübten praktischen Bewusstseins, entstanden durch Erfahrung im adäquaten Umgang mit der äusseren Natur, durch Lernen am eigenen Tun. Die Folge der späteren gesellschaftlichen Differenzierung war, dass das Tun von immer mehr Menschen nicht mehr einer direkten Auseinandersetzung mit natürlichen Komponenten der Aussenwelt entsprach. Am ehesten gehörten da noch handwerkliche Tätigkeiten dazu, insofern sie mit einer Bearbeitung natürlicher Materialien zu tun hatten. Heutige typische körperliche Tätigkeiten, die im Falle eines funktionierenden praktischen Bewusstsein zu Fertigkeiten werden können, sind: Das Spielen eines Musikinstrumentes, das Betreiben einer Sportart, das Fahren eines Fahrzeuges, usw. Offensichtlich geht es dabei um den Umgang mit Artefakten, um Tätigkeiten, die höchstens noch am Rande mit der Begegnung von ausserweltlicher Natur zu tun haben. Zweifellos aber sind sie Ausdruck eines Umgangs mit der eigenen Natur, nicht nur das, sondern auch eines harmonischen Zusammenwirkens von Geist und Natur: "Man erreicht einen bestimmten Zustand, der phänomenologisch weder rein mental noch rein körperlich wirkt, sondern eine bestimmte Art der Einheit von Geist und Körper ist."39
Dies steht nicht im Widerspruch zur Aussage, ein Mensch, der im diskursiven Bewusstsein handle, könne über das, was er tue, in sprachlicher Form Rechenschaft ablegen, während für einen, der im praktischen Bewusstsein agiere, dies nicht (oder nicht ohne weiteres) zutreffe. Das Diskursive bezieht sich auf den Inhalt einer sprachlichen Mitteilung, der natürlich immer irgendwie reflektiert sein muss.
Auch für erfolgreiches zwischenmenschliches Handeln, also für geregelte Beziehungen von Mensch zu Mensch gilt ein Lernvorgang als Voraussetzung. Die zu lernenden Regeln können sich auf den sozialen (z.B. Gruss- oder Anredeverhalten), den politischen (z.B. Auftreten bei Wahlveranstaltungen), den ökonomischen (z.B. Einsatz beruflicher Fähigkeiten) und den kulturellen Bereich (grundlegende Weltanschauung) erstrecken.40
Siehe z.B. die unterhaltsame Darstellung von Samy Molcho 1983.
Gelernt wird im Laufe der Sozialisation, die Regeln werden internalisiert, sie "gehen in Fleisch und Blut über". Das was sich im praktischen Bewusstsein über die Zeit sedimentiert, kann bei Bedarf aktiviert werden und gehört dann zum selbstverständlichen und fraglosen Bestand der Alltagswirklichkeit. Der Aktivierungsaspekt zeigt, dass auch eine enge Verbindung zwischen praktischem Bewusstsein und einem impliziten Alltagsgedächtnis besteht. Giddens legt Wert auf die Feststellung, dass ein Gebrauch des Gedächtnisses nicht einfach eine Sache des Abrufens von in der Vergangenheit gespeicherter Information ist, was dann irgendwie im Gegensatz zum Gegenwartsbewusstsein stünde. Gegenwart besteht immer nur aus einem Augenblick, der Zeitablauf ist kontinuierlich, und das praktische Bewusstsein hat die Fähigkeit, in diesem Kontinuum Altes und Neues immer wieder kontextgerecht zusammenzubringen.41
Rom Harré, David Clarke und Nicola de Carlo 1985, 30.
Beziehungen zwischen Menschen nehmen grossenteils den Charakter sprachlicher Kommunikation an; dabei sind Spracherwerb und -gebrauch selbst Aktivitäten, die auf ein praktisches Bewusstsein angewiesen sind.42
Polanyi erwähnt das Beispiel des Klavierspielers, der plötzlich nicht mehr spielen kann, wenn er sich zu überlegen beginnt, was seine einzelnen Finger eigentlich tun (vgl. Polanyi 1974, 146).
Ich muss, wenn ich mich verständlich ausdrücken will, im richtigen Augenblick über einen adäquaten Wortschatz, eine korrekte Grammatik, eine passende Intonation verfügen. Und auf organischem Niveau müssen meine Sprechorgane eingeübt sein.
Zweifellos ist die Unterscheidung zwischen der Ausübung "natürlicher" Fertigkeiten und der Anwendung von sozialem Wissen in der oben geschilderten Form nicht immer ohne weiteres klar. Das eine kann in das andere übergehen. Denken wir z.B. daran, dass an zwischenmenschlicher sprachlicher Kommunikation immer auch Körpersprache beteiligt ist.43
Vgl. dazu Wolfgang Zierhofer 1993, 37-39. Aus den täglich der Presse zu entnehmenden Informationen, wie der Versuch der allmählichen Ökologisierung der Gesellschaft immer wieder abbröckelt, wird uns rasch klar, dass Prozesse der Änderung immer mit grossen Hindernissen zu kämpfen haben. Peter Beck thematisiert dieses Problem, wenn er sagt: "Das Verhängnisvolle ... besteht darin, dass die Gewalt und die Unfreiheit der Gesellschaft auch in ihre Umgangssprache eingegangen ist, weshalb diese immer schon einen verzerrten Kommunikationszusammenhang darstellt. Wie aber soll dann die Reflexion, die ja an die Umgangssprache gebunden ist, diesen Zwangszusammenhang auflösen können?" (Beck 1975, 23).
Darüber hinaus gibt es ja auch geregelte Formen der Interaktion, bei denen das motorische Verhalten der einen Person zur sensorischen Information für die andere Person wird. Als Beispiele nennen Rom Harré, David Clarke und Nicola De Carlo das Tischtennis-Spiel und die improvisierende Jazz-Band.44
Natürlich wird in der philosophischen Diskussion unter Rationalität üblicherweise etwas verstanden, das sich ausschliesslich im Kopf abspielt (vgl. dazu z.B. Nicolas Rescher 1993, 1-2), aber es ist klar, dass der Ursprung der verschiedenen Typen in der Eigenlogik der in der angegebenen Weise zugeordneten Bewusstseinsebenen liegt.
Umgekehrt sind die oben genannten körperlichen Fertigkeiten (Handwerk, Sport usw.) immer in irgendwelche sozialen Kontexte eingebaut.
Die Grenze zwischen dem praktischen und dem diskursiven Bewusstsein ist durchlässig und/oder verschiebbar. Dies ist vor allem in jenen Fällen offensichtlich, in denen am Anfang oder auch wiederholt während des Lernvorganges ein Einsatz des Kopfes notwendig ist. Beispiele sind das Einüben eines Klavierstücks oder das Lernen einer Fremdsprache. Bei der allmählichen Vervollkommnung der zugehörigen psychisch-physisch Muster werden diese aber immer mehr in die tieferen Regionen einer Art von "Körperwissen" absinken und können dann nach Bedarf gewissermassen automatisch umgesetzt werden. Es ist dann sogar so, dass der Versuch, sich wieder bewusst zu machen, was dabei eigentlich vor sich geht, die Automatik des Tuns zerstören kann.45
Vgl. Bernd Biervert und Josef Wieland 1990, 11-12, sowie John Shotter 1984, 18.
Es ist aber natürlich auch möglich, dass sich ein solches Tun langsam in falscher Richtung entwickelt, falsch im Sinne von "nicht erfolgreich" im Sinne eines vorgestellten Zieles. Dann ist zur rationalisierenden Korrektur wieder Kopfarbeit erforderlich; denken wir etwa an das Beispiel von Sportlern oder Sportlerinnen, die Videoaufnahmen von Bewegungsabläufen analysieren. Falsch kann aber in dem uns hier vor allem interessierenden Sinne auch heissen, dass die Folgen eines momentan noch als "normal" betrachteten Tuns ökologisch schädlich sind. Dies ist z.B. für das Autofahren der Fall, auch wenn, wie wir oben festgestellt haben, die Tätigkeit an sich eine "harmonische Einheit von Körper und Geist" darstellt. Hier muss es dann darum gehen, eingefahrene, unüberlegt eingesetzte Verhaltensweisen durch Reflexion und diskursive Neugestaltung zu ändern.46
Der Bezug zu den drei aristotelischen Wissenschaften sieht, in der Reihenfolge der Tabelle von oben nach unten, wie folgt aus: Theoretische, praktische und produktive Wissenschaft. Dabei ist zu beachten, dass die Theoriebildung im alten Griechenland zwar natürlich eine Angelegenheit diskursiven Denkens war, dass aber der Inhalt solchen Denkens noch in sehr grundlegender Weise mit ästhetischen Fragen zu tun hatte und damit letztlich auf die Ebene des Unbewussten rückführbar ist. Dies ist auch plausibel, indem die griechische Philosophie, auch wenn sie sich explizit von der Religion zu distanzieren versuchte, noch stark davon beeinflusst war. Umgekehrt ist die Vorstellung einer produktiven Wissenschaft nahe beim heutigen technisch orientierten Verständnis einer theoretischen Rationalität mit ihren instrumentellen Aspekten.
3. Welt, Mitwelt, Umwelt: Die drei Bewusstseinsebenen und ihre Beziehungsfähigkeit (S.54-67)
3.1 Die Welt und Ich (S.56-60)
3.2 Ich und Du, Du und Ich (S.60-63)
3.3 Ich und die Welt, Ich und Es (S.63-67)
4. Fische, Paviane, Menschen: Evolutionäre Hintergründe (S.68-86)
4.1 Identität und Wissen als zwei divergierende Entwicklungstendenzen (S.68-73)
4.2 Holistisch-kontemplative Lebensweise (S.73-76)
4.3 Sozial-kommunikative Lebensweise (S.77-80)
4.4 Subjektiv-kognitive Lebensweise (S.80-86)
4.4.1 Die archaische Stufe138
Vgl. Günter Dux 1990, 93.
(S.83)
4.4.2 Die magische Stufe139
"Nach Durchmessung der eigenen Seele ... findet der mythische Mensch den andern Menschen ... Auf dem Umweg über das Erwachen zu sich selber erwacht das Du ...," sagt Gebser (1949, 114).
(S.83-84)
4.4.3 Die mythische Stufe140
Vgl. Gebser 1949, 123 ff.
(S.84)
4.4.4 Die mentale Stufe143
Ich verwende hier den Begriff der "Umwelt" in Gegenüberstellung zu dem der "Welt" im gleichen Sinne, wie dies Picht tut (siehe unten). Nach der in dieser Arbeit angestrebften Terminologie müssten wir genauer davon reden, dass es um eine Vergewaltigung der Mitwelt geht und dass diese erst durch diese Vergewaltigung zur blossen Umwelt wird.
(S.85-86)
5. Vergewaltigung, Verdrängung, Veränstigung: Zu den heutigen Problemen (S.87-98)
5.1 Diskursives Bewusstsein: Die Welt vergewaltigt die Umwelt146
In Steiner 1996a habe ich zu diesem Phänomen ausführliche Stellung bezogen. Ich stelle dabei dem Trend zur Globalisierung die Notwendigkeit einer Regionalisierung entgegen. Im gleichen Band widerspricht Rolf Weder (1996a) als Vertreter der Mainstream-Ökonomie dieser Ansicht. Es sei im Gegenteil die globale Marktwirtschaft, die dank internationaler Arbeitsteilung und der Ausnutzung komparativer Vorteile einen effizienten Ressourcengebrauch und damit eine Lösung der ökologischen Probleme ermögliche. Zusätzlich zur Darstellung der eigenen Position liefern die beiden Autoren auch eine kurze gegenseitige Kritik derselben (Steiner 1996b und Weder 1996b).
(S.87-90)
5.2 Praktisches Bewusstsein (S.90-94)
5.3 Das Unbewusste: Angst vor ihm und Angst mit ihm (S.94-98)
6. Leere und Fülle (S.98-113)
6.1 Ökologisch relevante Charakteristikia der buddhistischen Bewusstseinslehre (S.99-106)
6.2 Überbrückende Hinweise auf einige westliche Ansätze (S.106-113)
6.2.1 Zu Haben und Sein, zu Machen und Wirken, zum kleinen und zum grossen Selbst (S.107-111)
6.2.2 Zu Kind und Kunst (S.111-113)
Literatur (S. 113-120)