Die Zweipoligkeit der Innenwelt ist in Figur 1 als eine vertikale Achse dargestellt, an deren unterem Ende sich unsere eigene Natur in Form von Leib und Seele (Seele verstanden als das unbewusste Psychische, das mit dem Leib in enger Beziehung steht) befindet, während ihr oberes Ende durch das subjektiv Geistige in Form des obersten Bewusstseins (verstanden als eine Form von szientifisch-technischer Rationalität) markiert
ist.7Deshalb ist es auch gerechtfertigt, hier noch von Landschaft zu reden. Demgegenüber ist es dann naheliegend, dass die heute vielerorts vorherrschende, aus einer wilden Ansammlung von Artefakten bestehende Zivilisationsumwelt eher eine "Unlandschaft" darstellt.
Die horizontale Achse stellt eine entsprechende Natur-Geist-Zweipoligkeit der Aussenwelt dar. Beide Pole beziehen sich sowohl auf individuelle als auch auf strukturelle Erscheinungen. Am natürlichen Ende befinden sich diejenigen Phänomene der Aussenwelt, die uns in ihrem Mit- und Nebeneinander dank der spontanen Tätigkeit der Natur eine Lebensgrundlage im leiblichen und auch im seelischen Sinne ermöglichen. Das geistige Ende der horizontalen Achse weist auf das hin, was sich im Miteinanderleben der Menschen, d.h. in ihrem intersubjektiven Austausch, unter Einsatz ihres obersten Bewusstseins als kollektives Resultat in Form von Erfundenem und Gemachtem ergibt. Damit sind sowohl immaterielle Phänomene wie Theorien, Gesetze und dgl. als auch materielle Strukturen wie Strassen, Gebäude usw. angesprochen. Die letzteren können als eine "Konkretisierung des Geistes", die dann gewissermassen als "externes Gedächtnis" fungiert, verstanden
werden.8Zur Bedeutung des englischen Gartens siehe Gernot Böhme 1989, 79 ff.
Es ist selbstverständlich, dass gerade für die Betrachtung der Aussenwelt diese Gegenüberstellung einen relativ künstlichen Charakter hat. Schon früh in der kulturellen Evolution begann der Mensch, seinen Lebensraum zu gestalten oder umzugestalten, so dass Natürliches und Geistiges oder Landschaftliches und Gesellschaftliches einander in zunehmendem Masse durchdrangen. Immer mehr war Natur nicht absolut spontane, sondern vom Menschen in irgendeiner Form gepflegte Natur. Umgekehrt hat das Gesellschaftliche keinesfalls durchwegs einen explizit geplanten, sondern zu einem guten Teil einen quasi-natürlichen, gewissermassen "organischen"
Charakter.9Böhme 1992b, 58.
Warum dann die Rede von der Zweipoligkeit? Es geht darum, daran zu erinnern, dass es extrem gesehen den Gegensatz von Gegebenem und Gemachtem tatsächlich gibt; das kann uns klar werden, wenn wir uns vorstellen, wir möchten mit der uns umgebenden Aussenwelt in bewusstseinsmässigen Kontakt treten, und diese Aussenwelt sei im einen Fall ein Stück Wildnis mit dem Rauschen von Wasser und dem Zwitschern von Vögeln und im andern Fall ein Stück Stadt mit Asphalt, Beton, Lärm und Abgasen. Von grundlegender Bedeutung ist dann aber die Einsicht - diese sei hier schon vorweggenommen -, dass sich die durch die beiden Pole repräsentierten Kräfte durchaus zu einem einigermassen harmonischen und kreativen Miteinander finden können. So ist z.B. die traditionelle bäuerliche Kulturlandschaft Mitteleuropas in vielerlei Hinsicht Natur, am Massstab der Artenvielfalt gemessen sogar "bessere Natur" als die
ursprüngliche.10Böhme 1989, 35. Dieser Zusammenhang ist von Ulrich Klein (1993) zur Untersuchung von Aspekten des Mensch-Natur-Verhältnisses in ein Spiel "Der Mensch als Landschaft" umgesetzt worden, bei dem die untersuchten Personen den menschlichen Leib als Landschaft zeichnen. Zur heutigen Realität des Zusammenhangs zwischen natürlicher Aussenwelt und Leib, die wir heute schmerzlich erfahren müssen, mag noch die folgende kulturhistorische Reminiszenz von Interesse sein: Zur Zeit der Renaissance wurde zwischen Aussen als Makrokosmos und Innen als Mikrokosmos eine metaphorische Parallele gesehen, ja darüber hinaus gehend zum Teil eine akausal-synchronistische Beziehung (die sich vor allem in der Astrologie manifestierte) postuliert (siehe dazu Paul G. Chamberlain 1995).
Auch eine konstruierte "Naturlandschaft" wie etwa ein englischer Garten kann durchaus etwas ökologisch Wertvolles
sein.11Hans-Jürgen Seel und Ralph Sichler 1993, 19. Die Rede vom "menschlichen Naturverhältnis" ist dabei insofern nicht ganz konsequent, als ja der Mensch eben zum Teil selbst Natur ist. Seel und Sichler sind sich aber dessen selbst bewusst, denn sie weisen darauf hin, dass Mensch und Natur nicht komplementäre Begriffe seien, Mensch und Umwelt aber wohl. In diesem Zusammenhang stellen sie übrigens ein Manko der üblichen ökologischen Psychologie fest: Diese verstehe sich als Umwelt-Psychologie und lasse den Menschen als Naturwesen unberücksichtigt (vgl. Seel und Sichler 1993, 16-17).
Dies zeigt, dass die kulturelle Entwicklung des Menschen nicht zum vorneherein einen naturfeindlichen Charakter haben muss.
Das bewusstseinsökologische Kreuz stellt also in zweifacher Hinsicht, einmal innenweltlich und individuell, einmal aussenweltlich und kollektiv, den Kontrast zwischen Natur und Geist dar. Es scheint klar, dass die von unserer gegenwärtigen Zivilisation produzierte Umweltzerstörung Ausdruck eines Übergewichtes des Geistigen über das Natürliche ist - geistig und natürlich immer im oben skizzierten engeren Sinne verstanden. Dieses Übergewicht äussert sich einem instrumentalisierten Zugang des Menschen zur Natur, und zwar trifft dies auf beiden Achsen von Figur 1 zu. Tatsächlich ist die äussere Natur immer mehr entzaubert und zum Warenlager und zur Müllhalde degradiert worden, und etwas Ähnliches muten wir bis zu einem gewissen Grade auch unserer eigenen Natur, d.h. unserem Leib und unserer Seele zu. So meint z.B. Gernot Böhme, unsere Lebensform hätte "unseren Leib immer schon zum Körper gemacht ..., zum Ding eben, mit dem man in bestimmter Weise manipulativ
umgeht."12Emergent werden evolutionär neuere Phänomene genannt, die nur auf der Grundlage des Zusammenwirkens älterer Phänomene möglich, auf deren massgebliche Prinzipien aber nicht reduzierbar sind und über ein eigenes kausales Vermögen verfügen.
Und anhand des Umweltproblems zeige sich, dass sich die Parallele zwischen unserem äusseren und inneren Naturverhältnis sogar zu einem engeren Zusammenhang verdichte: "Der menschliche Leib ... liegt im Zentrum des sogenannten Umweltproblems. An seiner Betroffenheit ist uns die äussere Natur in ganz anderer Weise als in den vergangenen Jahrhunderten Thema geworden. Und am Leib als der nächsten Natur, der Natur, die wir selbst sind, entscheidet sich unsere Beziehung zur äusseren
Natur."13Gerade auch an diesem Begriff zeigt sich, dass von "Seele" von Mal zu Mal in sehr unterschiedlicher Bedeutung geredet wird. Einmal ist damit ein Phänomen auf der Seite des Geistigen, ein andermal aber auf der Seite des Natürlichen gemeint, hier ist offensichtlich das erstere der Fall. Die englische Bezeichnung "mind-body problem" umgeht diese Schwierigkeit.
Unser gestörtes Verhältnis zur Natur stellt also nicht nur für diese, sondern für uns selbst eine existentielle Bedrohung dar, denn "unabhängig von einer genauen begrifflichen Bestimmung sehen wir im menschlichen Naturverhältnis die Grundlage für die gesamte menschliche Existenz. ... Dies gilt nicht nur für die sogenannte äussere Natur, sondern ebenso für die innere (menschliche, leibliche)
Natur."14Dies ist besonders auch in der philosophischen Anthropologie der Neuzeit der Fall. Der Mensch sei "von Natur unnatürlich", meint z.B. Helmuth Plessner 1974, 51, und Arnold Gehlen fragt: "Warum ist es der Natur eingefallen, ein Wesen zu organisieren, das der ungemeinen Irrtumsfähigkeit und Störbarkeit des Bewusstseins ausgesetzt ist? Warum hat sie den Menschen nicht lieber, statt mit 'Seele' und 'Geist' mit ein paar sicher funktionierenden Instinkten mehr ausgestattet?" (Gehlen 1986, 13). Zum Leib-Seele-Problem aus naturwissenschaftlicher Sicht siehe z.B. Alfred Gierer 1985, 215 ff.