Druckversion  ·  Kontakt

Bewusstsein

Vernünftig werden heißt weiblich werden! Beitrag zu einer evolutionären Bewußtseinsökologie

Dieter Steiner
Dieser Artikel ist erschienen in Wolfgang Zierhofer und Dieter Steiner (Hrsg.): Vernunft angesichts der Umweltzerstörung. Westdeutscher Verlag, Opladen 1994, S.197-264.
1. Einleitung: Die Krise ist männlich ... (S. 197-205)
2. Zum Fortgang der Desintegration (S.205-218)
2.1 Archaisches und Magisches Bewusstsein (S.205-207)
2.2 Mythisches Bewusstsein (S.207-210)
2.3 Mentales Bewusstsein I (S.210-214)
2.4 Mentales Bewusstsein II (S.214-218)
3. Wege zur Reintegration (S.218-249)
3.1 Vorversicherung I: Bei einer postkonventionellen Gerechtigkeitsmoral (S.219-227)
3.2 Vorversicherung II: Bei einer kommunikativen Vernunft (S.227-237)
3.3 Rückversicherung I: Beim Gemeinschaftlich-Besonderen (S.238-244)
3.4 Rückversicherung II: Beim Kosmisch-Allgemeinen (S.244-249)
4. Zum Ausklang: ... die Zukunft weiblich (S.249-255)
Literatur (S.255-264)

Mensch und Lebensraum: Eine Geschichte der Entfremdung. Ein Essay in evolutionärer Bewusstseinsökologie

Dieter Steiner
Dieser Artikel ist erschienen in Dieter Steiner (Hrsg.): Mensch und Lebensraum. Fragen zu Identität und Wissen. Westdeutscher Verlag, Opladen1997, S. 41-120.
1. Einleitung (S. 40-43)
2. Unten und Oben, Innen und Aussen: Die bewusstseinsökologische Grundsituation (S.43-54)
2.1 Das Kreuz: Die vier Pole der Orientierung (S.43-46)
2.2 Natur und Geist: Partner oder Widersacher? (S.46-49)
2.3 Eine mittlere Ebene als Vermittlungsstelle: Das praktische Bewusstsein (S.49-54)
3. Welt, Mitwelt, Umwelt: Die drei Bewusstseinsebenen und ihre Beziehungsfähigkeit (S.54-67)
3.1 Die Welt und Ich (S.56-60)
3.2 Ich und Du, Du und Ich (S.60-63)
3.3 Ich und die Welt, Ich und Es (S.63-67)
4. Fische, Paviane, Menschen: Evolutionäre Hintergründe (S.68-86)
4.1 Identität und Wissen als zwei divergierende Entwicklungstendenzen (S.68-73)
4.2 Holistisch-kontemplative Lebensweise (S.73-76)
4.3 Sozial-kommunikative Lebensweise (S.77-80)
4.4 Subjektiv-kognitive Lebensweise (S.80-86)
4.4.1 Die archaische Stufe138
Vgl. Günter Dux 1990, 93.
(S.83)
4.4.2 Die magische Stufe139
"Nach Durchmessung der eigenen Seele ... findet der mythische Mensch den andern Menschen ... Auf dem Umweg über das Erwachen zu sich selber erwacht das Du ...," sagt Gebser (1949, 114).
(S.83-84)
4.4.3 Die mythische Stufe140
Vgl. Gebser 1949, 123 ff.
(S.84)
4.4.4 Die mentale Stufe143
Ich verwende hier den Begriff der "Umwelt" in Gegenüberstellung zu dem der "Welt" im gleichen Sinne, wie dies Picht tut (siehe unten). Nach der in dieser Arbeit angestrebften Terminologie müssten wir genauer davon reden, dass es um eine Vergewaltigung der Mitwelt geht und dass diese erst durch diese Vergewaltigung zur blossen Umwelt wird.
(S.85-86)
5. Vergewaltigung, Verdrängung, Veränstigung: Zu den heutigen Problemen (S.87-98)
5.1 Diskursives Bewusstsein: Die Welt vergewaltigt die Umwelt146
In Steiner 1996a habe ich zu diesem Phänomen ausführliche Stellung bezogen. Ich stelle dabei dem Trend zur Globalisierung die Notwendigkeit einer Regionalisierung entgegen. Im gleichen Band widerspricht Rolf Weder (1996a) als Vertreter der Mainstream-Ökonomie dieser Ansicht. Es sei im Gegenteil die globale Marktwirtschaft, die dank internationaler Arbeitsteilung und der Ausnutzung komparativer Vorteile einen effizienten Ressourcengebrauch und damit eine Lösung der ökologischen Probleme ermögliche. Zusätzlich zur Darstellung der eigenen Position liefern die beiden Autoren auch eine kurze gegenseitige Kritik derselben (Steiner 1996b und Weder 1996b).
(S.87-90)
5.2 Praktisches Bewusstsein (S.90-94)
5.3 Das Unbewusste: Angst vor ihm und Angst mit ihm (S.94-98)
6. Leere und Fülle (S.98-113)
6.1 Ökologisch relevante Charakteristikia der buddhistischen Bewusstseinslehre (S.99-106)
Die buddhistische Bewusstseinslehre stellt eine Art phänomenologisches System dar, d.h. sie gipfelt in der Aussage, dass ich im Blick in mein eigenes Bewusstsein zur Erkenntnis über die Welt gelangen kann. Im Sinne unseres Schemas von Kapitel 3 postuliert sie also die Möglichkeit der Etablierung einer Welt-Ich-Beziehung, wobei allerdings, wie wir sehen werden, das "Ich" in einem stark relativierten Sinne zu verstehen wäre.
Zentral im buddhistischen Verständnis der Welt ist die Vorstellung der Leere oder Leerheit (Sanskrit: "Shunyata").183
Siehe Lexikon der östlichen Weisheitslehren 1986, 423 bzw. 377-378. Die Bezeichnung "Diamantfahrzeug" soll andeuten, dass es einen Weg gibt, "den '' 'Stein der Weisen', das strahlende Juwel ... des erleuchteten Geistes ..., im eigenen Herzen" zu finden (Lama Anagarika Govinda 1966, 70).
Diese entspricht keineswegs einer nihilistischen Auffassung, sondern ihre Bedeutung ist: "Alles ist leer (shunya) von einer unabhängigen Existenz, da alles in gegenseitiger Abhängigkeit entsteht."184
Vgl. Anderson 1983, 82.
Mit andern Worten, die Dinge sind nicht wesenhaft, sie haben keine selbständige, dauerhafte Substanz, sondern sie bestehen nur aufgrund ihrer Beziehungen zu andern Dingen und sie wandeln sich auch ständig als Folge von sich verändernden Qualitäten dieser Beziehungen. Es gibt also keine voneinander getrennten Dinge und Walt Anderson weist mit Bezug auf Herbert V. Guenther darauf hin, dass der Begriff der Shunyata in westlicher Sprache am besten mit der englischen Bezeichnung "no-thing-ness" wiedergegeben werden kann, die einerseits an "nichts" erinnert, andererseits aber, wörtlich verstanden, "Nicht-Dingheit" bedeutet.185
Govinda 1966, 103.
Somit haben wir es also in der Tat mit einem Weltbild ausgesprochen relationaler Art zu tun. In extremer Form kommt dies in der tibetischen Version des Buddhismus zum Ausdruck, die sich "Vajrayana" ("Diamantfahrzeug") nennt und die sog. "Tantras" als Lehrtexte verwendet.186
Anderson 1983, 140.
Das Sanskrit-Wort Tantra wird mit "Gyud" (= Faden) ins Tibetische übersetzt,187
Vgl. Lexikon der östlichen Weisheitslehren 1986, 265-267. Sogyal Rinpoche (1991) illustriert den Wechsel von Samsara zu Nirvana mit einer Himmel-Metapher: Wenn wir im ersteren Zustand sind, ist dies als ob wir immer wieder Wolken am Himmel sähen, die veränderliche und temporäre Erscheinungen darstellen. Im letzteren dagegen wird der Blick frei auf einen unverhüllten, konturlosen und ewig blau strahlenden Himmel.
womit es in den Worten von Lama Anagarika Govinda hinweist "auf das Verwobensein aller Dinge und Handlungen, die gegenseitige Abhängigkeit alles Bestehenden, die Kontinuität in der Wechselwirkung von Ursache und Folge sowohl wie die Kontinuität in geistiger und traditioneller Entwicklung, die sich wie ein Faden durch das Gewebe geschichtlicher Ereignisse und individueller Leben zieht."188
Aus einem buddhistischen Text, zitiert nach Govinda 1966, 133.
Im alltäglichen, unachtsamen Bewusstseinszustand (Sanskrit: "Samsara") nehmen wir die Erscheinungen dieser Welt als getrennte Dinge wahr, wir verdinglichen die Welt. Indem wir unsere psychischen Energien auf Einzelheiten richten und diesen dann anhaften, entsteht unnötiges Leiden. Insbesondere ist dies der Fall, wenn wir uns selbst als von allem anderen getrenntes Ding, als eigenständiges "Ich" betrachten. Anderson drückt es so aus: "Das ich-zentrierte Bewusstsein des Samsara hat sich von der Wirklichkeit abgespalten und kläglich in einer Welt von Objekten verfangen."189
Hayward 1990, 194.
Die buddhistische Lehre sagt nun, dass es möglich ist, sich von der Anhaftung an den Dingen der äusseren Welt und am eigenen Ich zu befreien. Meditative Praktiken können zur Einsicht eben der Leere, der Verbundenheit aller Erscheinungen führen. An die Stelle des Ich-Bewusstseins tritt dann ein Gefühl der Ich-Losigkeit, ein Bewusstseinszustand, der "Nirvana" genannt wird.190
Vgl. Anderson 1983, 140.
Allerdings ist es nicht möglich, darin zu verharren, denn ein Weiterleben verlangt die Rückkehr in die Alltagswelt. Diese kann nun aber als ein blosser Vordergrund erkannt werden, hinter dem die Leere steht, was wiederum nicht heissen soll, dass dieser Vordergrund nicht wirklich wäre. Tatsächlich verhalten sich Nirvana und Samsara komplementär zueinander; was im ersten Fall als Leere erscheint, manifestiert sich im letzteren als Fülle: "Die unendliche Leere des Universums ... ist fähig, Myriaden von Dingen verschiedenster Form und Gestalt zu bergen: Sonne und Mond, Sterne und Welten; Berge, Flüsse und Quellen; Wälder und Sträucher; gute Menschen und schlechte Menschen ... ."191
Zwar ist es richtig, dass wir mit Hilfe unserer Wissenschaft dahinter nach versteckten Naturgesetzlichkeiten fahnden, aber diese scheinen uns in erster Linie deshalb zu interessieren, weil wir hoffen, damit manipulierend in die Welt eingreifen zu können. Allerdings zeigen die Ergebnisse der Quantenphysik schon längst die Möglichkeit oder sogar die Notwendigkeit einer anderen Denkrichtung. Diese hat aber ausserhalb der Physik immer noch kaum Fuss gefasst, sonst wäre wohl ein Unternehmen wie die Gentechnik überhaupt nicht oder aber nur in stark modifizierter Form möglich. Vgl. dazu Hans Primas 1992.
Sowohl Anderson wie Hayward betonen, dass die Loslösung von der Ich-Verhaftung nicht mit einer Selbstverleugnung gleichzusetzen ist. Für die Meisterung des Lebens im Normalbewusstsein ist es durchaus angebracht, dass ich die Welt mit Einschluss von mir selbst als eine Ansammlung von Dingen sehe, aber eine Nirvana-Erfahrung wird mich befähigen, die Erkenntnis der Nicht-Isolierbarkeit dieser Dinge beizubehalten und in meinem Tun entsprechend zu berücksichtigen. So sagt Hayward: "Für das praktische alltägliche Leben und seine Planung ist es durchaus sinnvoll, einen Begriff von 'sich selbst' zu haben; aber es ist auch sinnvoll zu sehen, dass der Glaube an das Ich zu grundlegenden Wahrnehmungsverzerrungen führt, die sich auf unser Handeln auswirken."192
Vgl. Hayward 1990, 241 ff.
Von besonderer Bedeutung ist dabei die Einsicht, dass ich nicht Objekten gegenüber stehe, bei denen sich nur etwas ändert, wenn ich eingreife, sondern dass alles von sich aus schon in Veränderung begriffen ist und ich somit mein Tun als aktive Mitwirkung an einem übergeordneten Geschehen auffassen kann.193
"Achtsamkeit bedeutet das genaue Achthaben auf Körperempfindungen, Gefühle, Wahrnehmungen, Gedanken und die generelle Geistesverfassung, also die 'Stimmung' oder den 'Bewusstseinszustand'. Gewahrsein ist das Achthaben auf das Umfeld dieser Details, den sie umgebenden Raum, ihre Abhängigkeitsbeziehungen, ihr Entstehen, Andauern und Aufhören. Dieses Achthaben geschieht ohne Vorstellungen dessen, was zu erwarten ist, und ohne Beurteilung dessen, was man dann wirklich findet" (Hayward 1990, 245).
Mit dieser Art von "Hinter-die-Dinge-sehen" ist bereits auch der zweite uns interessierende Aspekt, die Wiederherstellung der evolutionären Hierarchie der menschlichen Bewusstseinsebenen angesprochen. Tatsächlich haben wir uns in unserer westlichen Zivilisation ja angewöhnt, nur die Welt in ihrer vordergründigen dinghaften Erscheinung als real zu betrachten.194
Hayward 1990, 242-243.
Wir legen keinen grossen Wert auf die Orientierungsmöglichkeiten, die sich aus der menschlichen ausser- wie innerweltlichen Erfahrung via das praktische Bewusstsein und das Unbewusste ergeben, eine Erfahrung, die auf die Verbundenheit hinweist, indem sie selbst nur über einen Zustand des Verbundenseins zustande kommen kann. Wir haben es also mit einer Dominanz des diskursiven Bewusstseins zu tun; dieses negiert entweder die zwei "unteren" Bewusstseinsebenen oder aber versucht sie, wenn es sie wahrnimmt, zu instrumentalisieren. Evolutionär gesehen kommt dies einer Inversion gleich, und diese kann als wesentlicher Faktor für die Entstehung der ökologischen Krise gesehen werden. Ihre Überwindung erfordert eine Rekonstruktion der evolutionären Hierarchie mit einem letztlichen Vorrang der jeweils älteren vor der jeweils jüngeren Bewusstseinsebene, ein "Vorrang", der aber nicht - wie es in der umgekehrten Situation der Inversion der Fall ist - eine Dominanz im strikten Sinne bedeutet. Im Prinzip geht es um die Wiederherstellung von Wechselwirkungen zwischen den Ebenen, wobei allerdings die älteren Ebenen eine Basis für die jüngeren in dem Sinne abgeben, dass diese jene nicht nur nicht negieren dürfen, sondern dass sie auf positive Art in ihnen einen Orientierungsrahmen sehen sollten.
Wie die Auflösung der genannten Inversion zu sehen ist, dafür bietet die buddhistische Bewusstseinslehre wiederum eine Fülle von Anhaltspunkten. Dies ist sehr plausibel, wenn wir bedenken, dass der angesprochene Weg vom Samsara zum Nirvana und zurück genau als dies interpretiert werden kann: Nämlich als Versuch, die Verbindung zwischen den Bewusstseinsebenen wiederherzustellen. Wir befassen uns zuerst mit dem Gegensatz zwischen und der gleichzeitigen Notwendigkeit des Zusammenwirkens von Kopf und Herz und knüpfen damit an der anfänglichen Diskussion des Gegen- und Miteinanders von Geist und Natur an. In der tibetischen Tradition erscheint dieses Paar unter den Bezeichnungen "Shepa" (= Intellekt) und "Ripka" (= intuitive Einsicht, Berührbarkeit durch eine Situation).195
Vgl. Hayward 1990, 262-263. "Leerheit ist nicht nichts, sondern das was ist, nur frei von Begriffen" (Hayward 1990, 262). Govinda 1966, 86, drückt es seinerseits so aus: "Wir bedienen uns der Worte nur, um von Worten frei zu werden bis wir zur reinen wortlosen Natur unseres Wesens vordringen."
Die beiden zu vereinigen gilt recht eigentlich als Erziehungsideal. Dazu gibt es Übungen, vor allem solche der Achtsamkeits- und Gewahrsamkeits-Meditation.196
Vgl. Abschnitt 4.4.4 mit Fussnote 145.
Die Beteiligung der Intuition kann das Wirken des Intellektes qualitativ verbessern: "Begriffliche Unterscheidungen werden klarer gesehen, und immer tiefere Schichten begrifflicher Grundannahmen werden aufgedeckt, bis der gesamte Projektionsprozess der Wahrnehmung direkt durchschaut werden kann."197
Vgl. Hayward 1990, 244.
Am Ende steht die Überwindung des Versuchs, die Welt begrifflich zu fassen, denn die Erfahrung der Leerheit, der "Nichtgesonderheit" der Dinge, heisst konsequenterweise auch, dass jegliche Begriffe, mit denen wir diese Dinge benennen und beschreiben, ihren Sinn und ihre Bedeutung verlieren.198
Govinda 1966, 100.
Diese Überwindung kann aber nicht einen dauerhaften Charakter haben, es geht nicht um ein Aufgeben des Intellektes zugunsten der Intuition. Dies wäre wiederum eine einseitige Ausrichtung, die zu blindem Glauben fundamentalistischer Prägung mit seinerseits katastrophalen Folgen führen könnte.199
Vgl. Anderson 1983, 204.
Es geht vielmehr um eine gewisse Harmonie zwischen den beiden Prinzipien.200
Anderson 1983, 205.
Dies heisst, dass wir nicht auf begriffliches Denken verzichten, aber seine Beschränktheit ständig im Auge behalten müssen; letztlich muss die persönliche gelebte Erfahrung Ausgangspunkt bleiben. So meint etwa Govinda: "Die Abstraktheit philosophischer Begriffe und Schlussfolgerungen bedarf der dauernden Korrektur am unmittelbaren Erleben, an der praktischen Erfahrung der Meditation und des täglichen Lebens."201
So stellt auch Rinpoche 1991 wörtlich die "Entlastung des Kopfes" bei gleichzeitiger "Öffnung des Herzens" als Ziel der meditativen Praxis dar.
Entsprechend will die buddhistische Lehre selbst auch kein philosophisches System sein, sondern ein Gedanken- und Aussagengebäude, das Anleitung und Anregung zur persönlichen Entwicklung vermittelt. Dabei will sie auch nicht anti-intellektuell sein. Logik und Sprache haben durchaus ihren Platz, aber sie sind nicht letzte Instanz, sondern lediglich eine Art Sprungbrett, ein Werkzeug, das man im ständigen Gewahrsein seiner Beschränktheit auf dem Weg zur Bewusstseinsveränderung einsetzen soll.202
Titel des Buches von Varela, Thompson und Rosch 1992.
Die Logik wird nicht in einem positiven, sondern einem gewissermassen negativen Sinne eingesetzt: Sie soll nicht die Richtigkeit von Lehrsätzen beweisen, sondern klar machen, dass die diesen Lehrsätzen widersprechenden Vorstellungen unhaltbar sind. Dies geschieht durch die Formulierung nicht erfüllbarer Aufgaben wie etwa: "Beweisen Sie die Existenz eines von seiner Umwelt völlig getrennten, unabhängigen 'Ich'!"203
Dies äussert sich in Aussagen wie etwa der von Rinpoche 1991, wonach der "äussere Lehrer" (die Erfahrungen, die wir an der Aussenwelt gewinnen können), eine Manifestation des "inneren Lehrers" (das, was wir in der Innenwelt finden können) darstelle.
Das eben Gesagte zeigt, dass das, was in der buddhistischen Lehre an erster Stelle erörtert wird, das Zusammenwirken des diskursiven Bewusstseins mit dem Unbewussten betrifft.204
Zu Yantra, Mandala, Mantra und Mudra siehe Lexikon der östlichen Weisheitslehren 1986, 453, 234, 235-236 und 248-249.
Dies ist verständlich, da ja der in der meditativen Versenkung gesuchte mystische Zugang zur Welt die letztendliche Grundlage einer Bewusstseinserweiterung darstellt. In zweiter Linie ist aber immer auch das praktische Bewusstsein angesprochen. Eine Nirvana-Erfahrung kann das ästhetische Erleben der Aussenwelt und daraus das praktische Handeln in ihr qualitativ verändern. Tatsächlich ist ja immer wieder von der notwendigen Rückkehr in die Alltagswelt und der dortigen Anwendung des erweiterten Bewusstseinszustandes die Rede. Das diskursive Bewusstsein seinerseits soll dann durch beide, das praktische Bewusstsein und das Unbewusste, angeleitet werden, so wie dies im obigen Zitat von Govinda zum Ausdruck kommt, in dem auf die Korrekturfunktion des Erlebens und Erfahrens der Innen- und der Aussenwelt hingewiesen wird. Weder die erstere noch die letztere stellt die alleinige Quelle der Orientierung dar, was verständlich macht, wieso Varela, Thompson und Rosch von einem "Mittleren Weg der Erkenntnis" reden können.205
Govinda 1966, 101.
Allerdings kommt letztlich, der von uns postulierten evolutionären Hierarchie entsprechend, der Innenwelt das Primat zu.206
Anderson 1983, 57. Dies ist ein weiterer Hinweis darauf, dass die (westliche) Vorstellung eines kohärenten und dauerhaften Ichs eine Fiktion darstellt.
Wie schon angetönt, kennt der Buddhismus meditative Praktiken, die eine integrative Bewusstseinsveränderung fördern können. Dabei kommt in der tibetischen Praxis dieser integrative Aspekt schon rein äusserlich in den zur Meditation verwendeten Hilfsmitteln zum Ausdruck, nämlich in der Kombination von Yantra, Mantra und Mudra. Mit "Yantra" wird ein symbolhaftes Bild bezeichnet, üblicherweise ein Mandala, eine Darstellung des Kosmos, die in ihrer Grundstruktur aus einem zentralen quadratischen Palast mit vier Toren in den Haupthimmelsrichtungen besteht, der von einem Flammenkreis umgeben ist. "Mantra" steht für ein Symbolwort bzw. einen heiligen Laut. "Mudra" schliesslich bezieht sich auf die bei der Meditation angewandte körperliche Geste, insbesondere die Handhaltung.207
Anderson 1983, 57.
Nach Govinda äussert sich in diesen Hilfsmitteln der "Parallelismus des Sichtbaren, Hörbaren und Fühlbaren, als Exponenten des Geistes ..., der Rede ... und des Körpers ...".208
Vgl. Anderson 1983, 203.
Sie sollen das Innere der meditierenden Person in Schwingung versetzen. In unserer Interpretation können wir in dieser Dreifaltigkeit eine Stütze für das Zusammenwirken der drei Bewusstseinsebenen erkennen. Dass wir auf diese Art zu tieferen Einsichten gelangen können, ist für westliches Verständnis wohl nicht gerade offensichtlich. Versuchen wir also, den Effekt der Meditation in einer solchem Verständnis vielleicht näher liegenden Weise zu beschreiben. Nach Anderson besteht das erste Ziel einfach darin, den Geist zu beruhigen. Dies ist notwendig, da unser normales Bewusstsein so wie eine "lärmende Gesellschaft aus sich ständig streitenden Mitgliedern" funktioniert.209
Govinda 1966, 33.
In der Stille wird eine genaue Beobachtung der Abläufe im eigenen Bewusstsein möglich und damit "entdeckt man vielleicht eine Wahrheit, die sich zwar nicht in Worte fassen lässt, die aber eine Antwort auf die Fragen in unserem tiefsten Inneren sein mag."210
Vgl. Govinda 1966, 33.
Dabei ist eines wichtig: Es gibt im Buddhismus keine Vorstellung von absoluten Wahrheiten, damit auch keine Glaubenssätze. Nach der Überlieferung hat Buddha selbst gesagt, jeder Mensch solle immer nur das akzeptieren, was durch die eigene Erfahrung geprüft worden ist.211
Varela, Thompson und Rosch 1992, 328.
Dies ist ein kontinuierlicher Prozess: "Wahrheiten können nicht übernommen werden; sie müssen ständig wieder-entdeckt und neu geformt werden, wenn sie ihren geistigen Gehalt, ihre Lebendigkeit oder geistige Nährfähigkeit beibehalten wollen."212
Vgl. Hayward 1990, 78.
So sind es weniger die inhaltlichen Resultate des inneren Erlebens als die Methoden, die zu diesem Erleben führen können, die von Bedeutung sind.213
Zu "Prajna" und "Karuna" siehe Lexikon der östlichen Weisheitslehren 1986, 185-186 bzw. 292.
Die Erkenntnis der Leere, die Abhängigkeit aller Dinge voneinander, hat zur Folge, dass wir nirgendwo einen festen Ausgangspunkt finden können. Bezeichnenderweise soll schon Buddha metaphysische Fragen in dieser Richtung als unbeantwortbar bezeichnet haben. In der Geschichte des abendländischen Denkens haben wir wechselweise festen Grund in der Innenwelt (Subjektivismus) und der Aussenwelt (Objektivismus) gesucht und schliesslich in der Neuzeit beide Möglichkeiten verworfen, mit Recht, aber es scheint, dass wir seither noch nicht gelernt haben, mit dieser Bodenlosigkeit sinnvoll umzugehen, sondern uns in einer postmodernen Beliebigkeit verlieren. Auch die Wissenschaft bietet hier keinen Ersatz, obschon sie auf die Formulierung möglichst universell gültiger Gesetze zielt. Das mag in der Physik relativ erfolgreich sein, aber es wird immer fragwürdiger, je mehr eine Disziplin mit dem Leben und schliesslich mit dem Menschen zu tun hat. Die buddhistische Lehre bietet nun an, gerade aus der Einsicht in die Bodenlosigkeit Orientierung zu gewinnen: Nicht eben, indem wir daraus starre Handlungsanleitungen ableiten könnten, sondern indem wir über das Verstehen der Grundlosigkeit hinaus diese im Alltag verwirklicht finden: "Unser ganzes Leben verwandelt sich in eine Art Frage, einen Zweifel oder eine Ungewissheit."214
Nur ist immer daran zu denken, dass es dabei nicht um eine gedankliche Vorstellung geht, die irgendwie entstanden ist, sondern auf eine dahinterstehende lebendige Erfahrung zurückgeht.
Wenn wir diesem Zustand mit der nötigen Wachheit und Offenheit begegnen, können wir in Verbindung mit konkreten Kontexten, in denen wir infolge unseres Beziehungsnetzes ja immer drin stecken, und den Erfahrungen, die wir daraus gewinnen können, die nötige Urteilskraft zur Anleitung unseres Handelns entwickeln. Aus der Einsicht in die "natürliche Ordnung" der Dinge ergibt sich, welche Art von Handeln moralisch angemessen ist und welche nicht.215
Vgl. Sigmund Kvaloy 1993, 130.
Denn mit der Weisheit (Sanskrit "Prajna"), die uns die Verknüpftheit aller Dinge - wir selbst eingeschlossen -, das Aufeinander-Angewiesensein, nahelegt, entsteht auch das Mitgefühl (Sanskrit "Karuna") für die Mitwelt.216
Tatsächlich ist auch im Zen-Buddhismus die Vorstellung von Stufen anerkannt (siehe Fromm 1971, 76).
In diesem Sinne kann das In-Beziehung-treten zu mir selbst und zu den Dingen der Aussenwelt und die dabei in Wachheit gewonnene Erfahrung immer wieder als Anker dienen und auch dem wissenschaftlichen Tun, das dadurch nicht ersetzt werden soll, eine neue Basis geben.
6.2 Überbrückende Hinweise auf einige westliche Ansätze (S.106-113)
6.2.1 Zu Haben und Sein, zu Machen und Wirken, zum kleinen und zum grossen Selbst (S.107-111)
6.2.2 Zu Kind und Kunst (S.111-113)
Literatur (S. 113-120)