Eingedenk des Spruchs von Heraklit: "Der Krieg ist der Vater aller Dinge" unternahm schon vor mehr als 100 Jahren der englische Soziologe und Philosoph Herbert Spencer (1820-1903) erstmals eine sorgfältige Untersuchung der Rolle der Kriegsführung in der Entstehung staatlicher
Gesellschaften.161Siehe Carneiro 1967, 32-47, 63-96, 153-165.
Daraus ergab sich später die Eroberungs-Hypothese, wie sie etwa von Friedrich Ratzel (1844-1904) vertreten wurde. Nach ihm haben kriegerische Hirtennomaden friedliche Ackerbau-Völker überfallen und waren dann zur Aufrechterhaltung der Herrschaft über die Besiegten zum Aufbau eines Verwaltungsapparates gezwungen, mit Hilfe dessen auch Steuern eingezogen wurden. Ratzel schreibt:
In ähnlicher Form ist die Hypothese danach auch von Franz Oppenheimer wieder aufgegriffen
worden.163Siehe Franz Oppenheimer 1926.
Carneiro wiederum weist auf die Schwächen der Eroberungs-Hypothese hin: Erstens sind die Hochkulturen der Neuen Welt in einem Umfeld entstanden, in dem Hirtennomaden nicht existierten, und zweitens scheint es heute erwiesen zu sein, dass die Entstehung des Viehzucht-Nomadismus jüngeren Datums als die der ersten staatlichen Gesellschaften ist. Allerdings, so Carneiro, sei nicht abzustreiten, dass bei der Geburt eigentlich aller bekannter Staaten der Krieg die eine oder andere Rolle gespielt habe, allerdings nicht in der einfachen Weise der
Eroberungs-Hypothese.164Vgl. Carneiro 1973, 158-160.
Fried weist darauf hin, dass die Häufigkeit der Kriegsführung mit dem Grad der Komplexität der gesellschaftlichen Organisation
zunimmt.165Siehe Fried 1967, 214.
Kent V. Flannery dagegen meint, vorläufig lägen keine stichhaltigen Beweise vor, dass Krieg wirklich eine Ursache und nicht bloss eine Folge der Bildung von Staaten
sei.166Vgl. Kent V. Flannery 1972.
Eine Eroberungs-Hypothese neueren Datums wird von feministischer Seite vertreten, bei der es nicht direkt um eine Erklärung für die Entwicklung von Staaten geht, sondern um diejenige patriachaler
Herrschaftsstrukturen.167Mit Bezug auf die Archäologin Marija Gimbutas habe ich schon in 5.1.1 von "Soziales i.e.S." darauf hingewiesen.