Die Gesellschaft insgesamt baut sich also über verschiedene Ebenen aus sukzessive grösser werdenden gleichen und gleichberechtigten Teilen auf, was erklärt, wieso dieser Gesellschaftstyp auch "segmentär" genannt
wird.55Der Begriff "segmentäre Gesellschaft" geht auf den französischen Soziologen Emile Durkheim (1858-1917) zurück. Er veranschaulicht sie mit einer Metapher: "Nous disons de ces sociétés qu'elles sont formées par la répétition d'agrégats semblables entre eux, analogues aux anneaux de l'annelé [Ringelwurm]" (Durkheim 1902, 190, zitiert nach Sigrist 1967, 21).
Die verschiedenen Segmente sind alle strukturell und auch funktional äquivalent, sie bilden normalerweise auch wohnortsmässig und besitzmässig eine Einheit, und dies bedeutet im letzteren Falle auch, dass auf jeder Ebene die Territorien, die den sich zu einer höheren Einheit zusammenschliesenden Segmenten zur Ressourcennutzung dienen, einen geographischen Block bilden (vgl.
Abb.2).56Vgl. Sahlins 1968, 119, 126-127.
Zwar mag ein Segment andere durch seine Leistungen übertreffen, aber es gibt keine Segmente, die einen rechtsmässig höheren oder tieferen Status haben. Aus der Bedeutung der oben erwähnten konzentrischen Darstellung folgt i.a., dass je höher die Ebene (= je entfernter die Sphäre) ist, desto loser die Verbindungen zwischen den fraglichen Segmenten sind. In einem gewissen Sinne existieren die grösseren Einheiten bis hinauf zum ganzen Stamm nur in Kriegszeiten, indem dann der nötige Anreiz besteht, sich mit Hilfe von sukzessive erweiterten Allianzen temporär stärker zu verbinden und einander Hilfestellung zu
leisten.57Siehe Sahlins 1968, 21. Fried (1967, 154 ff.) ist deshalb der Meinung, das Wort "Stamm" sei ein diffuser und verwirrender Begriff und sollte eigentlich gar nicht gebraucht werden.
Tatsächlich stellt diese strikt segmentär-hierarchische Struktur eine erfolgreiche Organisation in Konflikten mit anderen Stämmen dar, besonders natürlich, wenn diese kein gleichartiges Bündnissystem kennen - gegenüber Häuptlingstümern und staatlich organisierten Gesellschaften ist sie allerdings
unwirksam.58Vgl. Sahlins 1968, 116-117.
Werfen wir im folgenden einen genaueren Blick auf dieses Prinzip, so wie es etwa bei den Tiv in Nigeria und den Nuer im Sudan funktioniert, die beide als klassische Beispiele für segmentär organisierte Stammesgesellschaften
gelten.59Die Tiv sind hauptsächlich aus Untersuchungen von Paul Bohannan 1954, die Nuer aus solchen von Evans-Pritchard 1940a bekannt. Eine ausführlichere Beschreibung der Verhältnisse bei den Tiv und den Nuer findet sich auch in Sigrist 1967, 67 ff. bzw. 82 ff.