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Politisches

Politisches

1. Begriffliches
1.1 Zum Begriff des Politischen
Nach dem Historiker Christian Meier meint der Begriff des Politischen
ein Beziehungs- und Spannungsfeld, nämlich das Feld oder das Element, in dem in und zwischen politischen Einheiten (und Untereinheiten) eine Ordnung des Zusammenlebens geschaffen und praktiziert, Entscheidungen über gemeinsam interessierende Fragen getroffen und Positionen umkämpft werden, von denen her diese Entscheidungen zu beeinflussen sind.1
Christian Meier 1980, 16-17.
Das Adjektiv "politisch" entstand im antiken Griechenland als ein Wort, das das der typischen Polis (Stadtstaat) Eigene beschrieb. Dazu wieder Meier:
Die Polis war für sie [die Griechen] der einzige wichtige Zusammenhang oberhalb des Hauses. ... So sahen die Griechen den Gegensatz zu politisch in privat, selbstbezogen, eigennützig. Politisch war ihnen gleichbedeutend mit allgemein ..., es zielte auf die Sache aller.2
Meier 1980, 27.
Dabei wäre noch zu beachten, dass die Griechen das Wort in ausgesprochenem Masse mit der demokratisch verfassten Polis verbanden, so dass es geradezu den Gegensatz zu Formen von despotischer Herrschaft meinte. So wie später das Wort in der Neuzeit gebraucht wird, bezieht es sich dann aber auf jegliche Art von Staat, der also verschieden - auch undemokratisch - verfasst sein kann und zudem nicht mehr das Ganze schlechthin darstellt, sondern lediglich ein Ganzes unter anderen (wie z.B. der Zivilgesellschaft, der Wirtschaft, der Kirche). Damit hängt auch zusammen, dass mindestens seit den Arbeiten des italienischen Politikers und Staatstheoretikers Niccoló Machiavelli (1469-1527) die Vorstellung von politischem Handeln nicht mehr mit ausschliesslich positiven wie bei den alten Griechen, sondern mehr und mehr auch mit negativen Vorzeichen verbunden ist.3
Vgl. Meier 1980, 27-28.
"So wurde politisch mit verschlagen, listig, anschlägig, falsch gleichgesetzt."4
Meier 1980, 29.
Auf alle Fälle aber bezieht sich der moderne Gebrauch des Wortes "politisch" üblicherweise auf Phänomene, die mit dem Staat zu tun haben. So heisst es auch bei Roger Scruton:
political. A term that is used in ... the distinction between the political and the social, in which 'political' means, roughly, pertaining to the state and its institutions ...5
Roger Scruton 1983, 359.
Für unsere kulturgeschichtlich orientierte Betrachtung ist diese Definition aber zu einengend, denn sie müsste ja bedeuten, dass es in vorstaatlichen Gesellschaftsformen keine politischen Phänomene gegeben hat. Das ist natürlich nicht der Fall, sofern wir unter "politisch" auf die Allgemeinheit bezogene Fragen von Entscheidungsfindung, Macht, Kontrolle, Ordnung, Konfliktlösung und dgl. verstehen wollen, die ja auch bei der Absenz staatlicher Organe auftreten. Deshalb ist die eingangs genannte, weiter gefasste Definition von Meier zutreffender. In ähnlichem Sinne äussert sich auch der Anthropologe Morton H. Fried:
Political organization comprises those portions of social organization that specifically relate to the individuals or groups that manage the affairs of public policy or seek to control the appointment or action of those individuals or groups.6
Morton H. Fried 1967, 20-21.
Diese Beschreibung suggeriert, dass das Politische sich auf Handeln in einem öffentlichen Bereich bezieht, so wie es, wie wir gesehen haben, speziell auch von den Griechen der Antike zu Zeiten der Polis aufgefasst wurde. In 1.1 von "Soziales i.e.S." haben wir festgestellt, dass Jürg Helbling sich gegen eine derartige Aufteilung wendet, da damit die häusliche Sphäre einer politischen Analyse entzogen werde und insbesondere Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern oder auch zwischen Generationen nicht in den Blick genommen werden könnten. Entsprechend setzt er sich dafür ein, alle jene Phänomene als politisch zu betrachten, bei denen Macht eine Rolle spielt.7
Siehe Jürg Helbling 1987, 37.
Für uns ist dies der Anlass, im folgenden Abschnitt zu untersuchen, was unter dem Begriff der Macht eigentlich zu verstehen ist.
1.2 Zum Begriff der Macht
2. Von der archaischen zur politischen Gesellschaft
2.1 Stufen der Transformation von egalitären zu herrschaftlichen Gesellschaften
2.2 Politische Aspekte von archaischen lokalen Gruppen
2.3 Politische Aspekte von Stammesgesellschaften
2.4 Politische Aspekte von Häuptlingstümern
2.5 Ausblick auf politische Aspekte von stratifizierten und staatlichen Gesellschaften
3. Fallbeispiele für die Entwicklungsstufen
3.1 Die !Kung San als Beispiel für archaische lokale Gruppen
3.2 Die Tsembaga als Beispiel für eine Stammesgesellschaft
3.3 Die Irokesen als Beispiel für ein matrizentrisches Häuptlingstum
3.4 Die Hawaiianer als Beispiel einer stratifizierten Gesellschaft
4. Hypothesen zur Entstehung politischer Gesellschaften
4.1 Endogene Hypothesen
4.1.1 Die Überschuss-Hypothese von Gordon V. Childe
4.1.2 Die Redistributions-Hypothese von Elman R. Service
4.1.3 Die hydraulische Hypothese von Karl A. Wittfogel
4.1.4 Die Privateigentums-Hypothese von Friedrich Engels
4.2 Exogene Hypothesen
4.2.1 Die Begrenzungs-Hypothese von Robert L. Carneiro
4.2.2 Die Eroberungs-Hypothese von Herbert Spencer, Friedrich Ratzel u.a.
4.2.3 Die Notzeiten-Hypothese von Max Weber
5. Freiheit und Liberalismus
5.1 Freiheit als Willkür versus Freiheit in Verantwortung
5.2 Negative versus positive Freiheit
5.3 Die "Tragödie des Liberalismus"
6. Demokratie und Ökologie
6.1 Staatsversagen
6.2 Politischer Kommunitarismus
6.3 Ökologischer Kommunitarismus
6.3.1 Spirituelle Entwicklung der Individuen
6.3.2 Politische Dezentralisierung und Selbstbestimmung
6.3.3 Bioregionale Organisation
7. Zur ökologischen Gesellschaftsutopie
7.1 Allgemeines
7.2 "bolo'bolo": Ein konkreter Entwurf
Zitierte Literatur