www.humanecology.ch · Skripten 1998/99 · Politisches

4.1.3 Die hydraulische Hypothese von Karl A. Wittfogel

Die ersten eigentlichen Staaten sind in den Flusstälern von Trockengebieten entstanden (Euphrat und Tigris, Nil etc.) Durch die Bevölkerungsballung ergab sich die Notwendigkeit für eine Intensivierung der Landwirtschaft, die mittels Bewässerung erreicht werden konnte. Nach der hydraulischen Hypothese von Karl A. Wittfogel152 konnten die uns aus der fraglichen Zeit bekannten grossen Bewässerungsanlagen nur entstehen, indem sich eine zentrale Behörde bildete, die für Organisation, Konstruktion und Verwaltung der Anlagen sorgte. Es entstand so eine bürokratische Elite, die über fast unbegrenzte Macht verfügte, ein staatliches Gebilde, das Wittfogel als "orientalische Despotie" bezeichnet. Nach ihm gab es solche Despotien auch im alten China und im vorkolumbischen Amerika. Diese Theorie darf heute als widerlegt gelten. Robert L. Carneiro als einer der Kritiker der Wittfogelschen Hypothese, erwähnt archäologische, z.B. von Robert M. Adams und Jacques Gernet präsentierte Indizien, wonach die Bewässerungsanlagen im Mittleren Osten und wahrscheinlich auch anderswo erst nach der Staatsgründung entstanden sind.153 Umgekehrt sind aus Mesoamerika Situationen bekannt, in denen Bewässerung im dörflichen Stil vorkam, ohne dass damit nennenswerte politische Strukturen verbunden gewesen wären.154 Bewässerung in grossem Stil muss eher als Folge denn als Ursache der Entstehung von Staaten betrachtet werden.

Anmerkungen

152
Siehe Karl A. Wittfogel 1962; vgl. auch Fried 1967, 208 ff. und Dürrenberger 1989, 118-119.
153
Siehe Carneiro 1973, 156-157; Robert M. Adams in C.H. Krealing und Adams 1960, 281; Jacques Gernet 1968, 92.
154
Nach Dürrenberger 1989, 119.