www.humanecology.ch · Skripten 1998/99 · Politisches

4.1.1 Die Überschuss-Hypothese von Gordon V. Childe

Die klassische Theorie, die die Entstehung politischer Gesellschaften aus der Erfindung des Landbaus ableitet, ist die Überschuss-Hypothese des englischen Archäologen Gordon V. Childe.148 Aus der landwirtschaftlichen Nutzung der Umwelt ergaben sich Überschüsse (ein sog. "Surplus") an Nahrungsmitteln. Dadurch wurde eine gesellschaftliche Arbeitsteilung möglich, d.h. ein Teil der Bevölkerung konnte sich von der Nahrungsmittelproduktion wegwenden und sich andern, insbesondere handwerklichen Tätigkeiten widmen. Damit entstanden auch verschiedene, z.T. konfligierende politische Interessen, und infolge eines unterschiedlichen Vermögens, sich Teile des Surplus anzueignen, entstanden verschiedene Klassen, von denen dann eine die Herrschaftsfunktion übernahm. Die zunehmende Arbeitsteilung ihrerseits verlangte dann rückwirkend nach einer wachsenden Überschuss-Produktion. Childe sieht diesen wechselwirkenden Mechanismus als eine eigentliche Voraussetzung für die Möglichkeit der sog. urbanen Revolution, also der Entstehung von Städten und Stadtstaaten. Der Hauptmangel dieser Theorie ist wohl der, dass Landwirtschaft nicht automatisch zu Überschüssen führen muss. Solange noch die Mentalität der archaischen Gesellschaften vorhanden war, wurde auch nach dem Übergang zum Landbau normalerweise nur gerade so viel angebaut, wie zum Leben nötig war.149 Auch ist nicht unbedingt einsichtig, dass aus Arbeitsteilung Interessensgegensätze und daraus weiter politische Herrschaft entstehen müssen.

Anmerkungen

148
Siehe Gordon V. Childe 1965, v.a. 108-109 udn 131-133; vgl. auch mit der Zusammmenfassung in Gregor Dürrenberger 1989, 119.
149
Siehe die Kritik bei Robert L. Carneiro 1973, 155-156.