www.humanecology.ch · Skripten 1998/99 · Politisches

2.1 Stufen der Transformation von egalitären zu herrschaftlichen Gesellschaften

Der historische Verlauf der Entwicklung von archaischen zu politischen Gesellschaften liegt weitgehend im Dunkel - die ersten schriftlichen Dokumente stammen aus einer Zeit, in der sich bereits staatlich organisierte Gesellschaften als sog. Hochkulturen gebildet hatten. Aus der Kombination von archäologischen Befunden und ethnologischen Vergleichen mit bis in die Neuzeit existierenden Gesellschaftstypen wird versucht, einen Entwicklungsgang zu rekonstruieren. Dabei werden von verschiedenen Autoren etwas verschiedene Stufenfolgen und unterschiedliche Begriffe verwendet. Einigkeit besteht darüber, dass, politisch gesprochen, eine allgemeine Transformation von egalitären Gesellschaften mit symmetrischen Machtverhältnissen in herrschaftliche Gesellschaften mit asymmetrischen Machtverhältnissen stattgefunden hat. Anders ausgedrückt, hat sich nach dem, was wir nun schon aus 1.2 wissen, stufenweise der Machttyp des Einflusses über den der Autorität in den der Herrschaft verwandelt. Tab. 1 vergleicht einige der bei gängigen Entwicklungsmodellen genannten Stufen miteinander und fügt eine ergänzende Charakterisierung an.
Tabelle 1: Vergleichende Übersicht über einige Modelle der Entwicklung von egalitären zu herrschaftlichen Gesellschaften (G. = Gesellschaften, s. = societies)
Autor
Stufe 1
Stufe 2
Stufe 3
Stufe 4
Service 1971
Horden ("bands")
Stämme ("tribes")
Häuptlinstümer ("chiefdoms")
Staaten ("states")
Fried 1967
Egalitäre G.
("egalitarien s.")
Rang-G. ("rank societies")
a) Geschichtete G. ("statified s.");
b) Staaten ("states")
Sahlins 1968
Wildbeuter ("hunters and gatherers")
Stämme I:
segmentäre ("tribesmen I: segmentary tribes")
Stämme II:
Häuptlingstümer
("tribesmen II: chiefdoms")
Staaten ("states")
Sigrist 1967
Akephale G. I:
Wildbeuter
Akephale G. II:
Segmentäre G.
Kephale G. mit Zentralinstanz
Eder 1980
Archaische G.
Egalitäre Abstammungs-
systeme
Hierarchische Abstammungs-
systeme
Politisch organisierte Klassen-G.
Politischer Aspekt der Macht
Einfluss
Autorität
Autorität bis Herrschaft
Herrschaft
Ökonomische Basis
Sammeln und Jagen
Einfache Landwirtschaft (Gartenbau) und/oder Viehzucht
Intensive Landwirtschaft und Handwerk
Siedlungsweise
Temporäre Lager
Permanente Dörfer
Städte
Die betrachteten Entwicklungsmodelle lassen sich über 4 Stufen einigermassen parallelisieren. Die verschiedenen Autoren stellen in ihrer Gliederung verschiedene Aspekte in den Vordergrund. Christian Sigrists Hauptkriterium der Unterscheidung von Gesellschaftsstufen z.B. ist das Fehlen bzw. die Anwesenheit von Zentralinstanzen. Fried seinerseits richtet sein Augenmerk auf die Frage, ob alle oder nicht alle Mitglieder der Gesellschaft Zugang zu Prestigepositionen und Ressourcen haben. Er fällt mit seiner Gliederung etwas aus dem üblichen Schema heraus, indem er die Stufen 2 und 3 zu einer Stufe zusammenfasst, die er "Ranggesellschaften" nennt. Dafür unterscheidet er beim Übergang zu den staatlich organisierten Gesellschaften noch eine Vorstufe der "geschichteten" oder "stratifizierten Gesellschaft". Im folgenden verwenden wir die Bezeichnungen von Service, ergänzt durch die Kategorie der eben genannten stratifzierten Gesellschaft nach Fried, und versuchen, gestützt auf verschiedene Quellen, die gesellschaftlichen Stufen durch einige allgemeine Charakteristika mit politischer Bedeutung zu beschreiben. Danach werden wir jede Stufe mit einem ausgewählten empirischen Beispiel weiter illustrieren.