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Soziales i.e.S.

Soziales

Vorbemerkung
1. Begriffliches
1.1 Was heisst Soziales i.e.S.?
1.2 Begriffsvokabular der Residenz- und Deszendenzregeln
In der ethnologischen Literatur gibt es eine weitgehende Übereinstimmung darüber, dass “primitive” Gesellschaften Verwandtschaftsgesellschaften (“kinship societies”) sind, in denen innerhalb und zwischen lokalen Gruppen Blutsverwandtschafts- und Heiratsbeziehungen bestehen.9
Für eine allgemeine Übersicht über die Verwandtschaftsethnologie siehe Thomas Helmig 1993.
Dabei spielen Residenzregeln, die sich auf den Wohnort eines Paares unmittelbar nach der Heirat beziehen, und Deszendenzregeln (auch Filiationsregeln genannt), die darüber entscheiden, welche Abstammungslinien als massgeblich und welche Personen deshalb als miteinander verwandt betrachtet werden, eine Rolle. Dabei sollte aber, wie Helbling betont, immer klar zwischen zwei Perspektiven unterschieden werden, einer internen indigenen und einer externen analytischen. Die erstere orientiert sich an kulturellen (ideologischen) Kategorien und Normen, während die letztere das tatsächliche Verhalten in der Praxis, das durchaus vom theoretisch wünschbaren abweichen kann, festzustellen versucht.10
Siehe dazu Helbling 1987, 27 f. und 30 f.
Zwischen diesen Gesichtspunkten gibt es häufig Unstimmigkeiten - die ganze Kontroverse um die sog. Hordentheorie, die wir in 4.1 und 4.2 aufgreifen werden, kann auf solche zurückgefürt werden. Im folgenden versuchen wir, die bezüglich der Residenz- und Deszendenzregeln gängigen Begriffe in tabellarischer (siehe Tab. 1 und 2) und figürlicher Form (siehe Abb.1 bis 10) zu erklären.
11
Nach Robin Fox (1973, 85) sind die Begriffe ambi-, nato- und neolokale Residenz nicht allgemein anerkannt.
Tabelle 1: Begriffsvokabular der Residenzregeln (nach Grohs-Paul und Paul 1981 ,147-148, 91, 108, 26 und Fox 1973, 85)
Unilokale Residenz
Matrilokale oder patrilokale Residenz
Matrilokale Residenz, auch uxorilokale Residenz
Matrilokale Residenz, auch uxorilokale Residenz Das Übersiedeln des Mannes nach der Heirat in den Haushalt der Mutter seiner Frau (vgl. Abb.1)
Patrilokale Residenz, auch virilokale Residenz
Das Übersiedeln der Frau nach der Heirat in den Haushalt des Vaters ihres Mannes (vgl. Abb.2)
Bilokale Residenz
Regel, die einem Ehepaar erlaubt, zeitweise mit den Eltern des Mannes und zeitweise mit den Eltern der Frau zu wohnen
Ambilokale Residenz
Ein Ehepaar kann entweder in den Haushalt der Eltern der Frau oder aber in den Haushalt der Eltern des Mannes übersiedeln (vgl. Abb.3)
Natolokale Residenz
Mann und Frau verbleiben auch nach der Heirat in ihrem Geburtshaushalt; die Ehe hat dann die Form einer Besuchsehe (vgl. Abb.4)
Neolokale Residenz
Ein Paar sucht sich nach der Heirat einen von den beidseitigen elterlichen Haushalten unabhängigen neuen Wohnstandort (vgl. Abb.5)
Tabelle 2: Begriffsvokabular der Deszendenzregeln (nach Grohs-Paul und Paul 1981, 147, 78, 91, 108, 37, 25 und 11)
Unilineare Deszendenz
Matrilineare oder patrilineare Deszendenz
Kognatische Deszendenz
Nicht-lineare, bilaterale oder ambilineare Deszendenz
Matrilineare Deszendenz
Abstammungsrechnung in mütterlicher Linie, mit Rechten und Pflichten bezüglich Erbfolge (Besitz, Rang), Heiratswohnfolge, Familienbildung, Namensgebung u.a. (vgl. Abb.6)
Patrilineare Deszendenz
Abstammungsrechnung in väterlicher Linie, mit entsprechenden Rechten und Pflichten (vgl. Abb.7)
Bilineare Deszendenz, auch doppelte Deszendenz
Abstammungsregel, die einem Individuum gleichzeitig matrilineare und patrilineare Verwandtschaftsrechnung gestattet. Es ist verwandt durch die männliche Linie (agnatische Verwandte) mit Blutsverwandten, die von einem gemeinsamen Ahnen abstammen, und durch die weibliche Linie (uterine Verwandte) mit Blutsverwandten, die von einer gemeinsamen Ahnin abstammen (vgl. Abb.8)
Bilaterale Deszendenz
Die verbreitetste Form der kognatischen Deszendenz. Erlaubt einer Person, die Abstammungsrechnung durch die väterlichen und mütterlichen Linien beider Elternteile, also sowohl durch Vater und Mutter mütterlicherseits als auch durch Vater und Mutter väterlicherseits. Die für bilaterale Deszendenz typische Verwandtschaftsgruppe heisst Kindred (vgl. Abb.9)
Ambilineare Deszendenz
Eine zweite Form der kognatischen Deszendenz. Erlaubt eine Abstammungsrechnung ungeachtet des Geschlechts durch männliche als auch durch weibliche Vorfahren, jedoch nicht gleichberechtigt in alle Richtungen wie bei der bilateralen Deszendenz, sondern nur einer Richtung folgend. Die für ambilineare Deszendenz typische Verwandtschaftsgruppe wird Ramage genannt (vgl. Abb.10)
Abbildung 1 (links): Matrilokale Residenz. Kreis = weibliches Individuum, Dreieck = männliches Individuum. Die Gleichheitszeichen stehen für Ehebeziehungen. Der fette Rahmen zeigt die Abgrenzung der lokalen Gruppe (nach Fox 1973, 82)  / Abbildung 2 (rechts): Patrilokale Residenz. Kreis = weibliches Individuum, Dreieck = männliches Individuum. Die Gleichheitszeichen stehen für Ehebeziehungen. Der fette Rahmen zeigt die Abgrenzung der lokalen Gruppe (nach Fox 1973, 81)
Abbildung 1 (links): Matrilokale Residenz. Kreis = weibliches Individuum, Dreieck = männliches Individuum. Die Gleichheitszeichen stehen für Ehebeziehungen. Der fette Rahmen zeigt die Abgrenzung der lokalen Gruppe (nach Fox 1973, 82)
Abbildung 2 (rechts): Patrilokale Residenz. Kreis = weibliches Individuum, Dreieck = männliches Individuum. Die Gleichheitszeichen stehen für Ehebeziehungen. Der fette Rahmen zeigt die Abgrenzung der lokalen Gruppe (nach Fox 1973, 81)
Abbildung 3 (links): Ambilokale Residenz. Kreis = weibliches Individuum, Dreieck = männliches Individuum. Die Gleichheitszeichen stehen für Ehebeziehungen. Der fette Rahmen zeigt die Abgrenzung der lokalen Gruppe (nach Fox 1973, 83) / Abbildung 4 (rechts): Natolokale Residenz. Kreis = weibliches Individuum, Dreieck = männliches Individuum. Die Gleichheitszeichen stehen für Ehebeziehungen. Der fette Rahmen zeigt die Abgrenzung der lokalen Gruppe (nach Fox 1973, 78)
Abbildung 3 (links): Ambilokale Residenz. Kreis = weibliches Individuum, Dreieck = männliches Individuum. Die Gleichheitszeichen stehen für Ehebeziehungen. Der fette Rahmen zeigt die Abgrenzung der lokalen Gruppe (nach Fox 1973, 83)
Abbildung 4 (rechts): Natolokale Residenz. Kreis = weibliches Individuum, Dreieck = männliches Individuum. Die Gleichheitszeichen stehen für Ehebeziehungen. Der fette Rahmen zeigt die Abgrenzung der lokalen Gruppe (nach Fox 1973, 78)
Abbildung 5: Neolokale Residenz. Kreis = weibliches Individuum, Dreieck = männliches Individuum. Das Gleichheitszeichen steht für die Ehebeziehung. Der fette Rahmen zeigt die Abgrenzung der lokalen Gruppe (nach Fox 1973, 78
Abbildung 5: Neolokale Residenz. Kreis = weibliches Individuum, Dreieck = männliches Individuum. Das Gleichheitszeichen steht für die Ehebeziehung. Der fette Rahmen zeigt die Abgrenzung der lokalen Gruppe (nach Fox 1973, 78
Abbildung 6: Matrilineare Deszendenz. Kreis = weibliches Individuum, Dreieck = männliches Individuum. Die Gleichheitszeichen zeigen die Ehebeziehung der Eltern und Grosseltern von Ego an. Die schattierten Symbole bezeichnen matrilineare Verwandte (aus Grohs-Paul und Paul 1981, 91)
Abbildung 6: Matrilineare Deszendenz. Kreis = weibliches Individuum, Dreieck = männliches Individuum. Die Gleichheitszeichen zeigen die Ehebeziehung der Eltern und Grosseltern von Ego an. Die schattierten Symbole bezeichnen matrilineare Verwandte (aus Grohs-Paul und Paul 1981, 91)
Abbildung 7: Patrilineare Deszendenz. Kreis = weibliches Individuum, Dreieck = männliches Individuum. Die Gleichheitszeichen zeigen die Ehebeziehung der Eltern und Grosseltern von Ego an. Die schattierten Symbole bezeichnen patrilineare Verwandte (aus Grohs-Paul und Paul 1981, 107)
Abbildung 7: Patrilineare Deszendenz. Kreis = weibliches Individuum, Dreieck = männliches Individuum. Die Gleichheitszeichen zeigen die Ehebeziehung der Eltern und Grosseltern von Ego an. Die schattierten Symbole bezeichnen patrilineare Verwandte (aus Grohs-Paul und Paul 1981, 107)
Abbildung 8: Bilineare Deszendenz. Kreis = weibliches Individuum, Dreieck = männliches Individuum.  Die Gleichheitszeichen zeigen die Ehebeziehung der Eltern und Grosseltern von Ego an. Die schattierten Symbole bezeichnen bilineare Verwandte
Abbildung 8: Bilineare Deszendenz. Kreis = weibliches Individuum, Dreieck = männliches Individuum. Die Gleichheitszeichen zeigen die Ehebeziehung der Eltern und Grosseltern von Ego an. Die schattierten Symbole bezeichnen bilineare Verwandte
Abbildung 9: Bilaterale Deszendenz. Kreis = weibliches Individuum, Dreieck = männliches Individuum. Die Gleichheitszeichen zeigen die Ehebeziehung der Eltern und Grosseltern von Ego an (aus Grohs-Paul und Paul 1981, 24)
Abbildung 9: Bilaterale Deszendenz. Kreis = weibliches Individuum, Dreieck = männliches Individuum. Die Gleichheitszeichen zeigen die Ehebeziehung der Eltern und Grosseltern von Ego an (aus Grohs-Paul und Paul 1981, 24)
Abbildung 10: Ambilineare Deszendenz. Kreis = weibliches Individuum, Dreieck = männliches Individuum. Die Gleichheitszeichen zeigen die Ehebeziehung der Eltern und Grosseltern von Ego an.  (aus Grohs-Paul und Paul 1981, 11)
Abbildung 10: Ambilineare Deszendenz. Kreis = weibliches Individuum, Dreieck = männliches Individuum. Die Gleichheitszeichen zeigen die Ehebeziehung der Eltern und Grosseltern von Ego an. (aus Grohs-Paul und Paul 1981, 11)
2. Soziale Systeme bei Tier-Primaten
2.1 Paviane
2.2 Orang-Utans
2.3 Gorillas
2.4 Schimpansen
2.5 Bonobos
3. Überlegungen zur sozialen Evolution der Hominiden
3.1 Von der Jagd- über die Sammel- zur Nahrungsteilungshypothese
3.2 Die Hypothese des “Sex-Vertrags“ von Helen E. Fisher
3.3 Das “Stammbaum-Modell” von Robert Foley
4. Die soziale Organisation archaischer und matrizentrischer Gesellschaften
4.1 Die archaische Gesellschaft: Patrilokale/patrilineare Horden ...
4.2 ... oder egalitäre Gemeinschaften?
4.3 Beispiel einer archaischen Gesellschaft: Die !Kung San (Buschleute)
4.3.1 Leben in lokalen Gruppen
4.3.2 Verwandtschaftssysteme
4.3.3 Heirat und Sexualität
4.4 Merkmale matrizentrischer Gesellschaften
4.4.1 Begriffliches
4.4.2 Geschichtliches
4.4.3 Zur Sozialordnung
4.5 Beispiel einer matrizentrischen Gesellschaft: Die Irokesen
4.5.1 Geschichtliches
4.5.2 Die matrilineare Grossfamilie
4.5.3 Der matrilineare Clan
5. Das Soziale in patriarchalen Gesellschaften
5.1 Der Vorgang der Patriarchalisierung
5.1.1 Hypothesen über die Ursachen
5.1.2 Der Vorgang der Patriarchalisierung in vorderasiatischen Gesellschaften
5.1.3 Beispiel einer neuzeitlichen Übergangsgesellschaft: Die Trobriand-Insulaner
5.2 Patriarchale Strukturen in der Antike: Das Beispiel Rom
5.2.1 Geschichtliches
5.2.2 Die patriarchale Familie
5.2.3 Höhepunkt der Sklaverei
Zitierte Literatur
Zusätzliche Literaturangaben (besonders zu Mittelalter und Neuzeit)