In Kapitel 4 von “Kulturelle Evolution” haben wir - immer unter abendländischer Perspektive - die gesellschaftliche Entwicklung skizziert und dabei auf einer ersten Stufe von den archaischen Gesellschaften gesprochen, die im Paläolithikum lebten und deren Subsistenz auf Wildbeutertum (Jagen und Sammeln) beruhte. In Abschnitt 4.2 haben wir sodann auf die sich mehrenden Anzeichen hingewiesen, wonach nach der neolithischen Revolution mit den Neuerungen des Sesshaftwerdens, des Ackerbaus (oder Gartenbaus zunächst) und der Viehzucht ein Gesellschaftstyp entstand, den wir als matrizentrisch bezeichnet haben, weil offenbar das lebengebende weibliche Prinzip im Zentrum des Denkens stand. In der ethnologischen Forschung ist die soziale Ordnung der in der Neuzeit noch existierenden Wildbeutergesellschaften traditionellerweise als vorherrschend patrilinear und patrilokal betrachtet worden, und diese Vorstellung ist analog auch auf die archaischen Gesellschaften der Vergangenheit angewandt worden. Dieses Bild schliesst lückenlos am Trend zu solchen Organisationsformen an, den Foley in der menschlichen Stammesgeschichte diagnostizieren zu können glaubt (vgl. 3.3). Oder umgekehrt gesagt hat sich Foley wohl durch die orthodoxe ethnologische Ansicht dazu verleiten lassen, diese Geschichte auf eine solche Organisation hin sich entfalten zu lassen. In einem ersten Abschnitt wollen wir diese herkömmliche Auffassung, die die archaischen Gesellschaften als aus männlich dominierten Horden aufgebaute Gebilde sah, etwas näher unter die Lupe nehmen. In der neueren ethnologischen Forschung ist diese Vorstellung aber weitgehend als eine auf Vorurteilen aufbauende Fehlinterpretation entlarvt worden. Es gibt einen gewissen Konsens heute, dass von einer männlichen Dominanz bei den archaischen Gesellschaften nicht die Rede sein kann, sondern dass sie sich hinsichtlich des Geschlechterverhältnisses als ausgesprochen egalitär auszeichnen. Entsprechend wenden wir uns der neueren Sichtweise in einem zweiten Abschnitt zu. Danach werfen wir einen Blick auf ein Fallbeispiel: Die !Kung San (Buschleute) in Botswana.
Die Vorstellung, dass es in früheren Phasen der kulturellen Evolution matrizentrische Gesellschaften gegeben hat, geht zwar schon auf das vorige Jahrhundert zurück, ist dann aber bis in neuere Zeit wieder völlig in der Versenkung verschwunden. In den letzten Jahrzehnten aber hat die feministische Forschung sukzessive Material bereitgestellt, das die frühere Existenz eines solchen Gesellschaftstyps immer plausibler erscheinen lässt. Insbesondere sind verschiedenenorts Gesellschaften entdeckt oder wiederentdeckt worden, bei denen bis heute matrizentrische Strukturen noch vollumfänglich oder mindestens in Resten die soziale Organisation noch geprägt haben. In einem vierten Abschnitt werden wir somit einige Grundprinzipien matrizentrischer Gesellschaften beschreiben und dann auch hier in einem fünften Abschnitt ein Beispiel besprechen, und zwar das der Irokesen.