www.humanecology.ch · Skripten 1998/99 · Weltbilder

Einführung

Mit dem Thema des Bewusstseins (siehe den zugehörigen Text) haben wir im Bereich der Superstruktur oder der Kulture (vgl. die drei Ebenen, die eine menschliche Gesellschaftw charakterisieren in Abbildung 1, "Kulturelle Evolution") die individuelle Ebene im Sinne der psychischen Existenz der Menschen angesprochen. Wir haben drei Ebenen des menschlichen Bewusstseins unterschieden und die damit verknüpften psychischen Funktionen, insbesondere auch die Potentiale hinsichtlich ihrer Beziehung zur Welt, zur Mitwelt und zur Umwelt, betrachtet. Ferner haben wir dieses analytische Gerüst dazu benützt, um die Bewusstseinsentwicklung sowohl im kulturhistorischen wie auch im ontogenetischen Sinne durch die Bewusstseinsebenen betreffende Schwerpunktsverschiebungen zu beschreiben.
Im vorliegenden Text werden wir uns nun mit kollektiven Aspekten der Kulturen beschäftigen und zwar einerseits mit überindividuellen Bewusstseinsinhalten, die wir als Weltbilder bezeichnen, und andererseits mit sozialen Systemen, deren Aufgabe es ist, die Welt zu deuten - wir könnten sie also Deutungssysteme nennen. Explizit sind damit Religion, Philosophie und Wissenschaft angesprochen. Wenn wir soziale Systeme betrachten, haben wir es definitionsgemäss mit einem kollektiven Phänomen zu tun. Weniger offensichtlich ist es, dass auch den Weltbildern - neben natürlich immer vorhandenen individuellen Variationen - eine kollektive Bedeutung zukommt. Erinnern wir uns aber an folgendes: Unser Tiefenbewusstsein als ursprünglichste Orientierungsquelle ist sowieso überindividueller Natur. Auf der Ebene des praktischen Bewusstseins können sich, obschon dieses prinzipiell mit dem je Besonderen in Kontakt kommt, durch dauerhaftes Zusammenleben in einer Gemeinschaft unausgesprochene, implizite kulturelle Regeln entwickeln. Und unter Beteiligung des diskursiven Bewusstseins und über expliziten kommunikativen Austausch können solche Regeln einen formulierbaren Ausdruck annehmen. Wir können uns vorstellen, dass das Giddens'sche Modell der Strukturation auch auf kulturelle Regeln anwendbar ist. Dabei geht es dann nicht mehr um eine Dualität von Struktur und Handeln i.e.S., sondern um eine solche von Struktur und Denken, wobei das letztere in einem weiteren Sinne, d.h. auch gefühls- und wahrnehmungsbezogene Komponenten einschliessend, zu verstehen wäre.