www.humanecology.ch · Skripten 1998/99 · Weltbilder

3.7 Die ökologische Vernunft kann nicht etwas Beliebiges sein

Zusammenfassend: In einem neuen relational-evolutionären Weltbild muss mit der Überwindung des Dualismus von Oben vs. Unten (Geist vs. Materie) auch die des Gegensatzes von Innen vs. Aussen (Mensch vs. Natur) gelingen. Das neue Denken, so sagt Zimmerli, setzt "Natur als die die subjektive und objektive Sphäre umgreifende Einheit voraus."162 Bei Hösle gibt es die Vorstellung einer objektiven Vernunft, die sich uns mitteilt, wenn wir auf sie hören wollen. Sie geht davon aus, "dass das Denken ... an etwas Absolutem, nicht von ihm Gesetzten, sondern es Setzendem teil hat."163 Er betont dabei, dass diese Vernunft nicht sinnlich wahrgenommen werden könne, dass sie auch nicht Gegenstand der Introspektion oder Interpretation, sondern Gegenstand des Denkens sei.164 Ähnliche Vorstellungen finden sich bei Rudolf Steiner, von Friedrich Hiebel so beschrieben: "Es gibt reine Gedanken, die in sich selbst bestehen und bei denen alles ausgeschaltet ist, was Wahrnehmung der Sinne oder sonstig leiblich-bedingtes Innenleben ist."165 Was dies genau bedeuten soll, wenn wir doch auf der anderen Seite der Auffassung anhängen, dass echte Vernunft, d.h. Vernunft, die über den bloss kopfbezogenen Verstand hinausgeht, durch ein integratives Mitwirken aller Bewusstseinsebenen zustande komme, wäre weiter zu untersuchen. Wichtig ist aber auf alle Fälle die Überzeugung, dass wir über eine innere Orientierungsquelle verfügen und dass das, was wir von ihr erfahren können, keinen beliebigen Charakter hat. Wenn heute "vom Ende der grossen Entwürfe" die Rede ist, so ist damit in erster Linie das Ende des mechanistischen Zeitalters mit seinem Anspruch "auf objektive Erkenntnis, auf orts- und zeitübergreifende rationale Erklärungen, auf die Steuer- und Planbarkeit von technischen und sozialen Prozessen" gemeint.166 Es heisst nicht, dass jetzt eine Epoche des Durcheinanders der verschiedensten "kleinen Entwürfe" anbrechen muss oder darf. Im Gegenteil, der mit der Existenz einer ökologischen Krise verbundene Handlungsbedarf verlangt von uns eine Konsensfähigkeit. Personen, Gruppen oder Kulturen, die sich am neuen Weltbild ausrichten, können nach Naess, gerade hinsichtlich der Umweltprobleme, eine gemeinsame Plattform finden, die sogar umso stärker ist, je verschiedener die ursprünglichen Ausgangspunkte sind.167 Wesentlich dabei ist, dass wir nicht nur dem Verstand, sondern auch Intuitionen und Gefühlen Raum geben, denn auch derart gestützte Ansichten sind, so Naess, ein integraler Bestandteil der objektiven Realität, und nur ihre Berücksichtigung kann uns zu verantwortungsvoll Handelnden machen.168 Wenn wir fähig sind, Beziehungen zur Umwelt zu einem Teil von uns selbst zu machen - ein Prozess, den Naess "Identifikation" nennt (vgl. 6.1.5 in "Bewusstsein")169 -, können wir in dem, was wir wahrnehmen, in einem gewissen Sinne so leben, wie wir in unserem Körper leben. Bei Polanyi finden wir dazu die Verbindung zur Ich-und-Du-Philosophie von Martin Buber (vgl. 3.2 in "Bewusstsein"):
... such indwelling is not merely formal; it causes us to participate feelingly in that which we understand. ... These feelings of comprehension go deep; we shall see them increasing in profundity all the way from the 'I-It' relation to the 'I-Thou' relation.170

Anmerkungen

162
Zimmerli 1989b: 391.
163
Hösle 1990: 208.
164
Siehe Hösle 1990: 208.
165
Friedrich Hiebel 1981: 28.
166
Hans Rudi Fischer 1992: 9.
167
Vgl. David Rothenberg 1993: 4.
168
Siehe Rothenberg 1993: 14.
169
Vgl. Rothenberg 1993: 10 f.
170
Polanyi 1974: 148-149.