www.humanecology.ch · Skripten 1998/99 · Weltbilder

3.5 Verbindung zwischen Zwecken und Ursachen

Die autopoietische Systemtheorie ist allerdings in nicht-mathematischer Weise formuliert. Das hat seine guten Gründe: Das Lebendige lässt sich nicht einfach in Formeln fassen. Und es ist auch zu sagen, dass eine mathematische Systemtheorie ungeachtet ihres Beitrags zu Konzepten der Selbstorganisation im Prinzip eine Fortsetzung eines alten Denkstils darstellt: Solche "Ansätze zur Untersuchung 'vernetzter Systeme' gehören durchaus noch zum reduktionistisch-mechanistischen Weltbild der klassischen Physik," meint Primas.146 Das Verhalten des ganzen Systems ist immer noch ableitbar aus dem Verhalten der Teile. So gesehen ist es auch verfrüht, das nicht-lineare Systemdenken als "Dialog mit der Natur" anzukündigen, wie dies Ilya Prigogine und Isabelle Stengers tun.147 Es braucht ein Mehreres, und in welcher Richtung dies geht, können wir antönen, wenn wir die Frage von Zwecken wieder in die Diskussion bringen. Wir hatten ja gesehen, dass mit der Entstehung des neuzeitlichen Weltbildes die Natur "zwecklos" geworden war. Die Anwendung eines dualen Hierarchie-Denkens auf die Situation in Abbildung 3 müsste nun eigentlich bedeuten, dass sich Ursachen und Zwecke zusammenfinden können. Mit andern Worten, wir kommen, so wie ich es sehe, nicht darum herum, über die früher genannte Vorstellung von Teleonomie hinaus die Frage nach der Möglichkeit einer echten, immanenten Teleologie zu stellen. Und dabei könnte eine Vorstellung wie die einer aristotelischen "Entelechie" als einer zielstrebig wirkenden Kraft wieder aktuell werden. Entelechie bedeutet "etwas, das sein Ziel in sich selbst hat",148 und tatsächlich kann man sagen, dass diese aristotelische Auffassung im früher genannten Universalienstreit des Mittelalters (vgl. 2.2) eine mittlere, verbindende Position einnahm: Sie entsprach weder den universalia ante res (typisch für das holistisch-organismische Weltbild), noch den universalia post res (bezeichnend für das atomistisch-mechanistische Weltbild), sondern wurde mit universalia in rebus passend umschrieben. Das Allgemeine ist hier schon in den Dingen drin und verwirklicht sich in ihnen. Umgekehrt müsste eine Beibehaltung der neuzeitlichen Behauptung, "dass Endursachen zur Natur des Menschen und nicht des Universums gehören," eine Fortsetzung der Annahme einer "Grunddifferenz des Seins zwischen beiden" bedeuten,149 etwas, das wir doch gerade überwinden möchten. Eine derartige Überwindung könnte mit der teilweisen Wiedereinführung eines subjektivischen Erklärungsschemas geschehen, eines Schemas, das wir in primitiver Form mit Dux für das archaische Weltbild festgemacht hatten, und das uns nun in einer entwickelteren Variante wieder in ein Ich-Du-Verhältnis zu unserer Umwelt versetzen könnte.

Anmerkungen

146
Primas 1992: 11.
147
Siehe Ilya Prigogine und Isabelle Stengers 1981.
148
Ulfig 1993: 106.
149
Jonas 1973: 55.