www.humanecology.ch · Skripten 1998/99 · Weltbilder

4.3.2 Philosophie

Was können wir von einer philosophischen Rahmengebung erwarten? Die philosophia führt das Streben nach Weisheit in ihrem Namen, und wie Böhme sagt, gibt es ja tatsächlich "eine alteuropäische Tradition der Philosophie ..., nach der Philosophie Weisheitswissen ist."180 Diese Tradition der Philosophie wird, so denke ich, von Karl Jaspers sehr gut beschrieben:
Während wissenschaftliche Erkenntnisse auf je einzelne Gegenstände gehen, von denen zu wissen keineswegs für jedermann notwendig ist, handelt es sich in der Philosophie um das Ganze des Seins, das den Menschen als Menschen angeht, um Wahrheit, die, wo sie aufleuchtet, tiefer ergreift als jede wissenschaftliche Erkenntnis.181
Dabei ist dieses Ergriffenwerden von besonderer Bedeutung, denn wie Böhme seinerseits sagt:
Weisheitswissen ist eine Form des Wissens, bei der das Wissen selbst und die Person nicht getrennt werden können. Die Meinung der alten Philosophen ... war, dass man durch Wissen gut wird, ein guter Mensch ... Diese Einheit von Wissen und Person, glaube ich, ist charakteristisch für die Besonderheit des Wissenstypus Philosophie im Unterschied zur Wissenschaft. Wissenschaft ist ein Unternehmen der Wissensproduktion, da braucht der einzelne überhaupt kein Wissender zu sein, er muss ein Beiträger sein, jemand, der einen Beitrag leistet zum kollektiven Produkt des Wissens. Er braucht kein guter Mensch zu sein, er kann ein guter Physiker und ein schlechter Mensch sein.182
Die Frage stellt sich aber, wie weit denn die heutige Philosophie mit der "alteuropäischen Tradition" noch etwas zu tun hat. Ich habe ja schon darauf hingewiesen, dass die ältere Philosophie ihre Nähe zur Religion bezeugte, während die neuere Philosophie sich dem Stil der Wissenschaft angenähert hat. Wir leben jetzt in einem nachmetaphysischen Zeitalter, so wird gesagt, in dem es undenkbar geworden ist, dass die Welt uns ihren Sinn mitteilen könnte. Wir sind damit völlig auf uns selbst beschränkt und können Sinn und damit Orientierung nur im Bereich unserer eigenen Vernunft finden. Damit aber verleugnet die Philosophie ihren eigenen Namen. Wollen wir Aussicht auf eine Lösung der Orientierungskrise haben, ist eine Rückbesinnung der Philosophie auf ihren Ursprung angezeigt.

Anmerkungen

180
Böhme 1992: 80.
181
Karl Jaspers 1975: 33-34.
182
Böhme 1992: 80.