Im Gegensatz zu Piagets Modell der kognitiven Entwicklung sieht Kohlberg von einer Zuordnung von Altersnormen für die einzelnen Stufen ab. Für ihn ist nur die Logik der Sequenz
wichtig.167Vgl. Garz 1989: 163.
Es gibt aber statistische Auswertungen der Untersuchungen, die angeben, mit welcher Häufigkeit die verschiedenen Stufen in verschiedenen Altersklassen auftreten (siehe Abbildung 8). Der grösste Teil der Erwachsenen in den westlichen Industriestaaten verharrt in einer Art Pflichtmoral und befindet sich damit auf Stufe 4. Das heisst aber, dass sich hier ein Widerstand gegen eine Figur wie z.B. Hitler nicht rechtfertigen liesse; erst auf den Stufen 5 und 6 kann so etwas wie Zivilicourage
vorkommen.168Reese-Schäfer 1990: 27.
Es ist auch fraglich, ob die Stufe 6 im wirklichen Leben überhaupt vorkommt. Kohlberg schätzte einst, dass sich 5% der Menschen in den USA auf dieser Stufe befänden, eine Aussage, die er aber später zurücknahm. Heute ist man der Meinung, es gebe keine Personen, die dauerhaft auf Stufe 6 urteilen würden, lediglich die Interpretation der Äusserungen ausgesuchter Menschen wie Sokrates, Gandhi und Martin Luther King könnten auf ihr angesiedelt werden. Trotzdem wollte Kohlberg auf diese Stufe nicht verzichten, denn er meinte, es müsste für die moralische Entwicklung eine Zielrichtung
geben.169Vgl. Reese-Schäfer 1990: 31-32, und Garz 1989: 161.
Darüber hinaus hat Kohlberg sogar, mit u.a. Pierre Teilhard de Chardin als Gewährsmann (vgl. 6.1.2), über die Möglichkeit einer Stufe 7 nachgedacht, eine, die eine religiös-metapysische Fundierung von Moral gewährleisten
würde.170Siehe Reese-Schäfer 1990: 29.