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Bewusstsein

Bewusstsein

1. Begriffliches
1.1 Bewusstsein
1.2 Seele und Geist
2. Die drei Bewusstseinsebenen
2.1 Natur und Geist: Partner oder Widersacher?16
Mit einigen Änderungen aus Dieter Steiner 1997: 46-49, übernommen.
2.2 Kopf, Hand und Herz44
Mit einigen Änderungen aus Steiner 1997: 49-51 übernommen.
2.3 Mehr zum praktischen Bewusstsein63
Mit einigen Änderungen aus Steiner 1997: 51-54 übernommen.
2.4 Implizites und explizites Wissen
3. Welt, Mitwelt, Umwelt: Die drei Bewusstseinsebenen und ihre Beziehungsfähigkeit86
Mit einigen Änderungen aus Steiner 1997: 54-67 übernommen.
3.1 Die Welt und Ich
Die Ebene des Tiefenbewusstseins kann uns einen Zugang zur Welt in einem umfassenden Sinne vermitteln, so lautet also die Behauptung. "Das Unbewusste ... verkörpert den universalen, den ganzen Menschen, der im Kosmos verwurzelt ist," so sagt auch Fromm.89
Fromm 1971: 136.
Wir wollen hier nun versuchen, diese Aussage zu belegen. Wenn wir anerkennen, dass unser Leib, d.h. unser beseelter Körper, die Natur ist, die wir selbst sind, wie Gernot Böhme dies ausdrückt,90
Siehe Gernot Böhme 1992.
dann ist es zunächst plausibel, dass wir insofern eine unmittelbare Verbindung zur Natur haben, als wir selbst ein Teil von ihr sind. Wenn wir aber selbst Natur sind, können wir in einem gewissen Sinne sagen, wir enthielten ein Stück Welt in neuer Form, Welt, die sich durch einen Abgrenzungsvorgang als innere Welt von einer äusseren Welt abgetrennt hat, aber in ihren Bestandteilen auf den Ursprung des Lebens, wenn nicht des Kosmos zurückverweist. Hans Jonas drückt dies so aus:
... selber lebende, stoffliche Dinge, haben wir in unserer Selbsterfahrung gleichsam Gucklöcher in die Innerlichkeit der Substanz und dadurch eine Vorstellung (oder die Möglichkeit einer Vorstellung) nicht nur davon, wie das Wirkliche im Raume ausgebreitet ist und sich wechselseitig bestimmt, sondern auch davon, wie es ist, wirklich zu sein und zu wirken und Wirkung zu erleiden.91
Jonas 1973: 42-43.
In psychischer Hinsicht meldet sich die Natur, die wir selbst sind, in Form von gefühlhaften Erlebnissen zu Wort.92
In der Psychologie wird dabei von "Primärprozessen" geredet (siehe dazu z.B. Bateson 1972: 138 ff.).
Diese sind Ausdruck autonomer biologischer Funktionen, sie haben einen orientierenden Charakter im Hinblick auf ein biologisch sinnvolles Verhalten. Als Beispiel nennt von Ditfurth "süss" als angenehmes Geschmackserlebnis.93
Vgl. Hoimar von Ditfurth 1982: 45.
Die biologischen Energien, die an der Entstehung unserer emotionalen Erfahrungen beteiligt sind, haben den Charakter von Trieben oder Instinkten. Mit der Entstehung des geistigen Pols unserer Innenorientierung sind wir Menschen aber längst nicht mehr nur biologische Wesen; diesen Trieben oder Instinkten kommt nicht mehr die absolut massgebliche Bedeutung zu wie einst. Denken wir z.B. an geschlechtliche Liebe und Essen: Beide haben bei uns längst nicht mehr den Charakter der unbedingten Dringlichkeit auf einen Anreiz hin, sondern sie erlauben zeitlichen Aufschub. Dabei hat der Zeitpunkt, bei dem die Befriedigung dieser Bedürfnisse richtig oder erlaubt scheint, wesentlich mit ihrer Einbettung in soziale Gepflogenheiten zu tun. Nicht nur das, sondern im Falle der sexuellen Begegnung tritt sogar die biologische Funktion meist völlig in den Hintergrund. Tatsächlich betrachten wir uns ja als relativ instinktarme Lebewesen, aber unsere biologischen Grundlagen machen sich immer noch in Form psychischer Erscheinungen bemerkbar und stellen uns gewissermassen ein Fenster in die Vergangenheit zur Verfügung, zu einer Welt, aus der wir kommen, die aber nach allem, was wir wissen, immer noch die Welt ist, von der wir heute und auch inskünftig im Sinne der Bereitstellung der Lebensgrundlagen abhängen.
Carl Gustav Jung hat diese psychischen Erscheinungen in seinem Konzept des kollektiven (also überindividuellen) Unbewussten beschrieben. Er hat damit gewissermassen ein Bild der Seele entworfen. In ihr sind Archetypen als psychische Ordnungsprinzipien am Werk. Diese sind selbst unanschaulich, aber sie können sich in bildhafter Symbolik in unserem Bewusstsein bemerkbar machen - wir haben ja eingangs mit der Schlange und dem Vogel zwei derartige Symbole kennengelernt. Das kollektive Unbewusste ist prinzipiell eine autonome Instanz, die sich auf ihre Weise und zu ihrer Zeit meldet.94
Zur Jungschen Tiefenpsychologie siehe z.B. die zusammenfassende, übersichtliche Darstellung von Jacobi 1971.
Uns allen sind unsere Träume als Botschaften dieser Instanz bekannt, die wir als passive Empfänger aufnehmen. Allerdings zeigt sich dabei, dass das, was in unser Gewahrsein gelangt, immer das Resultat einer Interaktion zwischen dem Unbewussten und unserer äusseren Erfahrungswelt darstellt. Tatsächlich verwenden ja Träume eine Bildsprache, deren Elemente bekannte "Dinge" wie andere Menschen, Tiere, Pflanzen, Häuser, Strassen, Landschaften usw. darstellen. Bemerkenswert ist, dass dabei nicht-menschliche Elemente weit häufiger als menschliche vorkommen.95
Vgl. Ulrich Gebhard 1994: 26.
Weiter wird die in einem Traum enthaltene Mitteilung auch nicht so sehr durch die einzelnen in ihm vorkommenden Objekte repräsentiert, sondern vielmehr durch die Beziehungen zwischen ih-nen, was ihr einen metaphorischen Charakter verleiht.96
Vgl. Bateson 1972: 139-140.
Auf alle Fälle aber können darin Botschaften zum Ausdruck kommen, die den persönlichen Erfahrungshorizont bei weitem übersteigen, also eben einen kollektiven Bedeutungscharakter haben. In diesem Sinne betont z.B. Erich Fromm die Universalität und Objektivität der Traumsprache.97
Fromm 1981: 312.
Mit Balthasar Staehelin können wir die Welt des Tiefenbewusstseins mit seinem überindividuellen Charakter auch als hintergründige "zweite Wirklichkeit" verstehen, die auf einen absoluten Weltengrund verweist (siehe Abbildung 5).98
Vgl. Balthasar Staehelin 1973.
Abbildung 5: Eine Darstellung der zwei Wirklichkeiten, mit denen zwei prinzipiell verschiedene Erfahrungs- und Erkenntniswege (nach aussen und nach innen) verbunden sind (aus Staehelin 1973: 61). Unter dem "Ftan" versteht Staehelin den tiefsten Grund der menschlichen Seele, die ins absolut Einheitliche übergeht.
Abbildung 5: Eine Darstellung der zwei Wirklichkeiten, mit denen zwei prinzipiell verschiedene Erfahrungs- und Erkenntniswege (nach aussen und nach innen) verbunden sind (aus Staehelin 1973: 61). Unter dem "Ftan" versteht Staehelin den tiefsten Grund der menschlichen Seele, die ins absolut Einheitliche übergeht.
Ganz allgemein ist, wenn wir vom Unbewussten reden, immer daran zu denken, dass wir nur in dem Masse von ihm Kenntnis haben können, wie es Phänomene produziert, die ins Bewusstsein eintreten. John R. Searle spricht diesen Umstand an, wenn er sagt:
The notion of an unconscious mental state implies accessibility to consciousness. We have no notion of the unconscious except as that which is potentially conscious.99
Searle 1994: 152.
Dazu kommt die zusätzliche Schwierigkeit, dass eine Art Barriere zwischen dem Bewusstsein und dem Unbewussten zu existieren scheint. Man kann sich fragen, ob dies eine anthropologische Konstante oder aber spezifisch für unsere gegenwärtige Zivilisation ist. Andererseits haben wir aber durchaus auch die Möglichkeit, aktiv einen Zugang zum Tiefenbewusstsein zu suchen. Dies kann auf zweierlei Arten geschehen, zum einen durch eine alleinige Konzentration auf die Innenwelt, zum andern mit einem Zusammenwirken zwischen Innen- und Aussenwelt, typisch etwa in Form eines Naturerlebnisses. Die erste Form können wir - mindestens in seiner extremen Ausprägung - als mystisches Erlebnis bezeichnen; es kann mittels verschiedener Arten von meditativen Praktiken erreicht werden. Solche Praktiken sind vor allem aus östlichen Religionen bekannt (vgl. die Ausführungen zur buddhistischen Bewusstseinslehre in 6.2). Welche Art von "erleuchtender Erkenntnis" können wir, die wir in einer westlichen Kultur aufgewachsen sind, denn erwarten, wenn wir uns einer meditativen Innenorientierung aussetzen? Nun, als durchschnittlicher Mensch ohne spezielles und rigoroses Training werde ich vermutlich kaum zu sensationellen Erlebnissen kommen, kann aber meinen Bewusstseinszustand allmählich verändern, auch wenn mir das nicht offensichtlich bewusst wird. Die zweite Form hat in ihrer positiven Ausprägung den Charakter eines ästhetischen Erlebnisses. Je nach Intensität des Erlebten können wir, wenn wir wollen, auch von religiöser oder spiritueller Erfahrung reden. Betrachten wir als Beispiel ein vom Ameisenforscher und Soziobiologen Edward O. Wilson berichtetes Erlebnis im Regenwald:
I walked into the forest, struck as always by the coolness of the shade beneath tropical vegetation, and continued until I came to a small glade that opened onto the sandy path. I narrowed the world down to the span of a few meters. Again I tried to compose the mental set - call it the naturalist's trance, the hunter's trance - by which biologists locate more elusive organisms. I imagined that this place and all its treasures were mine alone and might be so forever in memory - if the bulldozer came. In a twist my mind came free and I was aware of the hard workings of the natural world beyond the periphery of ordinary attention, where passions lose their meaning and history is in another dimension, without people, and great events pass without record or judgement. I was a transient of no consequence in this familiar yet deeply alien world that I had come to love.100
Edward O. Wilson 1984: 6-7. Interessant ist bei dieser Schilderung, dass Wilson als Wissenschaftler sich, der üblichen Arbeitsweise unseres neuzeitlichen diskursiven Bewusstseins entsprechend, in einem engen Raum auf Details konzentrieren will, dann aber plötzlich von der ganzen Ambiance überwältig wird.
Es ist zu vermuten, dass wir es bei solchen Erfahrungen mit einer Art von Resonanz zwischen Innen- und Aussenwelt zu tun haben. "Resonanzen sind eine wahrnehmbare und (unterschwellig) auch erlebte Form von Übereinstimmungen zwischen Eigenheiten von Lebensräumen und persönlichen Zügen oder momentanen Stimmungen," sagen z.B. Patrik Hunziker, Andrea Rüede und Peter Frischknecht,101
Patrik Hunziker, Andrea Rüede und Peter Frischknecht 1994: 340.
wobei, so denke ich, Resonanzen in gewissen Fällen, wie z.B. bei Wilsons Erlebnis, in der Innenwelt des erlebenden Subjekts auch weit unter sein Persönliches greifen können. Entsprechend kann die erlebte Aussenwelt so etwas wie objektive Gefühlsqualitäten annehmen, ein Thema, mit dem sich Gernot Böhme beschäftigt hat:
Genau dies ist ... für eine Naturästhetik, die man heute entwickeln könnte und sollte, von entscheidender Bedeutung; denn es kann dabei ernst genommen werden, dass die Umgebungen, in denen wir uns befinden, für uns nicht bloss als Stoffwechselpartner von Bedeutung sind, ... sondern dass sie als ästhetische Umgebungen unser Befinden stets bestimmen.102
Böhme 1992: 63.
Von Bedeutung ist dies: Ein Individuum, das über den Bereich des Unbewussten eine Welterfahrung macht, macht diese Erfahrung in passiv rezipierender Weise. In der Ich-Welt-Beziehung ist die Welt das Primäre, das Ich das Sekundäre. Die Erfahrung vermittelt Aspekte von Weltge- oder verbundenheit, was nicht erstaunlich ist, da es ja um ursprünglich biologische Notwendigkeiten geht. Entsprechend fühlt sich das erlebende Subjekt als von Welt umgeben, als in sie eingebettet, auch als Teil der Welt, eventuell wie bei Wilson als unbedeutender Teil sogar. Natürlich verharrt das fragliche Individuum nicht im Zustand dieser Erfahrung, die Freiheiten seines Denkens werden ihm im nachhinein die eine oder andere Interpretation des Geschehenen nahelegen. Trotzdem wird der Eindruck der erlebten Bindung nicht wegzuleugnen sein, die Erfahrung hat einen quasi-objektiven Charakter und ihre Interpretation kann nicht beliebiger Art sein.
3.2 Ich und Du, Du und Ich
3.3 Ich und die Welt, Ich und Es
4. Bewusstseinsentwicklung in der kulturellen Evolution (Jean Gebser)126
Mit einigen Änderungen übernommen aus Steiner 1997: 83-86, und Zusätzen aus Steiner 1994: 205-215.
4.1 Die archaische Stufe128
Vgl. Gebser 1949: 73 ff.
4.2 Die magische Stufe130
Vgl. Gebser 1949: 79 ff.
4.3 Die mythische Stufe133
Vgl. Gebser 1949: 100 ff.
4.4 Die mentale Stufe139
Vgl. Gebser 1949: 123 ff.
5. Zur ontogenetischen Bewusstseinsentwicklung
5.1 Der genetische Strukturalismus von Jean Piaget
5.2 Die Theorie der moralischen Entwicklung von Lawrence Kohlberg
6. Ist das Bewusstsein der Zukunft transpersonal?
6.1 Die Transzendenz des mentalen Ich-Bewusstseins: Einige Vorstellungen
6.1.1 Das "integrale Bewusstsein" bei Jean Gebser
6.1.2 Der "Punkt Omega" bei Pierre Teilhard de Chardin
6.1.3 Das "transpersonale Überbewusstsein" bei Ken Wilber
6.1.4 Das "globale Gehirn" der Cyberspace190
Der Begriff "Cyberspace" stammt aus der Science Fiction-Erzählung "Neuromancer" von William Gibson. Es ist der Raum, der innerhalb und zwischen den vernetzten Computern geschaffen wird, in dem Raum und Zeit kollabieren, "giving us the potential to connect with anyone anywhere and information everywhere, here and now" (Peter und Trudy Johnson-Lenz 1997: 43).
-Futuristen
6.1.5 Die "Selbstrealisierung" bei Arne Naess
6.2 "Leere" und "Fülle" in der buddhistischen Bewusstseinslehre205
Mit einigen Kürzungen übernommen aus Steiner 1997: 98-106.
7. Gibt es ein weibliches und ein männliches Bewusstsein?
7.1 Kommunikative versus instrumentelle Rationalität: Hans Kummer und Peter Ulrich
7.2 Natur versus Geist: Erich Neumann und Gerda Weiler
7.3 Fürsorge versus Gerechtigkeit: Lawrence Kohlberg und Carol Gilligan258
Mit geringen Änderungen übernommen aus Steiner 1994: 221-223.
Zitierte Literatur