Die Art und Weise, wie Polanyi den stillschweigenden Vorgang des Wissenserwerbs schildert, zeigt eine strukturelle Übereinstimmung mit dem Aufbau der Wirklichkeit, worauf er auch speziell hinweist. Wie wir in "Einführung in die Humanökologie", Abschnitt 4.4 ("Weltbildtypen") erwähnt haben, können wir uns die Welt als über eine Reihe von Ebenen hierarchisch aufgebaut vorstellen. Wenn wir zwei aufeinanderfolgende Ebenen betrachten, haben wir es immer mit einer Ebene der Teile (unten) und einer Ebene des Ganzen (oben) zu tun (vgl. Abbildung 4). Dasselbe Schema können wir nun auch auf den Wissensprozess
anwenden.81Vgl. dazu auch Dagmar Reichert 1997.
Die Teile auf der unteren Ebene können auf zwei Arten betrachtet werden, entweder mit voller Aufmerksamkeit ("focal awareness") auf sie selbst als isolierte Gebilde oder aber mit abgezogener Aufmerksamkeit ("subsidiary awareness") als Komponenten, die zu einem Ganzen beitragen - abgezogen in dem Sinne, dass nun die fokale Aufmerksamkeit auf das Ganze verlagert
wird.82Vgl. dazu z.B. Polanyi 1962: vii, oder auch Polanyi 1974: 128.
Anders ausgedrückt: Wir können aus unseren Details nur einen Gesamteindruck mit Bedeutung erhalten, wenn wir sie aus dem Vordergrund in den Hintergrund unserer Aufmerksamkeit verbannen. Das Ganze erscheint dann aus den Ausgangsdaten als ein emergentes Phänomen. Polanyi redet deshalb davon, dass der Wissenserwerb eine "von-zu-Struktur" habe. Denken wir als Beispiel an das Lesen eines Textes: Wenn ich mich auf die einzelnen Wörter konzentriere, ergibt sich aus ihnen kein zusammenhängender Sinn; um diesen zu bekommen, muss ich gewissermassen über die Wörter hinweglesen. Im umgekehrten Fall, d.h. wenn ich wieder auf die Details zu achten beginne, kann das Ganze wieder zerstört werden. Dies ist insbesondere etwa bei manuellen Fertigkeiten der Fall. Stellen wir uns z.B. den Fall einer eingeübten klavierspielenden Person vor. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sie, sobald sie sich auf die Bewegungen der einzelnen Finger zu konzentrieren beginnt, gar nicht mehr spielen
kann.83Nach Polanyi 1974: 146.
Das Volkswitz-Beispiel zum gleichen Thema ist der Tausendfüssler, der, nach seiner Gehweise befragt, verlegen den Kopf schüttelt und ins Stolpern
gerät.84Vgl. Hofstätter 1957: 80.