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Bewusstsein

Bewusstsein

1. Begriffliches
1.1 Bewusstsein
1.2 Seele und Geist
2. Die drei Bewusstseinsebenen
2.1 Natur und Geist: Partner oder Widersacher?16
Mit einigen Änderungen aus Dieter Steiner 1997: 46-49, übernommen.
2.2 Kopf, Hand und Herz44
Mit einigen Änderungen aus Steiner 1997: 49-51 übernommen.
2.3 Mehr zum praktischen Bewusstsein63
Mit einigen Änderungen aus Steiner 1997: 51-54 übernommen.
2.4 Implizites und explizites Wissen
Von grosser Bedeutung für unsere Betrachtung der menschlichen Bewusstseinsebenen ist die vom englischen physikalischen Chemiker und Philosophen Michael Polanyi (1891-1976) getroffene Unterscheidung von implizitem und explizitem Wissen (vgl. dazu Tabelle 2).74
Siehe dazu Michael Polanyi 1962: 1974 und 1985, sowie Polanyi und Harry Prosch 1975.
Zunächst können wir sagen, dass implizites Wissen mit den Ebenen des Unbewussten und des praktischen Bewusstseins zu tun hat. Es hat einen stillschweigenden (englisch: "tacit") Charakter, d.h. es kann nicht in Worten ausgedrückt, also nicht explizit formuliert werden. Im praktischen Bewusstsein residierendes Wissen kann aber im Tun demonstriert werden. Dies hat Polanyi vor allem fasziniert, und entsprechend gibt er viele Hinweise auf künstlerische und handwerkliche Fertigkeiten u.ä. Andere Autoren oder Autorinnen sprechen hier auch etwa von Erfahrungswissen (englisch: "knowledge by familiarity"). Die Unmöglichkeit der Formalisierung solchen Wissens demonstriert die schwedische Linguistin Ingela Josefson am Beispiel des praktischen Wissens von Krankenschwestern.75
Siehe Ingela Josefson 1993.
Polanyi selbst illustriert diesen Umstand am Beispiel des Geigenbaus:
It is pathetic to watch the endless efforts, equipped with microscopy and chemistry, with mathematics and electronics - to reproduce a single violin of the kind the half-literate Stradivari turned out as a matter of routine more than 200 years ago.76
Polanyi 1962: 53.
Insgesamt spielt implizites Wissen in unserem Leben eine grosse Rolle und Polanyi geht auch immer wieder von der Tatsache aus, "dass wir mehr wissen, als wir zu sagen wissen."77
Polanyi 1985: 14.
Im Gegensatz dazu steht also das explizite Wissen, das auch als propositionales Wissen bezeichnet wird, weil es eben in der Form sprachlicher - evtl. mathematischer - Aussagen gefasst werden kann. Klarerweise ist solches Wissen mit dem diskursiven Bewusstsein assoziiert. Die implizite und die explizite Art des Wissens unterscheiden sich inbezug auf ihre Darstellbarkeit, nicht aber eigentlich hinsichtlich ihrer Entstehung, denn in beiden Fällen liegt ein implizit wirkender Prozess zugrunde. Abgesehen von logischen Ableitungen stellt so gesehen explizites Wissen in gewissem Sinne nur die Spitze eines Eisbergs dar - "unter Wasser" liegt ein Netzwerk von nicht rekonstruierbaren Zusammenhängen. Es gibt viele Beispiele von plötzlichen intuitiven Einsichten, die ein Problem lösen, das bei der wissenschaftlichen Arbeit (und natürlich nicht nur hier) aufgetaucht ist, und zu einem explizit formulierbaren Resultat führen. Dass auch Resultate mit implizitem Charakter, die also nicht in Worten beschreibbar, sondern nur im Tun demonstrierbar sind, durch einen nicht nachvollziehbaren Prozess zustande kommen, können wir uns dann noch umso eher vorstellen. Dabei gibt es durchaus auch Fälle, in denen das Ergebnis zwar explizit formulierbar, was aber lediglich theoretische Bedeutung hat und von keinem praktischen Nutzen ist, weil es sich um etwas mit Hilfe des praktischen Bewusstseins Gelerntes handelt. Zur Erläuterung dieser Sachlage hat Polanyi gerne das Beispiel des Radfahrens benutzt, dessen Problem sich physikalisch beschreiben lässt: Um das Gleichgewicht halten zu können, muss ich bei einem von der Senkrechten abweichenden Neigungswinkel a zur Seite der Neigung hin eine Kurve fahren, deren Radius r proportional zur Geschwindigkeit v im Quadrat geteilt durch den Winkel a ist, also
r ~ v2 / a.78
Nach Polanyi 1974: 144.
Es ist möglich, das physikalische Problem des Gleichgewicht-Haltens in einer mathematischen Formel auszudrücken, aber die Kenntnis dieser Formel ist natürlich keine Hilfe, wenn man das Radfahren lernen will.79
Siehe Michael Polanyi 1974: 144.
Geben wir mal einer Person, die noch nicht radfahren kann, dieses Rezept, und schauen, ob sie dann nach dessen Lektüre in der Lage ist, einfach aufs Rad zu steigen und davon zu fahren! Dieses Beispiel zeigt besonders schön, dass wir echtes Wissen nicht einfach haben können, sondern dass wir Wissen sind. Wir sind als ganze Menschen mit sowohl unseren mentalen Fähigkeiten wie auch mit unserer körperlichen Existenz dabei involviert und dies führt Polanyi dazu, von "persönlichem Wissen" zu reden.80
Deshalb der Buchtitel "Personal Knowledge" (siehe Polanyi 1962).
Tabelle 2: Zuordnung von Wissensarten zu den Bewusstseinstypen
Bewusstseinsebene
1
2
3
Bewusstseinstyp nach Giddens
Unbewusstes
Praktisches
Bewusstsein
Diskursives
Bewusstsein
Wissensart (Unter-
scheidung implizit/
explizit nach Polanyi)
Intuitiv, mystisch
Praktisch, implizit,
stillschweigend,
erfahrungsbezogen
Theoretisch, explizit,
propositional
Die Art und Weise, wie Polanyi den stillschweigenden Vorgang des Wissenserwerbs schildert, zeigt eine strukturelle Übereinstimmung mit dem Aufbau der Wirklichkeit, worauf er auch speziell hinweist. Wie wir in "Einführung in die Humanökologie", Abschnitt 4.4 ("Weltbildtypen") erwähnt haben, können wir uns die Welt als über eine Reihe von Ebenen hierarchisch aufgebaut vorstellen. Wenn wir zwei aufeinanderfolgende Ebenen betrachten, haben wir es immer mit einer Ebene der Teile (unten) und einer Ebene des Ganzen (oben) zu tun (vgl. Abbildung 4). Dasselbe Schema können wir nun auch auf den Wissensprozess anwenden.81
Vgl. dazu auch Dagmar Reichert 1997.
Die Teile auf der unteren Ebene können auf zwei Arten betrachtet werden, entweder mit voller Aufmerksamkeit ("focal awareness") auf sie selbst als isolierte Gebilde oder aber mit abgezogener Aufmerksamkeit ("subsidiary awareness") als Komponenten, die zu einem Ganzen beitragen - abgezogen in dem Sinne, dass nun die fokale Aufmerksamkeit auf das Ganze verlagert wird.82
Vgl. dazu z.B. Polanyi 1962: vii, oder auch Polanyi 1974: 128.
Anders ausgedrückt: Wir können aus unseren Details nur einen Gesamteindruck mit Bedeutung erhalten, wenn wir sie aus dem Vordergrund in den Hintergrund unserer Aufmerksamkeit verbannen. Das Ganze erscheint dann aus den Ausgangsdaten als ein emergentes Phänomen. Polanyi redet deshalb davon, dass der Wissenserwerb eine "von-zu-Struktur" habe. Denken wir als Beispiel an das Lesen eines Textes: Wenn ich mich auf die einzelnen Wörter konzentriere, ergibt sich aus ihnen kein zusammenhängender Sinn; um diesen zu bekommen, muss ich gewissermassen über die Wörter hinweglesen. Im umgekehrten Fall, d.h. wenn ich wieder auf die Details zu achten beginne, kann das Ganze wieder zerstört werden. Dies ist insbesondere etwa bei manuellen Fertigkeiten der Fall. Stellen wir uns z.B. den Fall einer eingeübten klavierspielenden Person vor. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sie, sobald sie sich auf die Bewegungen der einzelnen Finger zu konzentrieren beginnt, gar nicht mehr spielen kann.83
Nach Polanyi 1974: 146.
Das Volkswitz-Beispiel zum gleichen Thema ist der Tausendfüssler, der, nach seiner Gehweise befragt, verlegen den Kopf schüttelt und ins Stolpern gerät.84
Vgl. Hofstätter 1957: 80.
Abbildung 4: Nach Polanyi hat unser Wissen die gleiche Struktur wie die Realität, über die es etwas zu wissen gibt: Wenn wir unsere explizite fokussierte Aufmerksamkeit von den Details (unten) abziehen, kann auf implizite Weise aus der Ansammlung von Teilen als emergentes Phänomen ein Ganzes mit Bedeutung (oben) erscheinen
Abbildung 4: Nach Polanyi hat unser Wissen die gleiche Struktur wie die Realität, über die es etwas zu wissen gibt: Wenn wir unsere explizite fokussierte Aufmerksamkeit von den Details (unten) abziehen, kann auf implizite Weise aus der Ansammlung von Teilen als emergentes Phänomen ein Ganzes mit Bedeutung (oben) erscheinen
Es ist aber natürlich auch möglich, dass eine Einübung sich in falscher Richtung entwickelt hat, falsch im Sinne von "nicht erfolgreich" hinsichtlich eines vorgestellten Zieles. Dann ist zur rationalisierenden Korrektur zunächst wieder eine Phase von bewusster Kopfarbeit erforderlich; denken wir etwa an das Beispiel von Sportlern oder Sportlerinnen, die Videoaufnahmen von nicht perfekten Bewegungsabläufen analysieren. Ein anderer, nun humanökologisch relevanter Fall ist der, bei dem eine momentan noch in weiten Kreisen als "normal" geltende, durch das praktische Bewusstsein gestützte Tätigkeit wie z.B. das Autofahren falsch im Sinne einer ökologischen Unverträglichkeit ist. Als eingeübte Tätigkeit ist dieses zwar erfolgreich und kommt, wie wir dies in 2.3 genannt haben, an sich durch eine "harmonische Einheit von Körper und Geist" zustande und benötigt in diesem Sinne keine Korrektur. Solches Tun ist aber in einem weiteren Zusammenhang gesehen an sich unüberlegt und schädlich und bedarf einer Änderung mittels Reflexion und diskursiver Neugestaltung.85
Vgl. dazu Wolfgang Zierhofer 1993: 37-39.
Aus dieser Darstellung des Wissensprozesses von Polanyi können wir herauslesen, dass jegliches Wissen, das explizit formuliert werden kann, im Hinblick auf die reale Welt unvollständig ist. Dies dürfte vor allem für wissenschaftliches Wissen gelten und hier in erster Linie für stark formalisierte Aussagen.
3. Welt, Mitwelt, Umwelt: Die drei Bewusstseinsebenen und ihre Beziehungsfähigkeit86
Mit einigen Änderungen aus Steiner 1997: 54-67 übernommen.
3.1 Die Welt und Ich
3.2 Ich und Du, Du und Ich
3.3 Ich und die Welt, Ich und Es
4. Bewusstseinsentwicklung in der kulturellen Evolution (Jean Gebser)126
Mit einigen Änderungen übernommen aus Steiner 1997: 83-86, und Zusätzen aus Steiner 1994: 205-215.
4.1 Die archaische Stufe128
Vgl. Gebser 1949: 73 ff.
4.2 Die magische Stufe130
Vgl. Gebser 1949: 79 ff.
4.3 Die mythische Stufe133
Vgl. Gebser 1949: 100 ff.
4.4 Die mentale Stufe139
Vgl. Gebser 1949: 123 ff.
5. Zur ontogenetischen Bewusstseinsentwicklung
5.1 Der genetische Strukturalismus von Jean Piaget
5.2 Die Theorie der moralischen Entwicklung von Lawrence Kohlberg
6. Ist das Bewusstsein der Zukunft transpersonal?
6.1 Die Transzendenz des mentalen Ich-Bewusstseins: Einige Vorstellungen
6.1.1 Das "integrale Bewusstsein" bei Jean Gebser
6.1.2 Der "Punkt Omega" bei Pierre Teilhard de Chardin
6.1.3 Das "transpersonale Überbewusstsein" bei Ken Wilber
6.1.4 Das "globale Gehirn" der Cyberspace190
Der Begriff "Cyberspace" stammt aus der Science Fiction-Erzählung "Neuromancer" von William Gibson. Es ist der Raum, der innerhalb und zwischen den vernetzten Computern geschaffen wird, in dem Raum und Zeit kollabieren, "giving us the potential to connect with anyone anywhere and information everywhere, here and now" (Peter und Trudy Johnson-Lenz 1997: 43).
-Futuristen
6.1.5 Die "Selbstrealisierung" bei Arne Naess
6.2 "Leere" und "Fülle" in der buddhistischen Bewusstseinslehre205
Mit einigen Kürzungen übernommen aus Steiner 1997: 98-106.
7. Gibt es ein weibliches und ein männliches Bewusstsein?
7.1 Kommunikative versus instrumentelle Rationalität: Hans Kummer und Peter Ulrich
7.2 Natur versus Geist: Erich Neumann und Gerda Weiler
7.3 Fürsorge versus Gerechtigkeit: Lawrence Kohlberg und Carol Gilligan258
Mit geringen Änderungen übernommen aus Steiner 1994: 221-223.
Zitierte Literatur