www.humanecology.ch · Skripten 1998/99 · Kulturelle Evolution

1.2.1 Infrastruktur

Mit dem Begriff der Infrastruktur sind die über den gesellschaftlichen Stoffwechsel zustande kommenden materiellen Grundlagen der Existenzsicherung angesprochen, also Fragen von Produktion, Reproduktion und Verteilung. Das Tun der Individuen, also das Arbeiten und Herstellen, richtet sich nach Regeln der Technik und des Marktes. Dabei können wir uns darüber streiten, ob wir das Marktsystem wirklich auf der infrastrukturellen Ebene (also im Bereich der Mensch-Ding-Beziehungen) ansiedeln, oder aber doch eher zur Ebene der Gesellschafte (also zum Bereich der Mensch-Mensch-Beziehungen gehört) rechnen wollen. Wenn wir das erstere tun, beziehen wir uns auf all jene Aspekte, die den Umgang des Menschen mit dem Materiellen betreffen. Dort, wo das Wirtschaftliche zu Interaktionen zwischen Menschen führt (wie z.B. bei der Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehung) betrachten wir es demgegenüber als Teil der Struktur. Eine in diesem Sinne gewählte Trennung deckt sich in etwa mit der Unterscheidung von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen bei Karl Marx.10 Im übrigen: Bernd Biervert und Josef Wieland weisen darauf hin, dass gewisse Ökonomen (wie z.B. Walras) so weit gehen, dass sie das Marktgeschehen als dem Bereich von Ding-Ding-Beziehungen zugehörig betrachten, woraus dann die Vorstellung der Quasi-Naturgesetzlichkeit dieses Geschehens folgt.11
Bei alledem geht es natürlich, wenn wir von Existenzsicherung reden, nicht um die "nackte Existenz", sondern um diejenige, die mit der momentanen Lebens- und Wirtschaftsweise verknüpft ist. Insofern in diesem Sinne die Produktion zu Zwecken der Reproduktion dient, können wir auch vereinfachend davon reden, dass wir mit Infrastruktur die Reproduktionssituation einer Gesellschaftw meinen. Dabei sind drei Aspekte der Reproduktion zu unterscheiden:
1.
Die Lebenssicherung der einzelnen Menschen als Mitglieder der Gesellschaftw. Den zugehörigen Stoffwechsel bezeichnen wir als "Biometabolismus";
2.
die Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Organisationsformen. Insofern dazu ebenfalls materielle Ressourcen (z.B. eine Verkehrs-Infrastruktur) notwendig sind, können wir im Gegensatz zum die menschlichen Individuen betreffenden Biometabolismus von "Technometabolismus" reden.12
3.
die Erhaltung der ökologischen Produktionsfähigkeit des mit der betreffenden Gesellschaftw verbundenen Lebensraumes (bzw. der mit ihr verbundenen Lebensräume).
Gerade der letztere Aspekt ist natürlich, wie wir wissen, im Zuge der Modernisierung vernachlässigt worden. Dabei ist folgendes leicht einzusehen: Der Mensch strukturiert seine Umwelt in einer Weise, die ihm regelhafte und wiederkehrende Interaktionen mit ihr ermöglicht. Er schafft Kulturlandschaft in Form von materiell greifbaren Strukturen, die quasi zum Teil der Gesellschaftw werden, damit aber auch wieder auf sie zurückwirken. Alfred Lang hat diesen Umstand unter Aspekten eines "externen Gedächtnisses" thematisiert.13

Anmerkungen

10
"Produktivkräfte, Bezeichung des Marxismus für die Gesamtheit der materiellen und personellen Faktoren, die die Produktion, d.h. den Stoffwechsel und die Stoffveränderungen zwischen Menschen und Natur gewährleisten" (Hartfiel 1976: 528). "Produktionsverhältnisse, Bezeichnung des Marxismus für die Verhältnisse, die die Menschen ... bei der gesamtwirtschaftlichen Produktion ihrer Existenzmittel eingehen" (Hartfiel 1976, 527).
11
Bernd Biervert und Josef Wieland 1990: 15.
12
Nach einem Vorschlag von Stephen Boyden 1987: 5.
13
Alfred Lang 1993: 254 ff.