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Biologische Evolution

Biologische Evolution

1. Von der Präformations- zur modernen Evolutionstheorie
1.1 Zum Begriff der Evolution
1.2 Die Zeit vor Darwin
1.3 Darwin und seine Evolutionstheorie
1.4 Kontroversen nach Darwin
1.5 Die moderne Evolutionstheorie
In den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts gab es mit Bezug auf die Evolutionsfrage zwei hauptsächliche Forschungsrichtungen der Biologie, die sich gegenseitig bekämpften oder aber mindestens nicht verstehen konnten oder wollten:30
Vgl. Ernst Mayr 1994: 171 ff.
Einerseits die Naturforscher (Systematiker und Paläontologen), die sich für die Ebene der Arten und der Populationen mit ihrer geographischen Variation interessierten, und andererseits die Genetiker, die sich mit der Ebene der Gene und ihren Variationen innerhalb von Populationen beschäftigten. Dann aber gelang es Julian Huxley 1942 die Auffassungen der beiden Lager in der "evolutionären Synthese", einer einheitlichen Evolutionstheorie, zu vereinigen.31
Julian Huxley 1942.
Diese synthetische Theorie wurde später von Ernst Mayr und anderen ausgebaut. Kernstück dieser Theorie ist die modernisierte Form einer schon älteren These des deutschen Zoologen August Weismann (1834-1914), der um die Jahrhundertwende als erster versuchte, die Selektionsidee im Darwinschen Sinne mit neueren genetischen und zellbiologischen Erkenntnissen in Übereinstimmung zu bringen.32
Siehe Franz M. Wuketits 1981: 65-66.
Er stellte 1902 seine sog. "Keimplasmatheorie" auf, wonach es zwischen Keimplasma (Genotyp) und Körperplasma (Phänotyp) strikte eine kausale Einbahnstrasse gibt, d.h. das erstere beeinflusst das letztere, aber nicht umgekehrt. Damit ist noch einmal bekräftigt, dass eine Vererbung erworbener Eigenschaften unmöglich ist. Die Modernisierung dieser Auffassung besteht natürlich darin, dass jetzt nicht mehr davon die Rede ist, dass die kausale Richtung von Keim- zu Körperplasma läuft, sondern von der DNS (Desoxyribonukleinsäure) als Träger der genetischen Information zur RNS (Ribonukleinsäure) als Zwischenstation und von hier zu den durch die Informationsübertragung synthetisierten Proteinen (siehe Abbildung 2).
Abbildung 2: A: Weismanns Schema, aus dem sowohl die Kontinuität des Keimplasmas von Generation zu Generation hervorgeht als auch die Vergänglichkeit des einzelnen Organismus. B: Das "zentrale Dogma" der Molekularbiologie, in dem das ursprüngliche Schema anhand von DNS und Proteinen interpretiert wird (aus Sheldrake 1990: 107)
Abbildung 2: A: Weismanns Schema, aus dem sowohl die Kontinuität des Keimplasmas von Generation zu Generation hervorgeht als auch die Vergänglichkeit des einzelnen Organismus. B: Das "zentrale Dogma" der Molekularbiologie, in dem das ursprüngliche Schema anhand von DNS und Proteinen interpretiert wird (aus Sheldrake 1990: 107)
Ein wesentliches Charakteristikum der synthetischen Theorie ist, dass sie, um Mängel des früheren Darwinismus zu beheben, pluralistisch sein, d.h. viele Faktoren zur Erklärung der Evolutionsvorgänge heranziehen will und zu diesem Zweck auf Ergebnisse aus allen biologischen Disziplinen wie Morphologie, Physiologie, Ethologie, Genetik, Ökologie und Tiergeographie abstellt.33
Vgl. Wuketits 1981: 63 ff.
Tabelle 1 zeigt in einer Übersicht wichtige Beispiele von biologischen Forschungsgebieten, deren Ergebnisse herangezogen werden, um zu belegen, dass und wie eine Evolution stattgefunden hat. Welche Evolutionsfaktoren werden als wichtig betrachtet? Ungerichtete Variation (jetzt in Form der Mutation) und Selektion sind zwar immer noch hervorstechende Elemente der Theorie, aber diese werden jetzt ergänzt durch die Rekombination und die Isolation. Die erstere wird durch die geschlechtliche Fortpflanzung ermöglicht und hat eine grössere Bedeutung als die Mutation, da eine günstige Mutantenkombination u.U. viel rascher aufgebaut werden kann, als wenn die Gene an Ort und Stelle mutieren müssten.34
Vgl. Hasenfuss 1982: 313 ff.
Die letztere ist meist durch unüberwindliche Umwelt-Hindernisse bedingt, also geographischer Art, und die häufigste Ursache der Artenbildung (die in diesem Fall als allopatrisch bezeichnet wird). Daneben kann es auch ökologische Isolationsmechanismen innerhalb eines gemeinsamen Raumes geben, wie z.B. das Vorkommen nahe verwandter Fischarten in einem grossen See demonstriert. Wie es zu diesem, sympatrisch genannten Typ der Artenbildung, d.h. zu den nötigen Bastardierungssperren kommen kann, ist nicht geklärt. Neue Arten entstehen aber jedenfalls vornehmlich durch den allmählichen Wandel ganzer Populationen und nicht durch die Mutationen eines Einzeldindividuums.35
Vgl. Günter Scholl 1982: 284 ff., und Redaktion Naturwissenschaft und Medizin des Bibliographischen Instituts 1983, Bd.1: 58.
Tabelle 1: Übersicht über wichtige biologische Forschungsgebiete, deren Ergebnisse für den Nachweis eines evolutionären Geschehens wichtig sind (nach Siewing 1982: 103-112)
Systematik
Sie erfolgt nach abgestufter Ähnlichkeit. Eine kausale Erklärung ist nur durch die Annahme einer gemeinsamen, historischen, also stammesgeschichtlichen Herkunft möglich, vorausgesetzt, es handelt sich bei den Ähnlichkeiten um homologe.
Vergleichende Anatomie
Beispiel für homologe Organe: Bei allen vierfüssigen Wirbeltieren haben die Vorderextremitäten immer den gleichen Bauplan, unabhängig davon, an welche Funktion (Laufen, Graben, Fliegen, Schwimmen) diese Extremitäten angepasst sind (vgl. Abbildung 3). Die Übereinstimmung lässt sich also nicht auf eine gemeinsame Funktion zurückführen, sondern sie kann durch die Annahme einer gemeinsamen, stammesgeschichtlichen Herkunft erklärt werden.
Paläontologie
Die fossil überlieferten Organismen können die Veränderungen im Laufe der Erdgeschichte darlegen.
Embryologie
Bereits anfangs des 19. Jh. lieferte die embryologische Forschung Zeugnisse für die Evolutionstheorie. Beispiel: Bei Hühnerembryonen treten Kiemenspalten und dazugehörige Blutgefässe auf, obwohl beim erwachsenen Hühnchen Kiemenspalten nicht vorhanden sind. Dies erklärt sich aus der stammesgeschichtlichen Vergangenheit: Es gibt eine übereinstimmende Embryonalentwicklung bei Hühnchen, Fischen und Amphibien.
Tiergeographie
Aus ihrem Bereich schöpften bereits Darwin und Wallace ihr Erfahrungsmaterial. Beispiel: Veränderung der Meisenarten bei ihrer Verbreitung von Zentraleuropa nach Osten. Es bilden sich verschiedene Rassen aus.
Haustiere
Darwin versuchte, seine Selektionstheorie mit Untersuchungen an Haustieren zu untermauern. Allerdings ist die Mannigfaltigkeit immer eine bloss intraspezifische. Beispiel: Unterschied zwischen der Widerristhöhe beim Bernhardiner (65-80 cm) und dem Zwergpinscher (26 cm). Mit anderen Worten: Aus keiner Züchtung ist bisher eine neue Art entstanden.
Verhaltensforschung
Diese hat Ergebnisse vorgelegt, die nur unter dem Gesichtspunkt der Evolution gedeutet werden können.
Rudimentäre Organe (evtl.
auch Verhaltensmuster)
Es handelt sich um Merkmale, die ihre ursprüngliche Funktion verloren haben. Beispiel: Funktionsloser Beckengürtel bei Walen durch die Reduktion der Extremitäten. Er bleibt aber in reduzierter Form erhalten.
Was im übrigen den Faktor der Selektion betrifft: Es hat bis jetzt einen gewissen Streit darum gegeben, auf welcher Ebene oder auf welchen Ebenen diese wirklich angreift.36
Siehe dazu die Diskussion bei Richard Dawkins 1989b.
Viele nehmen an, dass sie mit Bezug auf Gruppen oder ganze Arten wirksam ist. Darwins Vorstellung hingegen kam dem nahe, was heute als Individualselektion bezeichnet wird. Die Antwort auf die Ebenenfrage, die heute in der modernen Evolutionstheorie favorisiert wird, heisst aber: Natürliche Auslese findet prinzipiell auf der Ebene der Gene statt. Das heisst, es kann nicht um die Frage gehen, ob bestimmte Merkmale oder Verhaltensweisen einem individuellen Organismus nützen, sondern ob sie den daran beteiligten Genen nützen. Die Gene sind potentiell unsterblich, natürlich nicht im buchstäblichen Sinne, aber in der Form von Kopien, und das entscheidende Kriterium ist also die Möglichkeit ihrer Replikation. Richard Dawkins ist ein Vertreter dieser Auffassung, der mit seinem Konzept des "egoistischen Gens" eine recht extreme Variante vorgelegt hat.37
Siehe Dawkins 1989a.
Auf dem hinteren Deckel der englischen Ausgabe des gleichnamigen Buches lesen wir:
Our genes made us. We animals exist for their preservation and are nothing more than their throwaway survival machines. The world of the selfish gene is one of savage competition, ruthless exploitation, and deceit.
Abbildung 3: Homologe Merkmale an den Vorderextremitäten der Tetrapoden (Vierfüsser) (aus Siewing 1982: 106)
Abbildung 3: Homologe Merkmale an den Vorderextremitäten der Tetrapoden (Vierfüsser) (aus Siewing 1982: 106)
Da hatte der ausserhalb des Mainstreams der Biologie arbeitende Gregory Bateson, dem wir in 2.5 noch ausführlicher begegnen werden, doch eine weitaus friedlichere Vorstellung:38
Vgl. dazu die Diskussion in Gregor Dürrenberger 1989: 43-44.
Lebewesen sind Systeme, die gleichzeitig auf mehreren Ebenen funktionieren und in umfassendere Zusammenhänge eingebaut sind. Da geht es um Fragen nicht nur von Parasitismus, Konkurrenz und Autonomie, sondern ebenso sehr auch von Symbiose, Kooperation und Integration. Diese Bemerkung ist auch schon eine gute Überleitung zu den Fragen und Gegenstimmen im nächsten Kapitel.
2. Fragezeichen und Gegenstimmen
2.1 Nur Zufall und Notwendigkeit?
2.2 Gradualismus versus Punktualismus
2.3 Zwecklosigkeit versus Zweckhaftigkeit
2.4 Die Zwischenlösung als relationale Alternative
2.5 Beispiele von relationalen Ansätzen
2.5.1 Die Systemtheorie der Evolution von Rupert Riedl80
Siehe dazu die ausführliche Darstellung bei Rupert Riedl 1975 und die knappen Zusammenfassungen in Riedl 1985: 177 ff. und Wuketits 1981: 95 ff.
2.5.2 Die Autopoietische Systemtheorie von Humberto Maturana und Francisco Varela84
Wichtige Komponenten einer autopoietischen Systemtheorie finden sich in Francisco J. Varela 1979. Die beste Darstellung dieser Theorie im Zusammenhang mit Fragen der Evolution findet sich aber wohl in Humberto R. Maturana und Francisco J. Varela 1987. Für einen allgemeinen Überblick siehe auch Dieter Steiner 1989.
2.5.3 Die "Ökologie des Geistes" von Gregory Bateson (1904-1980)93
Siehe dazu Bateson 1972 und Bateson und Bateson 1987. Das letztere Buch, "Angels Fear", wurde nach dem Tod von Gregory Bateson von seiner Tochter Mary Catherine fertiggestellt.
2.5.4 Die Theorie der "morphischen Felder" von Rupert Sheldrake104
Siehe Rupert Sheldrake 1985 und 1990.
3. Zur Entstehung des Lebens
3.1 Verschiedene Ursprungshypothesen
3.2 Die Bausteine des Lebens und ihre Entstehung
3.2.1 Was ist Leben?
3.2.2 Die materialistische Standardhypothese
3.2.3 Gibt es einen oder zwei Ursprünge des Lebens?
3.3 Genügt eine materialistische Erklärung?
4. Zum Verlauf der biologischen Evolution
4.1 Der Sauerstoffgehalt der Atmosphäre als Faktor der Evolution
4.2 Die Gaia-Hypothese
4.3 Explosionen und Auslöschungen
4.4 Das Muster der evolutionären Hierarchie182
Das ist ein leicht veränderter Teil aus einem Papier, das ich aus Anlass der Tagung "Humanökologie der Zukunft", Wislikofen, 6.-10.Juli 1998, schrieb (Steiner 1998).
Zitierte Literatur