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Biologische Evolution

Biologische Evolution

1. Von der Präformations- zur modernen Evolutionstheorie
1.1 Zum Begriff der Evolution
1.2 Die Zeit vor Darwin
Die Evolutionsidee erfuhr eine wechselvolle Geschichte. Bis ins 18. Jh. und zum Teil auch noch später wurde die Frage nach der Herkunft der Lebewesen mit dem Hinweis auf den biblischen Schöpfungsbericht geklärt. Im 17. Jh. hatte in Irland der anglikanische Erzbischof Ussher auf der Basis seiner Bibelinterpretation die These aufgestellt, die Schöpfung hätte im Jahre 4004 v.Chr. stattgefunden und damit seien auch die Erde und die auf ihr hausenden Lebewesen zu diesem Zeitpunkt entstanden. Damit war dann logischerweise auch die Vorstellung einer Unveränderlichkeit der Organismen verknüpft. Wie wir gesehen haben, wurde der Begriff der Evolution zwar schon verwendet, aber im Zusammenhang mit einer auf der Präformationstheorie gründenden Embryonalentwicklung, einer Theorie die u.a. vom Genfer Naturforscher Charles Bonnet (1720-1793) in prominenter Weise vertreten wurde.7
Vgl. Olivier Rieppel 1988.
Danach hatte Gott den ersten weiblichen Vertretern jeder "Gattung" z.Z. der Schöpfung Keime eingepflanzt, die alle essentiellen Teile der Individuen der nächsten Generation in präformierter Weise enthielten. Mit andern Worten, ein solcher Keim stellte einen vollständigen Organismus dar, einfach in mikroskopischer Form; dieser würde sich dann in der Embryonalentwicklung durch Grössenwachstum entfalten. Logischerweise musste ein solcher Keim auch schon wieder Keime für Individuen der darauffolgenden Generation enthalten usw., gewissermassen dem Prinzip der russischen Babuschka-Puppen folgend.8
Deshalb wurde diese Theorie auch "Einschachtelungstheorie" genannt (vgl. Hinrich Rahmann 1980: 6).
Auch neuere Textbücher machen sich gerne immer noch lustig über diese Vorstellung, indem sie sie ad absurdum führen: Irgendwann müsste in dieser Folge der nächste Keim eine Grösse haben, die unter derjenigen eines subatomaren Partikels liegt. Der amerikanische Biologe Stephen Jay Gould vertritt aber die Meinung, die Präformationisten seien als Wissenschaftler ihrer Zeit durchaus ernst zu nehmen.9
Siehe Gould 1977: 202 ff.
Sie hätten sich nach ihren damaligen Möglichkeiten sehr wohl auf Beobachtungen abgestützt und darüber hinaus dann einfach die Auffassung vertreten, dass hinter dem visuell Eruierbaren noch etwas Unsichtbares versteckt sei. Bonnet wandte sich denn auch gegen den puren Materialismus der französischen Aufklärung (ein typischer Vertreter war z.B. Pierre-Louis Moreau de Maupertuis), der zur Vorstellung führte, ein Organismus entstehe einfach in akkumluativer Weise aus Teilen (molécules organiques), womit das Wachstum eines Embryos mit dem eines Kristalls vergleichbar sei.10
Vgl. Rieppel 1988.
Bonnet meinte dagegen, ein Organismus könne nicht so wie ein Puzzle zusammengesetzt werden, eigentlich durchaus im Sinne der heutigen Einsicht, dass die Teile eines Organismus entwicklungsphysiologisch und funktionell miteinander korreliert sind.
Etwa vom zweiten Drittel des 18. Jh. an begann die Idee einer Evolution langsam Fuss zu fassen. Sie erwuchs aus der Systematik der Organismen. Der schwedische Arzt und Naturforscher Carl von Linné (1701-1778) schuf 1735 sein Werk "Systema Naturae", eine Klassifikation der Lebewesen nach der Ähnlichkeit ihrer Formen. Tatsächlich lag ihr zunächst die Vorstellung einer reinen Formen- und nicht die einer Abstammungsverwandschaft zugrunde. Massgebend war noch immer die Maxime, dass alle Arten vom Tag der Schöpfung an unverändert geblieben seien. Diese Auffassung der Unveränderlichkeit wurde aber bald durch die sich häufenden paläontologischen Ergebnisse, d.h. durch die Fossilfunde, erschüttert, und schliesslich erkannte auch Linné eine Veränderlichkeit der Arten an.11
Vgl. Siewing 1982: 100-101.
Eine andere wichtige Figur, die wesentlich zum Evolutionsgedanken beitrug, wenn auch in nicht-darwinistischer Art, war der französische Naturforscher Jean-Baptiste Lamarck (1744-1829). Er wandte sich 1809 in seinem Werk "Zoological Philosophy"12
Jean-Baptiste Lamarck 1809.
mit einer spekulativen Evolutionstheorie gegen das Dogma der permanenten Fixiertheit der Lebewesen.13
Siehe z.B. H. James Birx 1984: 81-83 und 99-100.
Diese gründete auf der Vorstellung, eine Evolution komme dadurch zustande, dass erworbene Eigenschaften vererbt würden, genauer: dass sich die Resultate der Anstrengung eines Organismus, im Laufe seines Lebens sich immer besser an seine Umwelt anzupassen, auf seine Nachkommen vererben würden. Nach lamarckistischer Auffassung hat z.B. die heutige Giraffe ihren langen Hals dadurch bekommen, dass ihre Ahnen und Ahninnen ihre Hälse sukzessive nach immer höheren Zweigen reckten.
In den 100 Jahren vor dem Bekanntwerden von Darwins Evolutionstheorie lag das Thema der Evolution schon immer in der Luft, konnte sich aber vorläufig nicht entscheidend durchsetzen. Aber jedenfalls geht die Idee der Evolution nicht, wie fälschlicherweise oft gemeint, auf Darwin zurück - sie ist älter. So war es auch die Absicht von Lamarck, mit seiner Theorie für eine evolutionistische Vorstellung zu werben und damit auch gegen den sog. Katastrophismus anzutreten. Ein Hauptvertreter dieser letzteren Richtung war der französische Naturforscher Georges Cuvier (1769-1832), der als Begründer der wissenschaftlichen Paläontologie gilt, denn er erstellte aufgrund von ausgedehnten Untersuchungen über die Fossilien des Pariser Beckens ein Schema der Erdgeschichte auf, das die grundlegende Dreiteilung in Paläozoikum (= Alttier-Zeit), Mesozoikum (= Mitteltier-Zeit) und Känozoikum (= Neutier-Zeit, heute meist Neozoikum genannt) aufwies, also eine Einteilung, die wir heute noch verwenden. Die Fossilien von Tieren (z.B. die Knochen von Mammuts), die heute nicht mehr vorkommen, zeigten Cuvier, dass Arten aussterben können. Diesem Umstand wies er die grösste Bedeutung für die Erklärung der Tatsache zu, dass es eine erdgeschichtliche Abfolge von verschiedenen Lebensformen gibt, und er postulierte das wiederholte Vorkommen von grossen katastrophalen Ereignissen, die jeweils den grössten Teil der vorhandenen Arten auslöschten, wodurch anschliessend Platz für neue Arten entstand, die denn auch denselben nach Neuschöpfungen oder allenfalls Einwanderungen einnahmen. In diesem Sinne war das erwähnte Schema so gewählt, dass die Übergänge zwischen den Erdepochen (also Paläo-/Mesozoikum und Meso-/Neozoikum) durch derartige Katastrophen ausgezeichnet waren.14
Vgl. Richard Leakey und Roger Lewin 1995: 42, auch Gould 1992: 149-150.
Gegen die Katastrophentheorie von Cuvier wandte sich der englische Geologe Charles Lyell (1797-1875) in seinem 1830 erschienenen Buch "Principles of Geology" mit einem Konzept, das später die Bezeichnung "Aktualismus" (im Englischen auch "uniformitarianism" genannt) erhielt.15
Siehe Gould 1992: 147 ff. und Leakey und Lewin 1995: 42.
Dieses enthielt die folgenden vier Annahmen:
1.
Die Naturgesetze sind konstant (uniform) in Raum und Zeit.
2.
Es gibt auch eine Uniformität der Prozesse in der Zeit, was bedeutet, dass wir die heute möglichen direkten Beobachtungen über die Wirkung geologischer Kräfte (Erosion durch Wasser und Wind, Erdbeben, Vulkane etc.) analog für die rekonstruierende Erklärung vergangener Ereignisse benützen können.
3.
Ebenso ist die Rate der Veränderungen uniform: Diese laufen allesamt langsam, allmählich und andauernd ab, jedenfalls nicht unregelmässig und katastrophal. Aber über längere Zeiten akkumulieren sich solche kleinen Veränderungen zu schlussendlich grossen Effekten.
4.
Schliesslich existiert eine Uniformität der Konfiguration, d.h. die Erde war zu allen Zeiten in grundlegender Weise gleich.
Heute wird natürlich im allgemeinen eine grundsätzlich aktualistische gegenüber einer katastrophistischen Auffassung hochgehalten. Dabei wäre aber zu beachten, dass Lyell mit seinem obigen Punkt 3 nur bedingt (schliesslich gibt es ja tatsächlich auch katastrophale Ereignisse) und mit Punkt 4 nicht Recht hatte (die Erde hat sich ja verändert). Wieso betrachten wir überhaupt im Zusammenhang mit unserer Diskussion über die biologische Evolution eine geologische Theorie? Sie ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung, weil sie mit ihrer Vorstellung der Allmählichkeit von Veränderungen Darwin später eine wichtige Basis dafür abgab, um im Rahmen der Biologie ebenfalls für einen Gradualismus plädieren zu können.
1.3 Darwin und seine Evolutionstheorie
1.4 Kontroversen nach Darwin
1.5 Die moderne Evolutionstheorie
2. Fragezeichen und Gegenstimmen
2.1 Nur Zufall und Notwendigkeit?
2.2 Gradualismus versus Punktualismus
2.3 Zwecklosigkeit versus Zweckhaftigkeit
2.4 Die Zwischenlösung als relationale Alternative
2.5 Beispiele von relationalen Ansätzen
2.5.1 Die Systemtheorie der Evolution von Rupert Riedl80
Siehe dazu die ausführliche Darstellung bei Rupert Riedl 1975 und die knappen Zusammenfassungen in Riedl 1985: 177 ff. und Wuketits 1981: 95 ff.
2.5.2 Die Autopoietische Systemtheorie von Humberto Maturana und Francisco Varela84
Wichtige Komponenten einer autopoietischen Systemtheorie finden sich in Francisco J. Varela 1979. Die beste Darstellung dieser Theorie im Zusammenhang mit Fragen der Evolution findet sich aber wohl in Humberto R. Maturana und Francisco J. Varela 1987. Für einen allgemeinen Überblick siehe auch Dieter Steiner 1989.
2.5.3 Die "Ökologie des Geistes" von Gregory Bateson (1904-1980)93
Siehe dazu Bateson 1972 und Bateson und Bateson 1987. Das letztere Buch, "Angels Fear", wurde nach dem Tod von Gregory Bateson von seiner Tochter Mary Catherine fertiggestellt.
2.5.4 Die Theorie der "morphischen Felder" von Rupert Sheldrake104
Siehe Rupert Sheldrake 1985 und 1990.
3. Zur Entstehung des Lebens
3.1 Verschiedene Ursprungshypothesen
3.2 Die Bausteine des Lebens und ihre Entstehung
3.2.1 Was ist Leben?
3.2.2 Die materialistische Standardhypothese
3.2.3 Gibt es einen oder zwei Ursprünge des Lebens?
3.3 Genügt eine materialistische Erklärung?
4. Zum Verlauf der biologischen Evolution
4.1 Der Sauerstoffgehalt der Atmosphäre als Faktor der Evolution
4.2 Die Gaia-Hypothese
4.3 Explosionen und Auslöschungen
4.4 Das Muster der evolutionären Hierarchie182
Das ist ein leicht veränderter Teil aus einem Papier, das ich aus Anlass der Tagung "Humanökologie der Zukunft", Wislikofen, 6.-10.Juli 1998, schrieb (Steiner 1998).
Zitierte Literatur